„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Montag, 22. April 2019

Der zweite Gedanke

In meinem gestrigen Post war von meinem zweiten Gedanken die Rede gewesen, der darin besteht, daß Sagen und Meinen niemals zur Deckung kommen und daß das der Grund ist, warum das, was wir sagen, eine Bedeutung hat. Hier bewege ich mich aber noch auf der Ebene von Wörtern. (Vgl. hierzu meinen Blogpost vom 15.06.2012)  In anderen Posts habe ich auf die S/P-Struktur von Sätzen hingewiesen. Beides, die Differenz von Sagen und Meinen und die S/P-Struktur von Sätzen, hängt eng zusammen. Beides hat etwas mit unserer gebrochenen Intentionalität zu tun: unser Begehren muß in einer unvollkommenen Welt, einer Welt, die wir nicht gemacht haben, immer unbefriedigt bleiben. Die Quelle der Macht von Magie, Religion und Technik liegt in dem Versprechen unmittelbarer Wunscherfüllung; im Diesseits oder im Jenseits macht dabei keinen Unterschied.

In diesem Blogpost möchte ich nochmal auf die S/P-Struktur von Sätzen eingehen und in dieser Hinsicht meinen zweiten Gedanken etwas detaillierter erläutern. Mit der Subjekt-Prädikatstruktur (S/P-Struktur) eines Satzes meine ich die die grammatische Struktur überschreitende Verbindung eines Satzes mit seinem Gegenstand. Beim Gegenstand handelt es sich um ein dem Satz transzendentes, wirkliches Objekt, auf das der Satz nur verweisen (referieren) und das er nur beschreiben (prädizieren) kann. ‚Prädizieren‘ bedeutet, daß ‚etwas‘ (Prädikat) über ‚etwas‘ (Objekt) ausgesagt wird. Das prädizierte Objekt können wir mit Mauthner auch als das eigentliche Subjekt des Satzes oder auch als ‚Realobjekt‘ bezeichnen, das nicht mit dem grammatischen Subjekt identisch sein muß. Nennen wir das grammatische Subjekt deshalb ‚S‘ und das Realobjekt ‚S'‘.

S' kann mit der Position von S im Satz identisch sein, ohne daß S' und S identisch sind. Wenn also „Die Studenten in Berlin demonstrieren“, dann sind die „Studenten“  gleichzeitig S und S', also gleichzeitig Satzsubjekt und wirkliches Subjekt bzw. Realobjekt, ohne daß die wirklichen Studenten mit dem Satzsubjekt identisch sind. Im Satz „Die Studienzeit bietet vielen Studenten die Möglichkeit, sich politisch zu engagieren“ sind die Studenten hingegen Bestandteil des Prädikats, das das Satzsubjekt (Studienzeit) prädiziert; aber zugleich bilden sie als Realobjekt das eigentliche Subjekt, S', des Satzes, in dem es um die Studenten geht und nicht um die Studienzeit. Hier fallen die realen Studenten (S') mit der grammatischen Position von S (Studienzeit) nicht zusammen. Der Satz kann auf die Studenten, als seinem Realobjekt, nur verweisen.

Mit dieser S/P-Struktur, also der Unterscheidung von Prädikat und Objekt bzw. von S und S', versuche ich dem Umstand gerecht zu werden, daß Sätze von wirklichen Gegenständen handeln, aber nicht mit diesen wirklichen Gegenständen identisch sind. Sätze spiegeln auf diese Weise die Struktur unserer gebrochenen Intentionalität.
PS: Die S/P-Struktur von Sätzen ähnelt übrigens der Struktur der Gestaltwahrnehmung (mein vierter Gedanke): Subjekt = Hintergrund und Prädikat = Vordergrund; was wir auf verschiedene Weise prädizieren (in den Vordergrund rücken), nämlich das Realobjekt, bleibt selbst unverändert im Hintergrund.
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Sonntag, 21. April 2019

Ertrag




Neun Jahre Erkenntnisethik liegen hinter mir und versinken im vom Meer aufgewühlten Sand. Noch ein Jahr.

Es sind vor allem fünf Gedanken, die ich diesem Blog verdanke.

Der erste Gedanke ist anthropologisch und stammt von Helmuth Plessner: der Mensch ist exzentrisch positioniert. Ich beziehe Plessners These auf das Zusammenspiel von drei Entwicklungsebenen, die als Ganzes einen Menschen ergeben, also auf biologische, auf kulturelle und auf individuelle Entwicklungsprozesse. Diese drei Entwicklungsprozesse bilden aufgrund ihrer unterschiedlichen Zeitlichkeit – biologisch: Jahrhunderttausende; kulturell: Jahrtausende; individuell: ein Menschenleben – einen Anachronismus. Sie stimmen also in ihrer Zeitlichkeit nicht überein, und jede Entwicklungsebene versucht, die jeweils anderen beiden zu dominieren. Das macht den Menschen einerseits zu einem Wesen jenseits von Gut und Böse; und andererseits zwingt es ihm eine Verantwortung auf, die er an keine Gruppe delegieren kann und der er sich nur als Individuum stellen kann.

Mein zweiter Gedanke ist semantisch: nur Wörter und Sätze haben Bedeutung, insofern sie auf ein Subjekt verweisen, das nicht mit ihnen identisch ist. Bedeutung basiert auf der Differenz von Sagen und Meinen. Wo Sagen und Meinen zur Deckung kommen, wie in Algorithmen und mathematischen Zeichen, werden diese Zeichensysteme bedeutungsleer und damit bedeutungslos.

Mein dritter Gedanke ist soziologisch. Ich unterscheide mit Michael Tomasello zwischen Zweit- und Drittpersonalität. Zweit- und Drittpersonalität bilden zwei völlig unterschiedliche und voneinander unabhängige Sozialformen. Zwischen Ich und Du auf der Ebene der Zweitpersonalität spielen sich völlig andere soziale Prozesse ab als zwischen Ich und Du auf der Ebene der Drittpersonalität. Der Mensch ist in der Gruppe ein anderer Mensch, so sehr, daß ich mich allen Ernstes frage, ob er überhaupt noch ein Mensch ist. Menschheit, als human gehaltvoller Begriff, basiert auf Zweitpersonalität, weil nur hier nicht exkludiert wird. Es sind immer nur Gruppen, die sich voneinander abgrenzen.

Mein vierter Gedanke ist phänomenologisch: alles menschliche Wissen basiert auf Gestaltwahrnehmung. Die Gestaltwahrnehmung haftet an Oberflächen und differenziert sich nach Vordergrund und Hintergrund, und nach Vorderseite und Rückseite. Diese Wahrnehmungsformen begründen und begrenzen unser Wissen, das Wissen, auf das es ankommt. Es sind vor allem die Geisteswissenschaften, die sich mit dieser Art Wissen befassen. Die Naturwissenschaften haben diesen Weg verlassen und sich einem Wissen zugewandt, das nur noch nominell ‚empirisch‘, tatsächlich aber post-empirisch, letztlich post-faktisch orientiert ist. Sie sind nicht mehr an Phänomenen und folglich auch nicht mehr am Menschen interessiert.

Mein fünfter Gedanke ist es, dem Phänomenalismus einen Strukturalismus gegenüberzustellen. Mit ‚Struktur‘ meine ich zunächst eine Abstraktionsform der Gestalt, die sich berechnen läßt. Hinzu kommt eine hermeneutische Dimension, die die Struktur als ein Moment von Texten versteht, in denen der Sinn nicht mit dem geschriebenen oder gesprochenen Wort identisch ist, sondern nur vom Textganzen her erschlossen werden kann. Anders als die strukturalistische Abstraktionsform, die sich nur für das mathematisierbare Moment des menschlichen Weltverhältnisses interessiert, ist der hermeneutische Strukturalismus mit einer phänomenalen Einstellung zur Welt vereinbar. Eine Verbindung von Hermeneutik und Phänomenologie könnte man auch als phänomenale Strukturanalyse bezeichnen. In ihr geht es vor allem um innere Bewußtseinsgegenstände und ihre narrative Struktur. Ein solcher hermeneutischer Strukturalismus basiert auf der Differenz von Sagen und Meinen und hat nichts mit der strukturalistischen Abstraktionsform mathematischer Welterklärungsmodelle gemein.

Ich glaube, ich kann zufrieden sein, in meinem Leben immerhin fünf Gedanken gedacht zu haben. Unter diesen Gedanken ist der Anachronismus mein schönster. Er bedeutet, daß Adorno Unrecht hat. Es gibt ein richtiges Leben im falschen! Dieser Gedanke macht, daß die Möwe fliegt.
(Es gibt noch einen sechsten Gedanken, und auf den komme ich im letzten Blogpost in einem Jahr zu sprechen.)
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Mittwoch, 3. April 2019

Hans Blumenberg, Phänomenologische Schriften: 1981-1988, hrsg.v. Nicola Zambon, Berlin 2018

1. Sorge und Hiatus
2. Fugen, Poren und Hiatus
3. Apperzeption und Appräsentation

Als Husserl nach seiner transzendental-phänomenologischen Periode versuchte, die ursprünglich aus der Meditation ausgeschlossene Welt wieder in diese Meditation miteinzubeziehen, wandte er sich der Problematik der Lebenswelt und der Intersubjektivität zu. Die Basis der subjektiven Anschauungen war geklärt: sie bestand in der Gewißheit des Cogito – ich denke, also bin ich –, umgewandelt in die Kantsche Apperzeptionsgewißheit, die es dem denkenden Subjekt ermöglicht, sich selbst in seinen verschiedenen Lebensvollzügen zu beobachten. Mit der Welt, der gemeinsamen Welt von interagierenden Subjekten, entstand für die Phänomenologie aber nun eine neue Gewißheitsproblematik: woher weiß ego, daß alter ego ebenfalls apperzipiert?

Ich habe nur die Gewißheit meiner selbst, so wie jedes andere Ich ebenfalls nur die Gewißheit seiner selbst hat. Die Gewißheit des jeweils anderen bleibt uns fremd. Wie also ist die Fremdwahrnehmung der Selbstgewißheit anderer Ichs wie ich selbst möglich? Husserls Antwort: durch Appräsentation, also durch „Mitvergegenwärtigung des Subjekts“ im anderen Leib. (Vgl. Blumenberg 2018, S.491) Appräsentation ist im Grunde nichts anderes als Apperzeption bezogen auf die inneren Zustände des fremden Menschen. Ich weiß, daß meine Mitmenschen beseelt sind, weil ich von mir selbst weiß, daß ich beseelt bin.

Jetzt stellt sich aber immer noch die Frage, von welcher Art die Anschauung ist, die ich der Fremdwahrnehmung als Appräsentation zugrundelege? Eine mögliche Antwort darauf wäre, daß ich mir selbst als einem fremden Ich begegne und diese Fremdwahrnehmung meiner selbst auf meine Mitmenschen übertrage:
„Husserl hat die Vorstellung gelegentlich berührt, ohne sich für sie zu entscheiden, das Ich könne sich selbst in der Erinnerung als das erinnerte Ich eines erinnerten Erlebnisses zum ‚anderen Ich‘ werden. ... Ohne diesen anschaulichen Vorgriff der inneren Erfahrung könnte keine äußere Erfahrung jemals die Qualität der Fremderfahrung annehmen ...“ (Blumenberg 2018, S.386f.)
Blumenberg verallgemeinert diese Fremderfahrung, indem er sie auf alle inneren Erfahrungen überträgt, „insofern jedes Ich sich nur in der Form des inneren Sinnes als Erscheinung gegeben ist, sich sogar als freies Subjekt nicht unmittelbar zugänglich werden kann, sondern nur über das Faktum des sittlichen Sollens als freies Subjekt zu erschließen vermag“. (Vgl. Blumenberg 2018, S.387)

Diese Feststellung kommt nah an Plessners anthropologischen Fundamentalsatz heran, „daß niemand von sich selber weiß, ob er es noch ist, der weint und lacht, denkt und Entschlüsse faßt, oder dieses von ihm schon abgespaltene Selbst, der Andere in ihm, sein Gegenbild und vielleicht sein Gegenpol“. (Vgl. Helmuth Plessner, Stufen des Organischen (1928/1975), S.298f.)

Die innere Anschauung ist also Blumenberg zufolge – trotz cogito – zweifelhaft. Stattdessen schlägt er vor, die Fremdwahrnehmung des anderen Menschen mit der Dingwahrnehmung zu vergleichen. Auch in der Dingwahrnehmung sehen wir den physischen Dingen wie etwa einem Stein mehr an, als der bloße Anblick herzugeben scheint, etwa die Schwere des Steins und die Möglichkeit, ihn als Wurfgeschoß zu benutzen. (Vgl. Blumenberg 2018, S.493) Auch das ist eine Appräsentation, nämlich eine „Mitvergegenwärtigung“ der Schwere und der Wucht eines einmal in Bewegung versetzten Steins, den man vorläufig nur regungslos daliegen sieht:
„Dieses präsumtive Moment am Sehen ist es, das die Verbindung zur Appräsentation herstellt.“ (Blumenberg 2018, S.493)
Die Schwere des Steins gehört zu der „Fülle“, die einen Gegenstand, den man wahrnimmt, bei näherer Beschäftigung mit ihm eröffnet, nämlich eine Fülle von Eigenschaften, die beim ersten Anblick noch nicht gesehen werden, die man dem Gegenstand aber ‚ansieht‘. (Vgl. Blumenberg 2018, S.494) Diese Fülle ist mit dem Gegenstand ‚mitgegeben‘.

So ist das auch mit unseren Mitmenschen: wir ‚sehen‘ ihnen ihre Selbstgegebenheit, ihre Subjektivität, ‚an‘. Dieses Ansehen ist Blumenberg zufolge kein bißchen problematischer als die Fülle der Eigenschaften, die uns die Dingwahrnehmung eröffnet. Blumenbergs „Ansehen“ erinnert an Emanuel Levinassens Antlitz, das dieser aber nicht auf Dinge bezieht, sondern für Menschen reserviert.

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Dienstag, 2. April 2019

Hans Blumenberg, Phänomenologische Schriften: 1981-1988, hrsg.v. Nicola Zambon, Berlin 2018

1. Sorge und Hiatus
2. Fugen, Poren und Hiatus
3. Apperzeption und Appräsentation

Immanuel Kant hat Descartes’ cogito als Apperzeption gefaßt. Umfaßte Descartes’ cogito noch alle inneren Zustände eines Subjekts, so spaltet Kant das Denken als Apperzeption von diesen inneren Zuständen ab und versetzt es in eine andere Dimension. Er transzendentalisiert das Denken, was Blumenberg als „geniales Stück“ der Kantschen „Rezeption des cartesischen Cogito“ bezeichnet. (Vgl. Blumenberg 2018, S.80) Kants Version des cogito verwandelt das Denken in einen Beobachter: seine eigenen inneren Zustände – zu denen auch die Wahrnehmung der Außenwelt gehört – beobachtend nimmt das Subjekt sie in seinen Besitz; es wird sich ihrer bewußt.

Blumenberg weist dabei darauf hin, daß diese Beobachtung nicht als Reflexion bewußt vollzogen werden muß. Das ‚Ich denke‘ muß unsere inneren Zustände lediglich begleiten können: Der „Ton“, so Blumenberg, liegt „eher noch mehr auf dem ‚können‘ als auf dem ‚begleiten‘“. (Vgl. Blumenberg 2018, S.384) Schon die bloße Möglichkeit des Denkaktes ermöglicht Blumenberg zufolge die „Hinzufügung des Possessivpronomens“ zu meinen inneren Zuständen. (Vgl. Blumenberg 2018, S.385)

Aus diesem Umstand folgert Blumenberg aber ein Bewußtsein, das nicht fließt oder strömt, also kein kontinuierliches Bewußtsein, sondern ein diskontinuierliches Bewußtsein; nämlich ein diskretes Nacheinander von Bewußtseinzuständen und reflexiven Akten. Denn die Reflexion, so Blumenberg, könne mit den anderen Bewußtseinszuständen nicht gleichzeitig sein. (Vgl. Blumenberg 2018, S.384) Stattdessen müsse man sich ein intermittierendes Bewußtsein vorstellen, das aus einander abwechselnden Bewußtseinszuständen besteht, aus intentionalen Vollzügen und aus ihnen nachfolgenden Denkakten. (Vgl. Blumenberg 2018, S.385f.)

Die Vorstellung, daß wir es hier mit zwei verschiedenen Bewußtseinsebenen zu tun haben, die einander begleiten (was Kontinuität im Bewußtseinsleben zulassen würde) und nicht einander nachfolgen (was Diskontinuität impliziert), wird von Blumenberg an dieser Stelle nicht in Betracht gezogen: die „Nicht-Kontinuität des Bewußtseins“, so Blumenberg, schließt die „Metapher als Strom oder Strömung“ aus. (Vgl. Blumenberg 2018, S.391)

Blumenberg verweist auf den genetischen Zusammenhang dieses Bewußtseinskonzepts mit dem Reflexbogen, bei dem auf Reizen immer Reaktionen folgen. Er vergleicht das mentale „Gefüge von Akt und Inhalt“ mit dem von „Auslöser und Bewegung“. (Vgl. Blumenberg 2018, S.390) In die unmittelbare, spontane Folge von Auslöser und Bewegung tritt nun eine Verzögerung ein, und es kommt nicht gleich zur ausführenden Bewegung:
„Reflexion wäre dann nichts anderes als die Verstärkung dieser rudimentären, entphysiologisierten, entdynamisierten Reaktionen zu einer eigenen Sphäre von immanenter Ausdrücklichkeit.“ (Blumenberg 2018, S.390)
Die Verzögerung im Reflexbogen läßt also Raum für Reflexion, und so entsteht ein intermittierendes Bewußtsein. Den Hervorgang des Bewußtseins aus der Verzögerung des Reflexbogens beschreibt Blumenberg nun aber paradoxerweise als eigentümlich kontinuierlichen Prozeß des Einsickerns in eine poröse Struktur:
„Das intentionale Bewußtsein ist ein ‚Organ‘ diskreter Konsistenz. Der symbolische Kontext der Affektion, den es entgegennimmt, ist so porös mit Intervallen ausgestattet, daß die identische Lebendigkeit des Subjekts in diese Porosität eindringt. Die Wahrnehmung als selbsteigene wird nicht durch bloße Synthesis adaptiert, sondern durch das Eindringen in die Fugen ihrer elementaren Symbole.“ (Blumenberg 2018, S.388)
Das Bewußtsein fließt also doch, nämlich in die Lücken des porösen Wahrnehmungsprozesses, der zu keinen spontanen Handlungen mehr führt.

Aber lassen wir die Wortklauberei. Es bleibt dabei, daß Blumenberg zufolge das Bewußtsein intermittiert: auf Reize folgen keine physischen Reaktionen mehr, sondern mentale Reflexionen. Blumenberg könnte sich auf neuere neurophysiologische Erkenntnisse berufen, denen zufolge das Kernselbst im zwei bis drei Sekundentakt ‚pulsiert‘. (Vgl. Antonio Damasio: „Ich fühle, also bin ich“ (8/2009), S.155f. und Raoul Schrott & Arthur Jacobs: „Gehirn und Gedicht“ (2011), S.33 und S.56) Auch Dekonstruktivisten wie Slavoj Žižek argumentieren mit Lücken im Bewußtseinsprozeß; und zwar als Lücken zwischen Symbolen, die jeweils immer nur das sind (bedeuten), was die anderen nicht sind (bedeuten). (Vgl. Slavoj Žižek: „Disparitäten“ (2018)) Übrigens werden Žižek zufolge diese Lücken zwischen den Symbolen von Phantasmen ausgefüllt, was dem in die porösen Strukturen der Intermittenz einsickernden Bewußtsein („identische Lebendigkeit“) bei Blumenberg entspricht.

Aber der Dekonstruktivismus hebt die Differenz von Innen und Außen auf: Lücken gibt es nicht mehr zwischen uns und der Welt, sondern nur noch zwischen den Symbolen, nämlich als digitale Negation, derzufolge ein Symbol immer das ist, was die anderen nicht sind. Das Bewußtsein funktioniert wie eine Informationsverarbeitungsmaschine. Aber die neurophysiologischen Ergebnisse entsprechen nicht dem subjektiven Erleben. Und was ist eine Phänomenologie noch wert, wenn sie das subjektive Erleben nicht mehr ernst nehmen will?

Es ist natürlich richtig, daß es Vollzüge wie das Schlafen und das Aufwachen gibt, bei denen wir nicht denkend dabei sein können. Auch Handlungsvollzüge wie ein Gespräch sind oftmals ‚gedankenlos‘ im durchaus nicht-pejorativen Sinne. Wenn wir in so eine Begegnung mit anderen Menschen ganz vertieft sind, geradezu absorbiert, so sind Denkakte eher störend. Das gilt darüber hinaus auch für Automatismen und Routinen wie z.B. Fahrradfahren oder Lesen. Wollten wir unsere Aufmerksamkeit auf diese Automatismen konzentrieren, würden sie nicht mehr funktionieren.

Das heißt aber nicht, daß Erlebnisvollzüge und Denkakte nur getrennt voneinander stattfinden können, im Sinne der Eule der Minerva, die nur in der Dämmerung fliegt. Für das Fahrradfahren gilt, daß es das Denken nicht etwa stört, so wie umgekehrt das Denken das Fahrradfahren stören würde, sondern es im Gegenteil anregt. Schon die Peripatetiker und die Stoiker der Antike wußten das Herumwandeln in ihren Gärten und Hallen zu schätzen, weil Bewegung und Denken eng zusammenhängen. Auch wenn wir ein Erlebnis nicht einfach nur vollziehen, sondern es bewußt genießen, wie z.B. das Betrachten eines Bildes oder einer Landschaft, so stört auch da das Denken keineswegs, sondern es gehört dazu, indem wir bewußt einzelne Momente des Bildes oder der Landschaft hervorheben und den Rest in den Hintergrund treten lassen und uns dennoch alles, was im Hintergrund verbleibt, verfügbar halten, um alles besser miteinander vergleichen zu können.

Hier haben wir es mit einer Kontinuitätserfahrung zu tun, nicht mit einer Diskontinuität, und Blumenberg schließt zu Unrecht das Panorama aus seinem Bewußtseinskonzept aus:
„Das Panorama ist ein Kontinuum, der symbolische Kontext ein Diskretum, das für intermittierende Akte und für den Zeittakt die phänomenale Grundlegung gibt.“ (Blumenberg 2018, S.391)
Letztlich entspricht Blumenbergs diskontinuierliches Bewußtsein mit seinen diskreten Akten dem symbolischen Kontext eines gegliederten Satzes. Aber noch die Subjekt-Prädikat-Struktur eines Satzes beruht auf den kontinuierlichen Dynamiken beim Betrachten von Bildern, also auf Gestaltwahrnehmung.

Wenn es eine Lücke im Bewußtseinsprozeß gibt, dann nur im Singular, nämlich im Sinne des Plessnerschen Hiatus, und nicht im Plural einer durch Fugen gegliederten symbolischen Struktur, wie bei den aneinandergereihten Einzelbildern eines Celluloidfilms. Das Bewußtsein geht nicht aus dem Einsickern in poröse Strukturen organischer Prozesse hervor, sondern aus dem Scheitern seiner Intentionen. Erst dort, wo sich unsere Bedürfnisse nicht mehr ‚von der Hand in den Mund‘ erfüllen, werden wir uns unserer selbst bewußt und dazu befähigt, unseren inneren Zuständen ein Ich-denke hinzuzufügen, so wie man den Bildfolgen eines Celluloidfilms eine Tonspur hinzufügt. Nichts spricht gegen diese Gleichzeitigkeit und dafür unser inneres Erleben.

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Montag, 1. April 2019

Hans Blumenberg, Phänomenologische Schriften: 1981-1988, hrsg.v. Nicola Zambon, Berlin 2018

1. Sorge und Hiatus
2. Fugen, Poren und Hiatus
3. Apperzeption und Appräsentation

Ich hatte immer ein Problem mit Husserls „Wesensschau“ gehabt. (Vgl. hierzu auch meine Blogposts vom 13.06.21.06. und 13.07.2010) Mein Problem war, daß ich keine Anschauung des Wesens besaß und auch heute noch nicht besitze, insbesondere wenn es sich um mathematische Wesenheiten handelt, von denen Zahlen und geometrische Gebilde wie das Dreieck noch die einfachsten sind. Da kann ich noch mithalten. Aber was seit Pythagoras und Euklid aus der Mathematik geworden ist, entzieht sich für mich jeder Anschaulichkeit.

Nun stoße ich in dem von Nicola Zambon herausgegebenen Buch „Phänomenologische Schriften: 1981-1988“ (2018) von Hans Blumenberg auf die bemerkenswerte Feststellung:
„Wer sich der beanspruchten Wesensschau widersetzte, hatte sie eben nicht!“ (Blumenberg 2018, S.35)
Mit anderen Worten: man kann niemanden zu einer Anschauung zwingen, die er nicht hat, auch wenn eine Mehrheit von Experten behauptet, daß es diese Anschauung gebe. Denn im Bereich der Anschauung ist das Konsensprinzip, das einem Konsenszwang entspricht, außer Kraft gesetzt:
„Dieses Ideal, aus den Vielen nichts als Eines sich zusammenraufen und konvergieren zu lassen, ist wegen seiner heimlichen oder offenen Teleologizität bedrohlich: Im Maße des Erfolges auf den schönsten Konsens hin wird sich das Bewußtsein in gegenläufiger Richtung zu seiner primären Monstrosität sekundär zum Feind: Es dementiert die Berechtigung des Faktums, mehr als eines – und damit immer: jetzt und hier gerade dieses – zu sein.“ (Blumenberg 2018, S.34) 
„Primäre Monstrosität“ übersetze ich mit ‚falsch verstandene Einheit des Bewußtseins‘; und zwar immer dann, wenn reale Mannigfaltigkeit zu einem idealen Einheitsbrei vermanscht wird. Dann nämlich wird sich das Bewußtsein „sekundär zum Feind“: es beschädigt sein Verhältnis zur Welt.

Blumenberg geht es hier zunächst vor allem um die Vielgestaltigkeit von scheinbar schlichten Fakten. Aber die Vielgestaltigkeit der Fakten beruht auf der subjektiven Differenz von individuellen Perspektiven, die sich intersubjektiv nicht aufheben läßt. Das gilt auch für das vollständige Fehlen solcher Perspektiven, also für das Fehlen einer Anschauung. Was ich nicht mit meinen eigenen Augen sehe, kann ich auch nicht beurteilen. Und auch das Urteil der anderen hilft mir nicht weiter. Wo mir die Anschauung fehlt, kann sie durch keinen Konsens erzwungen werden.

Dabei muß man sich klarmachen, daß die Wesensschau als Anschauung sogar für geübte Wesensschauer einen besonders prekären Status hat: sie ist eine Anschauung, der die Anschauung prinzipiell fehlt! Selbst geübte Wesensschauer, also die klassischen Phänomenologen in der Nachfolge Husserls, gestehen ein, daß es sich bei der Wesensschau „um eine besondere Art von Erfahrung“ handele, da es dabei ja auch um „eine besondere Art von Gegenständen“ gehe. (Vgl. Blumenberg 2018, S.55) Blumenberg hält dagegen, daß es völlig gleichgültig sei, inwiefern die Wesensschau etwas Besonderes sei, „da sie als Erlebnis gar nicht vorkommt“. Tatsächlich werden ihre Gegenstände nicht ‚geschaut‘, sondern nur indirekt aus bestimmten Bewußtseinsleistungen erschlossen, wie etwa die Zahlen aus dem Zählen. (Vgl. ebenda)

Die Wesensschau ist also keine Anschauung, sondern nur ein logischer Schluß, also bestenfalls nur eine indirekte Anschauung, der kein unmittelbares Erleben entspricht.

Deshalb ist die Wesensschau auch nichts für jedermann. Sie bedarf einer besonderen strengen Disziplin:
„Sie verlangt genauso Erlernen, Einübung, Meditation, lebenslangen Sachverstand wie irgendein anderes theoretisches Geschäft ...“ (Blumenberg 2018, S.57)
Blumenberg geht es mit seiner Kritik an Husserl nicht nur darum, den phänomenologischen Status der Wesensschau zu klären. Darüber hinaus plädiert er auch für eine Lockerung der Disziplin. Er führt Husserls frühe Phänomenologie der Wesensschau auf dessen Weigerung zurück, den Menschen als Menschen ernstzunehmen. Das Bewußtsein sollte universell sein, nicht menschlich. Blumenberg spricht von einer „Idiosynkrasie des Meisters gegen jede anthropologische ‚Zutat‘“. (Vgl. Blumenberg 2018, S.19) Für diese Idiosynkrasie steht die Problematik der Wesensschau, da es in ihr auf den Menschen und seine subjektive Anschauung nicht ankommen soll. Um den Anforderungen der Wesensschau zu genügen, bedarf es seiner Disziplinierung zum transzendentalen Ego.

Im Nachwort beschreibt der Herausgeber Nicola Zambon Blumenbergs Motivation:
„Blumenbergs Anthropologie fußt also auf der kritischen Auseinandersetzung mit der Phänomenologie Edmund Husserls. Dies mag überraschen, insofern Husserl auf die Frage nach dem Menschen bewußt verzichtet hatte: Seine Vorbehalte wurzelten in der Angst, die Philosophie auf die Anthropologie reduziert, das heißt, die Frage nach Gültigkeit der Erkenntnis an die biologische, psychologische, kulturelle Konfiguration ‚Mensch‘ gebunden zu sehen.“ (Zambon in Blumenberg 2018, S.512)
Mit der phänomenologischen Reduktion ging bei Husserl also eine Abwendung von allem einher, was den Menschen ausmacht und was ich in meinem Blog als die drei Entwicklungsebenen bezeichne. Das Husserlsche Bewußtsein sollte damit nichts zu tun haben und in diesem Sinne transzendental sein. Blumenberg tritt hingegen für eine Lockerung der phänomenologischen Disziplin ein, um den Horizont des Phänomenologen zu erweitern. Es geht ihm darum:
„Bewußtsein als Leben mit anderen Mitteln zu verstehen – dann aber im Grunde mit demselben Grundproblem, dem der Selbsterhaltung.“ (Blumenberg 2018, S.20)
Das Thema der Selbsterhaltung wird von Blumenberg in zwei Richtungen entwickelt: er übernimmt Martin Heideggers Begriff der Sorge (vgl. Blumenberg 2018, S.91-108), und er beschreibt das Bewußtsein als „Selbstreparaturbetrieb“ (vgl. Blumenberg 2018, S.15-38).

An drei Stellen bezieht sich Blumenberg auf Helmuth Plessner. (Vgl. Blumenberg 2018, S.50f., 96, 466f.) In keiner dieser Bezugnahmen kommt Blumenberg auf Plessners gebrochene Intentionalität zu sprechen. Wo bei Plessner sich das menschliche Bewußtsein durch das Festhalten am Scheitern des Weltbezugs allererst gewinnt, nämlich in einer Rückwendung auf sich selbst und sein prekäres Weltverhältnis, hebt Blumenberg vor allem die biologische Dimension der Selbsterhaltung hervor. Das Bewußtsein überwindet den Bruch, den Blumenberg auch als „minimale Katastrophe“ bezeichnet (vgl. Blumenberg 2018, S.32), indem es seinen Weltbezug modifiziert und sich so weiterentwickelt:
„Entwicklung läßt sich begreifen als komplementärer Sachverhalt dazu, daß es störungsfreie organische Systeme nicht gibt.“ (Blumenberg 2018, S.27)
Blumenberg schreibt dem Bewußtsein einen „hohen Grad“ an „Elastizität“ zu und rühmt dessen „Strapazierfähigkeit für das Einlaufen bzw. Ausbleiben der intentionalen Teilstücke, Elemente, offenstehenden Debita und Desiderata zur klärenden Endgültigkeit des Gegenstandsbesitzes“. (Vgl. Blumenberg 2018, S.32) Wo Plessner also die Bedeutung des Bruchs maximiert und letztlich alle entscheidenden Bewußtseinsleistungen auf diesen Bruch zurückführt, minimiert Blumenberg seine Bedeutung und hebt vor allem die Selbsterhaltungsfähigkeit des Bewußtseins hervor.

Natürlich könnte man einwenden, daß beides letztlich auf dasselbe hinausläuft: denn ein Selbstreparaturbetrieb kann das Bewußtsein ja nur sein, weil es ständig scheitert. Letztlich hat der Hiatus bei Plessner und Blumenberg dieselbe konstitutive Relevanz. Aber es bleibt doch die nicht unwesentliche Differenz, daß Plessner den Begriff der Bedeutung auf dieses Scheitern zurückführt, auf die Differenz von Sagen und Meinen. Nur weil sich unsere Intentionen in der Welt nicht erfüllen, hat alles was wir sagen und tun eine Bedeutung.

Für Plessner wäre Heideggers Sorge also nur eine Form der Selbstsedierung. Denn, anders als Heidegger gedacht hatte, hindert gerade die Angst vor dem Tod den Menschen im Sinne der Sorge – besser: ‚Daseinsvorsorge‘ – daran, sich mit seinem Weltverhältnis auseinanderzusetzen und so sich über sich selbst aufzuklären; sich exzentrisch zu positionieren. Blumenberg argumentiert hingegen mit Heidegger, daß das Dasein bzw. der Mensch „auf seinem Grunde“ Sorge sei. (Vgl. Blumenberg 2018, S.95) Die Sorge erweist sich dabei sogar als ein Gegenbegriff zum intentionalen Bewußtsein, das „seine Geschichte wesentlich hinter sich“ hat – nämlich als seinen Protentionen zugrundeliegende Retention –, während die Sorge auf die (bedrohliche) Zukunft gerichtet sei. (Vgl. Blumenberg 2018, S.100) Allerdings halte ich Blumenbergs Schlußfolgerung von der Retentionslastigkeit der Intentionalität auf deren Rückwärtsgewandtheit für überzogen. Gestalttheoretisch ist die Retention als Bestandteil des intentionalen Vollzugs nichts anderes als die andauernde Gegenwärtigkeit des Hintergrundes, vor dem wir einzelne Aspekte fokussieren. Auch die Sorge hätte ohne entsprechenden Hintergrund keinen Horizont, auf den sie sich richten könnte.

Die Sorge erfüllt bei Blumenberg eine ähnliche Funktion wie Plessners Hiatus, nämlich die Begrenzung der Reichweite der Intentionalität. Wo das Bewußtsein als Intentionalität maßlos ist, keinen Anfang und kein Ende kennt und in dieser Maßlosigkeit der Welt ähnelt, auf die sich das intentionale Bewußtsein richtet und die sich ebenfalls ohne Anfang und Ende ausdehnt und alles umfaßt, was es gibt, begrenzt die Sorge das Bewußtsein, weil der Mensch sterblich ist und wir deshalb Maßnahmen ergreifen müssen, um uns zu schützen und abzusichern. Sie setzt unserer Maßlosigkeit Grenzen.

Aber anders als das scheiternde Bewußtsein Plessners, das aus seinem naiven Weltverhältnis erwacht und zu sich selbst findet, zu einer zweiten Naivität, die von ihrer Naivität weiß, sind die Vorkehrungen der Sorge darauf ausgerichtet, die Welt sicherer zu machen, also sie zu verlebensweltlichen, denn die Lebenswelt ist eine Welt, „in der dem Bewußtsein Enttäuschungen seiner Protention erspart oder jedenfalls auf das Minimum reduziert bleiben“:
„Deshalb kann die Lebenswelt stehen für den Begriff einer Welt überhaupt, deren einzige Qualifikation in ihrer möglichen Vertrautheit, also im Maß der Solidität ihrer Zuverlässigkeit oder, negativ ausgedrückt, im Ausbleiben des Fremd-Befremdlichen an ihrem Horizont beschreibbar ist.“ (Blumenberg 2018, S.43)
Auch die scheinbar so nüchterne, objektive Wissenschaft hat ihren Anteil an dieser Verlebensweltlichung der Welt. Sie steht im Dienst der Sorge, wie Blumenberg in folgendem Zitat feststellt, in dem übrigens auch die Bedrohtheit sogar der Stabilität und Vertrautheit gewährleistenden Lebenswelt erwähnt wird:
„Die Theorie der Lebenswelt macht verständlich, weshalb die Behauptung letztlich unhaltbar ist, das theoretische Verhalten, die wissenschaftliche Einstellung würden von einer triebhaften Energie der theoretischen Neugierde angetrieben. ... Neugierdeverhalten ist Prävention, Prävention in bezug auf die Wiederholung der Grunderfahrung der Instabilität der Lebenswelt. Und jede Lebenswelt ist instabil, weil sich das Unbekannte nicht damit begnügt, irgendwo darauf zu warten, daß es entdeckt wird, sondern seinerseits über den Horizont der Lebenswelt in diese eindringt und einbricht.“ (Blumenberg 2018, S.43f.)
Wenn also nicht die Erfahrung des Scheiterns, sondern die Sorge die Grundbefindlichkeit des menschlichen Daseins ausmacht, so ist alles daran gelegen, das Aufwachen zu vermeiden. Die Reparaturleistungen des Bewußtseins richten sich darauf, sich zu sedieren, auf den Erhalt der Lebenswelt. Blumenberg selbst gesteht dies ein:
„Es (das Bewußtsein – DZ) ist sich selbstverständlich und setzt darin den Standard derjenigen Selbstverständlichkeit, die als Prämodalität der Lebenswelt die genuine und finale Daseinsform des Bewußtseins ausmacht.“ (Blumenberg 2018, S.135)
Die Lektüre des Buches ist schwierig, weil Blumenberg in der Auseinandersetzung mit Husserl das transzendental-phänomenologische Begriffsinventar verwendet, das an sich schon für den unkundigen Leser undurchschaubar ist. Außerdem ergeht sich Blumenberg lustvoll in verschraubten und verschachtelten Satzkonstruktionen, die der Rezensent nur wegen der darin immer wieder aufblitzenden Ironie einigermaßen zu ertragen vermag. Es ist kein wirkliches Vergnügen so was zu lesen.

Trotzdem lohnt sich die Lektüre, weil Blumenberg in den darin versammelten, bislang unveröffentlichten Schriften minutiös darlegt, inwiefern Husserls Phänomenologie überwunden werden muß, nämlich in Richtung einer phänomenologischen Anthropologie. Ein erster Überwinder Husserls ist Helmuth Plessner gewesen. Blumenberg zeigt zugleich, wie diese Überwindung in Husserls Phänomenologie selbst schon angelegt gewesen ist, nämlich als Korrektur der phänomenologischen Reduktion, die die Welt aus der Meditation ausschloß. Später aber versuchte Husserl die aus der Meditation ausgeschlossene Welt wieder in sie einzubeziehen, als Lebenswelt und als Intersubjektivität. Es fehlte letztlich nur noch der Mensch. Bis zu seiner Rehabilitierung als phänomenologisches Thema hatte es Husserl aber nicht mehr geschafft.

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