die die Liebe schlug.
Gelitten wars, doch auch genossen,
niemals wahr und immer Trug.
Was bleibt sind schlichte Narben,
deren Blüte mich nicht grämt.
Zu grau bis blaß verglühn die Farben;
eine Sucht einst, jetzt entsehnt.
„Wenn schon eine ganze Welt, auf Erkenntnis beruhend und ihrer ständig bedürftig, errichtet ist und ihren Gang geht, wie die der modernen Technik, wird der nach dem Grund ihrer Möglichkeit und nach ihren Sicherheitsgarantien Fragende zum Sokrates der Vergeblichkeit.“ (Blumenberg, Höhlenausgänge, S.169)
Kant fordert zum autonomen Verstandesgebrauch auf, und dazu gehört Mut. Kant geht also davon aus, daß Denken Mut erfordert. Man könnte vermuten, es ginge vor allem darum, sich im Denken gegen äußere Autoritäten durchzusetzen, in welcher Gestalt auch immer, deren einziges Interesse darin besteht, uns daran zu hindern, uns für unsere eigenen Interessen einzusetzen.
Aber der vielleicht noch größere Mut besteht darin, uns gegenüber unseren eigenen, inneren Autoritäten zu behaupten; gegenüber all den Konventionen und scheinbaren Bedürfnissen, die uns daran hindern, zu erkennen, was wir wirklich wollen. Denn wir wollen immer vieles und vielerlei und durchschauen dabei nur selten, was davon wirklich wichtig ist; was das tiefste Begehren ist, das aus uns selbst emporsteigt. Und vor dem wir uns fürchten, weil es den Einsatz unseres Lebens wert ist; unsere ganze Hingabe; uns selbst.
Denn was ist ‚Mut‘? Er ist ein Begehren, ein Streben, das an einem Ziel festhält, ohne sich von Launen und Stimmungen irritieren zu lassen. Er hält an seinem Willen fest, ohne sich den schwankenden, wechselnden und immer auch bedrohlichen Umständen auszuliefern.
Aber Mut ist nicht zu verwechseln mit Gedankenlosigkeit, Unerbittlichkeit und Maßlosigkeit. Ohne Denken gibt es keinen Mut, so wie es ohne Mut kein Denken gibt. Ohne diese beiden verliert unser Wollen sein Maß und wird zur Gier. Gier ist geil. Gier ist maßlos.
Mut aber ist nicht geil. Er setzt unserem Wollen ein Maß; ein Maß, das der Wille in seinem Gegenstand findet, auf den er sich richtet. Um dieses Maßes willen, müssen wir mutig bedenken, was wir wollen. Denn es erfordert Mut, sich selbst Grenzen zu ziehen, das Maß zu erkennen und unseren Willen sich bescheiden zu lassen, so daß wir dem, was wir wollen, sein eigenes Recht lassen können. Es ist der Mut zu denken, der uns dazu verhilft, das, was wir wollen, loszulassen; darauf zu verzichten, es zu besitzen.
Das ist Demut.
„... die Klage ist der Ausdruck selbst, man kann sagen, daß aller Ausdruck Klage ist, wie denn die Musik, sobald sie sich als Ausdruck begreift, am Beginn ihrer modernen Geschichte, zur Klage wird und zum ‚Lasciatemi morire‘, zur Klage der Ariadne, zum leis widerhallenden Klagegesang von Nymphen.“ (Mann 1947/1974, S.644)Deshalb ist es auch kein gutes Zeichen, daß Adrian Leverkühn zum Lachen neigt, insbesondere wenn er mit intensiven Gefühlen konfrontiert wird. Es ist ein leicht spöttisches, sich distanzierendes Lachen; da will und kann sich einer nicht gemein machen mit den Niederungen und Peinlichkeiten unserer Menschlichkeit.
„Dieser merkwürdige Kopf hat die berufliche Entscheidung zwischen Philosophie und Musik sein Leben lang abgelehnt. Zu gewiß war es ihm, daß er in beiden divergenten Bereichen eigentlich das Gleiche verfolge.“ (Vgl. Mann 1949/1974, S.709)Das „Gleiche“ in den beiden „divergenten Bereichen“ war für Adorno aber immer das Nicht-Identische, also das, was nicht in begrifflichen (oder musikalischen) Konstruktionen aufging: der Schmerz und das Leid der Kreatur.
„... das Merkwürdigste, was mir je vor Augen gekommen: merkwürdig nicht so sehr um seines (des Experiments – DZ) allerdings sehr wunderlichen und verwirrenden Ansehens willen, als wegen seiner tief melancholischen Natur. Denn wenn Vater Leverkühn uns fragte, was wir davon hielten, und wir ihm zaghaft antworteten es möchten Pflanzen sein, – ‚nein‘, erwiderte er, ‚es sind keine, sie tun nur so. Aber achtet sie darum nicht geringer! Eben daß sie so tun und sich aufs beste darum bemühen, ist jeglicher Achtung würdig.‘“ (Vgl. Mann 1947/1974, S.65)Wo Zeitblom selbst ein Unbehagen, aber auch ein vages Mitleid mit der toten Materie empfindet, entlockt das Experiment des Vaters bei Adrian nur ein Lachen.
„Ich habe es schon gesagt und sage es hier wieder, natürlich im allgemeinen gesprochen und den Durchschnitt gemeint, daß mir ein Kurde zehnmal lieber ist als ein Armenier, obgleich der letztere ein Christ ist. Wenn und wo auch im Oriente irgend eine Niederträchtigkeit geschieht, da hat gewiß ein Levantiner, ein Grieche oder, was noch viel leichter denkbar ist, ein habichtsnäsiger Armenier die Hand im Spiele.“ (Karl Mays Werke: Im Reiche des silbernen Löwen II. KMW-IV.23, S.476 (Greno Verlag))In US-Amerika sind es meistens die Yankees, die die Rolle des Bösewichts übernehmen müssen; oder auch die Mormonen. Aber fast nie sind es die Deutschen, obwohl es schon damals nicht wenige davon in dieser Weltregion gab.
„‚Ein Mischling!‘ sagte sie. ‚Du bist doch immer der Meinung, daß diese Halbblutleute meist nur die schlimmen Eigenschaften ihrer Eltern erben?‘“ (Karl Mays Werke: Winnetou IV. KMW-V.7, S.306 (Greno Verlag))Kein Wunder, daß Old Shatterhand Nscho tschi nicht heiraten wollte!
„‚Das sind nun zwei lebende Beispiele von den verachteten Menschen, denen man in Europa nachsagt, daß sie fast auf der Stufe der Tiere stehen‘, sagte Schwarz. ‚Unter tausend Weißen würde sich wohl kaum einer finden, der für seine Landsleute das wagte, was diese beiden wackern Kerls riskieren.‘“ (Karl Mays Werke: Die Sklavenkarawane. KMW-III.3, S.584 (Greno Verlag))Solche Stellen finden sich auch in anderen Karl-May-Büchern immer wieder, etwa in „Old Surehand“ (1894/95), wo Shatterhand/May zunächst im besten christlich-humanistischen Eifer dem unverbesserlichen Rassisten Old Wabble eine Predigt über die Gleichheit der Menschen hält:
„Ich beabsichtigte, aufrichtig, aber nicht höflich zu sein. Ich bin nicht höflich gegen Leute, welche ihre Nebenmenschen verachten. Wenn man Euch einmal in die Erde scharrt, wird aus Eurem weißhäutigen Leibe grad und genau so ein stinkiger Kadaver wie aus einer Negerleiche. Das werdet Ihr wohl zugeben, und nun habt die Güte und zählt mir einmal Eure sonstigen Vorzüge auf! Es sind alle, alle Menschen Gottes Geschöpfe und Gottes Kinder, und wenn Ihr Euch einbildet, daß er Euch aus einem ganz besonders kostbaren Stoffe geschaffen habe und daß Ihr sein ganz besonderer Liebling seiet, so befindet Ihr Euch in einem Irrtum, den man eigentlich gar nicht begreifen kann.“ (Karl Mays Werke: Old Surehand I. KMW-IV.18, S.241-242)An späterer Stelle im selben Buch bescheinigt Old Shatterhand dem „Neger Bob“, um den es in dieser Auseinandersetzung mit Old Wabble ging, nicht etwa nur ihm selbst, sondern auch seiner „Rasse“ wegen, beschränkte geistige Fähigkeiten, auf die er sich bei der Suche nach einer Oase im Liano Estacado nicht verlassen kann, obwohl er, also Bob, dort zuhause ist:
„Zwar war der Neger bei mir, aber, die geistigen Schwächen seiner Rasse überhaupt nicht gerechnet, war er stets nur mit Bloody-Fox durch die Wüste geritten, hatte sich auf diesen verlassen und konnte mir also nicht die geringste Auskunft geben.“ (Karl Mays Werke: Old Surehand I. KMW-IV.18, S.317-318)Predigten zur Gleichheit aller Menschen wechseln sich immer wieder mit platten Rassismen ab. Man hat den Eindruck, hier weiß die rechte Hand nicht, was die linke tut, als wären Mays Gehirnhälften lobotomisiert. Zwei Autoren statt einem. Könnte man meinen. Letztlich also nur eine weitere inhaltliche Inkonsistenz.
„Habt ihr begriffen, daß es keinem Volk erlaubt ist, Kind zu bleiben? – Daß ihr einst Kinder waret und nur darum dem Untergange zugetrieben wurdet, weil ihr nicht aufhören wolltet, Kinder zu sein? Habt ihr begriffen, daß ihr als Kinder eingeschlafen seid, um nun nach schweren Niagaraträumen als Männer zu erwachen?“ (Karl Mays Werke: Winnetou IV. KMW-V.7, S.286 (Greno-Verlag))In „Old Surehand III“ rechtfertigt Shatterhand-May die Bestrafung einiger Übeltäter pädagogisch. Kinder bedürfen einer besonderen pädagogischen Aufmerksamkeit:
„Wie denke ich überhaupt über die Prügelstrafe? Sie ist für jeden Menschen, der noch einen moralischen Halt besitzt, fürchterlich; sie kann sogar diesen letzten Fall vollends zerstören. Aber der Vater straft sein Kind, der Lehrer seinen Schüler mit der Rute, um ihm grad diesen moralischen Halt beizubringen!“ (Karl Mays Werke: Old Surehand III. KMW-IV.20, S.307 (Greno Verlag))Genauso erklärt Karl May dem jungen Adler die mißliche Lage der Indianer als eine Form göttlicher Pädagogik. Und genau in dieser Tradition steht auch der Kolonialismus. Der angebliche Kindheitsstatus der indigenen Völker galt als päpstlicherseits hochoffiziell beglaubigte Rechtfertigung für die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft im Dienste der Plünderung der Ressourcen ihrer Länder, was man auch einfach ‚Kolonialismus‘ nennt. Diese ‚Christianisierung‘ (via Kolonialisierung) der indigenen Bevölkerung, also die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft zum Zwecke ihrer kulturellen Weiterentwicklung, erwies sich für die spanischen Konquistadoren als wesentlich kostengünstiger als die Sklavenhaltung. Insofern verträgt sich Mays christlicher Humanismus mit gelegentlichem Rassismus eigentlich ganz gut. Auch wenn die weiter oben erwähnte Stelle aus dem „Buch der Liebe“ nicht aus Mays eigener Feder stammt: sie paßt zu seiner christlichen Evolutionserzählung.
„Er trug einen blausamtenen Schnürenrock, eine rote Weste, weiße Lederhosen und hohe, lacklederne Stulpenstiefel, an denen ungeheure Sporen klirrten, welche mexikanischen Ursprunges waren und deren Räder einen Durchmesser von drittehalb Zoll besaßen. Auf den lang herabwallenden, dichten Locken saß ein rotgoldenes Cerevis. Die Hände trug er weltverächtlich in den Hosentaschen. Zwischen den Zähnen hielt er das Mundstück einer persischen Wasserpfeife, deren Rauch er in dicken Schwaden von sich stieß.“ (Karl Mays Werke: Kong-Kheou, das Ehrenwort; vgl. KMW-III.2, S.11 (Greno Verlag))Die beschriebene Bekleidung gehört Karl May zufolge zum damaligen Studentenoutfit. Sein Diener Gottfried – Methusalem ist sehr wohlhabend und kann sich nicht nur ein ausgiebiges Studium, sondern auch einen Diener leisten – ist mit derselben Bekleidung ausgestattet. Er trägt auch würdevoll die erwähnte Wasserpfeife hinter ihm her. Voran schreitet Methusalems Hund, ein Neufundländer, und dieser trägt ein leeres Bierglas im Maul. Dieses Bierglases wegen und aufgrund seiner Vorliebe für das dazugehörige Getränk kam der Methusalem mit seiner blaurot verfärbten Akoholikernase übrigens zu seinem Beinamen.
„Ich habe wenig Lust, aus reiner Angst meine deutsche Abstammung zu verleugnen.“ (Karl Mays Werke: Kong-Kheou, das Ehrenwort; vgl. KMW-III.2, S.37 (Greno Verlag))Es sind also eigentlich alle Zutaten für eine Groteske über den Patriotismus vorhanden, aber ich hatte vergessen, vor welchem Hintergrund sie sich abspielt. Bei der erneuten Lektüre wurde mir klar, daß mir mein Gedächtnis einen Streich gespielt hatte. Die eigentliche Groteske stammt nicht vom Autor, sondern richtet sich, von ihm unbeabsichtigt, gegen ihn selbst. Denn alles, was die seltsame Truppe auf ihrer Reise durch China erlebt, spielt sich vor dem Hintergrund einer beständigen Abwertung der chinesischen Kultur und Geschichte ab. Trotz aller satirischen Überzeichnung erweist sich die deutsche Kultur und Gesinnung der chinesischen als himmelhoch überlegen. Tatsächlich macht die lächerliche Erscheinungsweise der Reisegruppe die Herabsetzung der Chinesen nur noch schlimmer, denn sie können selbst solchen Witzfiguren nicht das Wasser reichen. Letztlich entpuppt sich der bierselige deutsche Student doch noch als ein weiterer Superheld, dem alles gelingt und dem nichts und niemand, schon gar kein Chinese, etwas anhaben kann.
„Er (der „chinesische Knabe“ – DZ) ist ein Erwachsener in verkleinertem Maßstabe. Sein gelbes Gesicht rötet sich höchstens dann ein wenig, wenn er ein Heimchen erblickt. Er fängt es, sucht noch eins dazu und setzt sich nieder, um die beiden Tiere gegeneinander kämpfen zu lassen. Mit Behagen sieht er, wie sie sich die Glieder abbeißen, sich gräßlich verstümmeln und selbst dann noch kämpfen, wenn sie nur noch aus dem gliederlosen Rumpfe bestehen. Ist es da ein Wunder, daß die Grausam- und Gefühllosigkeit des Chinesen als eine seiner hervorragendsten Eigenschaften bezeichnet werden muß?“ (Karl Mays Werke: Kong-Kheou, das Ehrenwort; vgl. KMW-III.2, S.223 (Greno Verlag))Ich will die Reihe solcher ethnologischen ‚Einsichten‘ nicht unnötig verlängern. Allerdings kann ich mich nicht enthalten, abschließend noch eine interessante ‚Studie‘ zu den chinesischen „Stinktöpfen“ zu erwähnen. Der Methusalem befindet sich mit seinen Leuten auf einer Piratendschunke. Es ist ihnen gelungen, sich aus der Kajüte, in der sie eingeschlossen gewesen waren, zu befreien und nun wiederum die Piraten unter Deck einzuschließen. Um die Piraten endgültig zu entwaffnen und zu fesseln, entscheiden sie sich, die an Bord vorhandenen Stinktöpfe einzusetzen. Darauf folgt eine ethnologische Erörterung des Autors:
„Nur der Chinese kann auf eine solche Erfindung verfallen. Der Räuber eines jeden andern Landes wagt sein Leben. Der chinesische Pirat besiegt seine Gegner mit Gestank!“ (Karl Mays Werke: Kong-Kheou, das Ehrenwort; vgl. KMW-III.2, S.204 (Greno Verlag))Sogar unter Räubern gibt es also kulturelle Rangunterschiede, und die niedrigste Stufe nimmt dabei der chinesische Pirat ein. Was Karl May damals selbstverständlich nicht wissen konnte: Nur ein Vierteljahrhundert nach Erscheinen seines Buches, im ersten Weltkrieg, werden die den Chinesen kulturell angeblich so überlegenen Deutschen etwas erfinden und zur Anwendung bringen, das die chinesischen Stinktöpfe an perverser Grausamkeit bei weitem übertrifft: das Senfgas. Weitere Hinweise auf die üblen Praktiken im ‚Umgang‘ mit Gas gerade in Deutschland erspare ich mir an dieser Stelle.
„Sein Gesicht zeigte zwar auch den Zug von Verschlagenheit, der allen Eseltreibern eigen ist, aber er war nicht aufdringlich und lag seinem Geschäfte in einer Weise ob, als werde Jedem, der sich seines Esels bediente, eine ganz besondere Gunst erwiesen.“ (Karl Mays Werke: Und Friede auf Erden!; (vgl. KMW-V.2, S.2 (Greno Verlag))Man erfährt also, daß es geraten ist, sich vor Eselstreibern in Acht zu nehmen, denn sie sind alle ‚verschlagen‘, also hinterhältig. Aber immerhin: Sejjid Omar ist zwar zunächst ein Eselstreiber, doch ist er, wie sich dann herausstellt, bildungsfähig und letztlich das Musterbeispiel eines edlen und stolzen Arabers.
„Was ihre Gesichter betrifft, so trat der mongolische Schnitt derselben nur wenig hervor. Bei dem Sohne mochte diese Milderung eine Folge der Jugend sein; bei dem Vater aber war es ganz entschieden der Wirkung geistiger Tätigkeit zuzuschreiben, daß ihn fast nur der echt chinesisch gepflegte Bart als einen ‚Sohn der Mitte‘ verriet.“ (Karl Mays Werke: Und Friede auf Erden!; vgl. KMW-V.2, S.4 (Greno Verlag))Karl May arbeitet also weiterhin mit solchen Stereotypen, auf die er anscheinend einfach nicht verzichten kann. Trotzdem gibt er sich große Mühe, immer wieder klarzustellen, daß alle Völker und Nationalitäten einander gleichgestellt sind und keines als geringer gewertet werden darf als ein anderes: „Kein Mensch, kein Stand, kein Volk“ dürfe „sich rühmen, von Gott mit irgend einer speziellen Auszeichnung begnadet worden zu sein“. (Vgl. Karl Mays Werke: Und Friede auf Erden!; vgl. KMW-V.2, S.24 (Greno Verlag))
„Man beobachte den Europäer, wie er aus hochmütigen Augen im fremden Lande um sich schaut! Der Schiffsjunge, welcher jetzt wegen unheilbarer Dummheit vom Maate mit dem Tau verhauen wird, geht eine Viertelstunde später mit dem erhebenden Bewußtsein an das Land, daß alle Malaien und Chinesen Penangs nicht wert seien, ihm die ochsenledernen Stiefel zu schmieren, und zwar nur deshalb, weil er ein Kaukasier aus Dorf Klapperschnalle ist!“ (Karl Mays Werke: Und Friede auf Erden!; vgl. KMW-V.2, S.203 (Greno Verlag))Einem chinesischen Wissenschaftler gegenüber leistet Karl May als Autor gewissermaßen Abbitte für alle in seinen früheren Büchern verbrochenen Verbalinjurien gegenüber den eingangs erwähnten Armeniern und Levantinern, oder jener Entgleisung, als die man den „blauroten Methusalem“ bezeichnen muß:
„Ich liebe Ihre Nation. Ich liebe sie nicht weniger als jede andere Rasse. Auch mein Beruf ist, Bücher zu schreiben, ganz so, wie der Ihrige. Und ich versichere Ihnen, daß ich niemals imstande sein werde, ohne vorherige, genaue Prüfung mein eigenes Volk auf Kosten anderer Völker herauszustreichen!“ (Karl Mays Werke: Und Friede auf Erden!; vgl. KMW-V.2, S.170 (Greno Verlag))May spricht hier von der Zukunft, in der er nicht mehr imstande sein wird, solche Bücher zu schreiben; was immerhin offen läßt, daß er früher schon solche Bücher geschrieben hat. So kann diese Textstelle immerhin als eine Entschuldigung für vergangene Sünden gelten.
„So paß auf: Jeder Mensch, zu dem wir kommen, gehört uns, und zwar mit Allem, was er besitzt.“Sogar das Christentum wird nicht verschont: „Wir sind Christen.“ gesteht May dem Häuptling gegenüber ein.
„Wirklich?“ fragte er erstaunt.
„Ja,“ antwortete ich mit besonderer Betonung.
„Da seid ihr schöne Kerle! Pfui Teufel!“
(Karl Mays Werke: Ardistan und Dschinnistan; vgl. KMW-V.5, S.88 (Greno Verlag))
„Das will ich glauben! Denn wohin die Christen nur kommen, da stehlen sie Alles, Alles weg, was sie nur finden.“Letztlich muß der Häuptling zugeben, daß seine eigenen Gesetze auch nicht besser sind als die Gesetze in Mays Heimat, also in Europa. Die beiden werden Freunde, und Mays damalige Leser im Kaiser-Wilhelm-Land, das selbst gerade erst in den Kreis der Kolonialmächte aufgestiegen war (inklusive dem Genozid an den Herrero und Nama), hatten hier eine Lektüre zu verdauen, die ihnen sicher noch eine Weile schwer im Magen gelegen haben dürfte.
„Woher weißt du das?“
„Das weiß doch die ganze Welt! Erst sind die Christen Bettler gewesen, blutarme Leute, haben gar nichts gehabt und ihren Hunger von den Aehren des Getreides gestillt. Isa Ben Marryam, der Stifter ihrer Religion, hat nicht einmal gehabt, wohin er sein Haupt legte. Und heute gehören ihnen die meisten Länder und die meisten Völker der Erde. Das Alles haben sie sich zusammengeraubt und zusammengestohlen, teils mit List und teils mit Gewalt. Und sie sind hiermit nicht etwa zufrieden, sondern sie rauben und stehlen weiter, und sie werden mit ihren Listen und Gewalttaten nicht eher aufhören, als bis sie Alles besitzen, was es auf Erden gibt! Und zu diesen Räubern, Mördern und Gaunern gehörst auch du?“
„Ja.“
„Pfui Teufel!“
(Karl Mays Werke: Ardistan und Dschinnistan I; vgl. KMW-V.5, S.89 (Greno Verlag))
Auf Seite 67, Zeile 10, fehlt ein ‚n‘ in „I()somnia“!Nachdem ich hiermit klargestellt habe, daß ich ein Rezensent bin, der sich von einem Mythenmetz nicht einschüchtern läßt, möchte ich jetzt gerne zu der wunderbaren Übersetzung seines Buches von Walter Moers zurückkehren. Im Nachwort offenbart Moers den Lesern seines Buches, daß der Anlaß seiner ‚Übersetzung‘ der Brief einer Leserin gewesen sei, die am chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS) erkrankt sei. In ihrem Brief schreibt die Leserin, daß sie ihre schlaflosen Nächte mit dem Lesen seiner Zamonienromane verbringe, die sie von ihrer Krankheit ablenken. (Vgl. Moers 2/2017, S.337f.)
Auf Seite 84, Zeile 25, ist in „als(o)“ ein ‚o‘ zu viel!
Auf Seite 126, Zeile 18, fehlt in „Unbenn()bares“ eine ganze Silbe!
Auf Seite 327, Zeile 22, fehlt das Endzeichen!
„Dylia erschrak bei dem Anblick, aber nicht aus Furcht oder Bestürzung. Dann musste sie auflachen, aber nur ganz kurz. Und schließlich schossen ihr die Tränen in die Augen. Ja, da lag es. Ganz oben auf dem Stapel mit den Pfauenwörtern. Lag? Nein – da thronte es. Plötzlich unübersehbar, alles überragend und überstrahlend, den ganzen riesigen Raum mit seiner einzigartigen Präsenz beherrschend.“ (Moers 2/2017, S.145f.)Wir befinden uns erst in der Mitte des Buches, und deshalb verrät uns Moers natürlich noch nicht, wie dieses Wort lautet. Aber gewitzt wie ich bin – Achtung Spoilergefahr! – schaue ich am Ende des Buches nach. Und ich bin enttäuscht: ‚Dylia‘ ist das Oberüberwort, also der Name der Prinzessin! Wie langweilig.
„Von Anfang an beherrschten sie die Kunst, rasch und geräuschlos zu verschwinden, wenn große Leute, denen sie nicht begegnen wollen, dahertrampelten; und diese Kunst haben sie weiterentwickelt, bis sie den Menschen wie Zauberei vorkam. In Wirklichkeit haben sich die Hobbits niemals mit Zauberei irgendeiner Art befasst, und ihre Fähigkeit, sich zu verflüchtigen, beruht allein auf einer durch Vererbung und Übung und innige Erdverbundenheit so vollkommenen Geschicklichkeit, dass sie für größere und plumpere Rassen unnachahmlich ist.“ (Tolkien 2008, S.17)An dieser Stelle deutet sich schon an, daß Tolkien Zauberei generell für ziemlich überbewertet hält. Um das tägliche Leben zu meistern, bedarf es geringerer, nüchternerer Gaben, die vor allem der Ergänzung durch ‚Übung‘ bedürfen, um sich entfalten zu können, getreu dem Goetheschen Diktum: „Was Du ererbt von Deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen!“
„‚Was ist das?‘, fragte Sam und nahm eine (Seilrolle – DZ) in die Hand, die auf dem Rasen lag. ‚Seile natürlich‘, antwortete der Elb aus den Booten. ‚Man soll niemals lange ohne ein Seil unterwegs sein! Und eins, das lang und stark und leicht ist. So wie diese sind. Sie mögen eine Hilfe sein in manchen Notlagen.‘ ‚Das braucht Ihr mir nicht zu sagen!‘, sagte Sam. ‚Ich kam ohne eins hierher und war die ganze Zeit darüber beunruhigt. Aber ich frage mich, woraus diese gemacht sind, denn ich weiß ein bisschen Bescheid mit der Seilerei: Es liegt in der Familie, wie man sagen könnte.‘ ‚Sie sind aus hithlain‘, sagte der Elb. ‚Aber jetzt ist keine Zeit mehr, dich in der Kunst ihrer Herstellung zu unterrichten. Hätten wir gewusst, dass dieses Handwerk dir Freude macht, dann hätten wir dir viel beibringen können. ...‘“ (Tolkien 2008, S.416)An einer anderen Stelle bewundert Pippin ein paar Mäntel und fragt, ob sie mit Hilfe von Zauberei hergestellt worden seien. Die Antwort, die der Elb ihm gibt, erinnert an unsere Outdoor-Kleidungen, deren Materialeigenschaften ja gerne mit den neuesten Erkenntnissen aus Wissenschaft und Technik beworben werden:
„Es sind schöne Mäntel, und das Gewebe ist gut, denn es ist in diesem Land hergestellt worden. Gewiss sind es Elbengewänder, wenn es das ist, was du meinst. Blatt und Zweig, Wasser und Stein: Sie haben den Farbton und die Schönheit all dieser Dinge unter dem Zwielicht von Lórien, das wir lieben, denn bei allem, was wir herstellen, denken wir an all das, was wir lieben, indes sind es Kleidungsstücke, keine Panzer, und sie werden weder Speer noch Klinge abwehren. Doch sollten sie euch gute Dienste leisten. Sie sind leicht im Tragen und warm oder kühl genug, je nach Bedarf. Und ihr werdet merken, dass sie eine große Hilfe sind, wenn ihr euch dem Blick unfreundlicher Augen entziehen wollt, ob ihr nun zwischen Steinen oder unter Bäumen steht.“ (Tolkien 2008, S.414f.)So wie der Elb die grauen Umhänge beschreibt, mit denen sie die neun Gefährten beschenken, bilden sie Metaphern auf das Land und auf das Leben der Elben. Die Umhänge bilden Gedichte, in die die Elben ihre schönsten Empfindungen und ihre edelsten Gedanken hineingewebt haben. Tatsächlich erinnern diese Umhänge sogar ein wenig an das, was Plessner ‚Seele‘ nennt: denn so sehr sie den tiefsten Empfindungen der Elben Ausdruck verleihen (Expressivität), so sehr entziehen sie – im Sinne des noli me tangere – zugleich ihre Träger den neugierigen Blicken einer zudringlichen Umwelt.
„Er hat Erde unter seinen Füßen und Lehm an seinen Fingern: Weisheit in seinen Knochen, und beide Augen hält er offen“. (Vgl. Tolkien 2008, S.158)Weisheit wird hier mit Erde in Verbindung gebracht, und die unter der Erde wohnenden Hobbits werden oft mit Baumwurzeln verglichen, deren tiefverwurzelte Kraft, wie Gandalf hervorhebt, eine Charaktereigenschaft der Hobbits bildet:
„Weich wie Butter können sie sein, und doch bisweilen zäh wie alte Baumwurzeln. Ich halte es für wahrscheinlich, dass manche den Ringen weit länger widerstehen können, als die meisten Weisen vermuten würden.“ (Tolkien 2008, S.67)Und damit wären wir auch wieder beim Thema ‚Macht‘. Denn auch Tom Bombadil, der seine Sympathie für die Hobbits äußert, hat sich an ein Stück Land gebunden, den Alten Wald und die Hügelgräberhöhen, in dessen Grenzen er sich als „Meister“ erweist. Und zwar als ein Meister des Seins. Auf die Frage Frodos, wer Tom Bombadil sei, antwortet Goldbeere schlicht und einfach: „ Er ist!“ (Vgl. Tolkien 2008, S.149)
„‚Aber es ist nicht euer eigenes Auenland‘, antwortete Gildor. ‚Andere lebten schon hier, ehe es Hobbits gab; und andere werden hier wieder leben, wenn Hobbits nicht mehr sind. Die weite Welt erstreckt sich rings um euch: Ihr könnt euch absperren, doch könnt ihr sie nicht für immer aussperren.‘“ (Tolkien 2008, S.106)Was die Hobbits also zu so geeigneten Ringträgern macht – wohlgemerkt: nicht Ringbesitzern! –, ist eben ihre Erdverbundenheit und ihre Neigung, sich komplizierteren Entwicklungen der Technologie zu verweigern. Tolkien selbst mochte keine Flugzeuge, die er als Kriegsflugzeuge kennengelernt hatte und die er mit der Kriegsmaschinerie der Orks verglich. Und er mochte keine Autos, weil er noch mitangesehen hatte, wie sie die von ihm so geliebten alten Innenstädte zerstörten, um sie ‚autogerechter‘ zu machen. Als man ihm Eskapismus vorwarf – ein beliebter Vorwurf gegenüber der sogenannten Trivialliteratur, die die Menschen zum Tagträumen verleitet, anstatt sie realitätstauglicher zu machen –, entgegnete er nur trocken, daß Eskapismus auch sein Gutes habe: etwa wenn man in einem Gefängnis sitzt.