„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Dienstag, 25. April 2023

GPT: Statistik statt Semantik

Christa Wolf beschreibt in „Auf dem Weg nach Tabou“ (1994), wie die Stasi-Akten die Sprache in einen Wortbrei verwandelt haben. Die Masse der Überwachungsberichte hat zu einem Übermaß verschriftlichten Lebens geführt. Nichts blieb unbeobachtet. Doch was dabei herauskam, war kein Wissen. Es war alles falsch. Keine Wirklichkeit fand Eingang in die Stasi-Akten. Nur Lüge, Verdrehung, Desinformation.

Die DDR ist nicht mehr. Aber die Überwachungstechnologien haben sich weiterentwickelt. ChatGPT (Generative Pretrained Transformer) basiert auf der statistischen Auswertung alles dessen, was irgendwo schon mal gesagt und aufgeschrieben worden ist. Das Ziel ist ein Sprachmodell, das sich alles aneignet, was die versprachlichte Welt umfaßt. Das Ziel ist ein vollständiges Sprachmodell. Dieses Sprachmodell wäre das Ergebnis einer vollständig überwachten Gesellschaft. Das perfekte Archiv.

Wird daraus Wissen hervorgehen? Wird es wahr sein? Oder werden wir es mit einem weiteren Wortbrei zu tun haben?

Notwendigerweise wird es letzteres sein. Es ist eine Unsitte der KI-Forschung oder zumindestens ihrer feuilletonistischen Popularisierung mit ihren Auswirkungen bis in die Bildungspolitik hinein, Statistik mit Semantik gleichzusetzen.

Wissen hat etwas mit Wirklichkeit zu tun. Bedeutung hat etwas mit Subjektivität zu tun. Beides, Wirklichkeit und Bedeutung, gehört aufs engste zusammen. Beides, Wirklichkeit und Bedeutung, beruht auf einem subjektiven Zugang zur Welt. Subjektivität ist das Fundament jeder Intersubjektivität.

Wirklichkeit beruht auf der subjektiven Fähigkeit, zwischen Innen und Außen zu unterscheiden. Bedeutung beruht auf der subjektiven Fähigkeit, zu meinen, was wir sagen; und auf der subjektiven Fähigkeit des Ungenügens an dem, was wir sagen. Keine Statistik kann Intersubjektivität ermöglichen. Nur das Subjekt.

Wenn wir nicht mehr zu sagen versuchen, wofür wir im Innersten brennen, mit Worten, die jeder angelernten Wortbedeutung spotten, wird nichts von dem, was wir sagen, für andere von Belang sein. Semantik und Statistik haben nichts miteinander zu tun.

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