„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 12. April 2024

„Die Leere ist das Selbst.“

1. Prolog
2. Atheismus und Humanismus
3. Religion
4. Die Kreismetapher
5. Die Bürde
6. Paradoxe Argumente? ‒ Zur Methode
7. Dualität
8. Die letzte große Umkehr
9. „Selbstentleerung“

Nach „Nichts“ (1999) von Ludger Lütkehaus wollte ich ein Buch aus buddhistischer Sicht zu diesem Thema lesen. Vor gut dreißig Jahren hatte ich ein Buch von Keiji Nishitani, einem japanischen Zen-Buddhisten, gelesen: „Was ist Religion?“ (1980/1982/(2)1986). Danach las ich es Jahre später ein zweites Mal, und jetzt wollte ich es mir zum dritten Mal vornehmen. Der Titel dieser neunteiligen Postreihe stammt aus diesem Buch.

Zeitgleich las ich Stephen Kings Buch „Es“ (1986/2011) und empfand es bei fortschreitender Lektüre beider Bücher als Antwort auf mein Unbehagen, das in mir hinsichtlich zentraler Aussagen in Nishitanis Buch entstand. Dreißig Jahre nach meiner Erstlektüre konnte ich es nicht mehr mit der damaligen naiven Hingabe für esoterisches Geheimwissen lesen, weil ich nicht mehr bereit war, meinen kritischen Verstand auszuschalten.

Es ist vor allem die autoritär-religiöse Geste, mit der Nishitani Alles, also auch das wahrhaft Böse, für nichtig erklärt. Die Autorität, mit der Nishitani auftritt, und die Autoritäten, auf die er sich beruft, verdecken den Mißbrauch, der in ihrem Namen und mit ihren Praktiken verbunden ist. Das wird vor allem bei dem das ganze Buch durchziehenden Vergleich des Buddhismus mit dem Christentum, das sich für mich vor allem im Katholizismus verkörpert, deutlich. Denn der Mißbrauch steckt schon in dem, was Nishitani als Indifferenz der göttlichen bzw. religiösen Liebe beschreibt, einer Liebe, die keinen Unterschied macht. (Vgl. Nishitani (2011, S.116) Einer Liebe, die in einer Welt, in der es so viel mißbrauchte Liebe gibt, nichts zu suchen hat.

Stephen Kings „Es“ ist das Gesamt aller Horrorfilme und aller Horrorgestalten, mit denen die Kinos und Fernsehprogramme an den Wochenenden ihre Fangemeinde vor die Leinwand und vor die Mattscheibe locken, um sich dem Grauen hinzugeben, das in Kings Buch in Gestalt eines Clowns auftritt, der gleichzeitig Werwolf, Zombie und Vampir und der Ku-Klux-Clan ist. King liefert mit seinem monumentalen Wälzer (1534 Seiten) die Erklärung für dieses Phänomen. Einer der Protagonisten seines Romans, Mike Hanlon, denkt als Erwachsener über die Abenteuer einer siebenköpfigen Kindergruppe nach, zu der er gehört hatte:
„Wie Ben mit seiner Mumie oder Eddie mit seinem Aussätzigen oder Stan mit seinem ertrunkenen Jungen im Wasserturm, so hatte auch er etwas erlebt, das einen Erwachsenen um den Verstand gebracht hätte, nicht einfach aus Angst und Entsetzen, sondern wegen der enormen Kraft einer Unwirklichkeit, für die es keine logische Erklärung gab, die aber gleichzeitig zu mächtig war, um einfach ignoriert zu werden.“ (King 1986/2011)
„Es“, der Clown, ist ein Formwandler. Es kann sich nicht nur in die mythischen Inkarnationen des Bösen verwandeln, sondern es, der Clown, steht auch für Rassismus, Homophobie, Sexismus und für den us-amerikanischen Waffenfetischismus. Überall, wo die Gewalt im maroden, heruntergekommenen Derry auflodert, ist der Clown im Hintergrund dabei.

Ich vertrete nicht die Ansicht, daß es das Böse gibt; nicht im ontologischen Sinne, als objektives Etwas. Ich verstehe „Es“ so, daß in den kulturellen Praktiken, ähnlich wie in archaischen Initiationsriten im Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenalter, ein lebensweltlich verwurzeltes ,Böses‛ dingfest gemacht wird, bei dem es seltsamerweise immer um das Begehren geht. Das hat fast schon eine anthropologische Dimension. Mit diesen Praktiken geht im Sinne autoritärer Institutionen eine Schwächung unseres Denkvermögens, unserer Urteilskraft einher, so daß wir fortan nicht mehr im Reinen sein können mit uns und unserem Begehren.

Das Ergebnis ist eine verkorkste Bedürfnisstruktur, die individuell und kollektiv von Zeit zu Zeit eine Bresche in den zivilisatorischen Damm bricht und sich dann in neuen vereinzelten Exzessen (Panikläufe, Wut- und Gewaltausbrüche) und kollektiven Pogromen ergießt, wie sie Stephen King in seinem Buch beschreibt.

Letztlich sind Horrorfiguren wie z.B. die Zombies vor allem eine Karikatur auf die Wiedergeburt. Sie sind tot und leben trotzdem weiter. Nur daß sie eben nicht leben. Als lebende Tote verweisen sie nicht auf die Möglichkeit einer Seelenwanderung und eines neuen Lebens, sondern darauf, daß etwas hinter ihnen liegt: das Leben. Stattdessen leben sie ein Leben, das nicht aufhören, aber auch nicht weitergehen kann. Denn die Seele wandert nicht mit.

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