„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 19. April 2024

„Die Leere ist das Selbst.“

1. Prolog
2. Atheismus und Humanismus
3. Religion
4. Die Kreismetapher
5. Die Bürde
6. Paradoxe Argumente? ‒ Zur Methode
7. Dualität
8. Die letzte große Umkehr
9. „Selbstentleerung“

Es sind stets dieselben Übergänge zwischen drei ,Feldern‛ bzw. ,Standorten‛, auf die Nishitani in seinem Buch immer wieder in großen Schleifen und unter Verwendung von Analogien, buddhistischen Leerformeln und paradoxen Redewendungen zurückkommt: die Übergänge zwischen dem Feld des Bewußtseins (Sinnlichkeit und Vernunft), dem Feld des nihilum, das sich noch immer auf dem Feld des Bewußtseins befindet, aber es auch (von unten her) durchbricht, und dem Feld der Leere, das sich jenseits des Bewußtseinsfeldes befindet, aber es zugleich umfaßt und alle Seinsbestimmungen, die das nihilum mit einer umfassende Negation außer Kraft gesetzt hatte, wieder in Kraft setzt.

Bis zum Feld des nihilum hatte ich Nishitani folgen können, insofern ich auf eigene Erfahrungen zurückgreifen konnte und ich deshalb auf diskursive Erläuterungen nicht angewiesen war. Gleichzeitig wehrte ich mich dagegen, meinen eigenen Verstand abzuschalten und auf eine „Erleuchtung“ zu setzen, zu der mir jede Anschauung fehlt.

Auf den letzten 146 Seiten wendet sich Nishitani nun einem weiteren ,Feld‛ zu bzw. er spricht von einer „Umkehr“, die auf dem „Feld der Leere“ noch ausstehe; von „einer letzten großen Umkehr“, die, wenn ich das richtig verstanden habe, noch über das Feld der Leere hinausgeht. (Vgl. Nishitani 1986, S.278) Inwiefern sich mit dieser letzten großen Umkehr ein neues Feld eröffnet, wird dann aber von Nishitani nicht weiter ausgeführt.

Auch auf den folgenden Seiten ist dann wieder vor allem vom „Feld der Leere“ die Rede, ohne daß Nishitani noch mal auf die angekündigte Umkehr zurückkommt. Jedenfalls leitet Nishitani diesen Teil des Buches mit folgender Frage ein:
„Selbst wenn sich aus dem Prozeß des existenzialen Ergründens des Seins, der im konkreten Leben des Menschen in der Welt von Geburt-und-Tod einsetzt, solche Aussagen (über das Feld der Leere ‒ DZ) zurecht ergeben, sind sie dann auch nach der Wendung von der samsarischen Welt (samsara: endlose Wiederholung von Geburt und Tod ‒ DZ) hin zum jenseitigen Ufer noch gültig?“ (Nishitani 1986, S.278)
Es hört sich zunächst so an, als würde jetzt noch einmal alles, was Nishitani über das Feld der Leere geschrieben hat, wieder in Frage gestellt und als wäre das Feld der Leere selbst noch einmal zu einem „jenseitigen Ufer“ hin begrenzt. Dabei überrascht mich in dem Zitat das Wörtchen „zurecht“ (Hervorhebung von mir), das so harmlos daherkommt, womit aber Nishitani tatsächlich den Anspruch erhebt, daß alle seine bisherigen Ausführungen wohlbegründet gewesen seien und ihre ,Gültigkeit‛ erst jetzt angesichts des jenseitigen Ufers in Frage stünde. Von wohlbegründeten Ausführungen habe ich in meiner ganzen Lektüre bis zu diesem Moment aber nichts bemerkt. Alles basiert auf einer dem Verstand nicht zugänglichen Erleuchtung. Wo sie fehlt, kann sie niemandem etwas begründen.

Trotzdem will ich hier noch mal auf eine Stelle eingehen, die ich doch recht interessant finde. Ich möchte in diesem Zusammenhang vom „Buddha-Feld“ sprechen, weil Nishitani sich jetzt öfter direkt auf Buddha bezieht, den er bisher nur hin und wieder und dann nur am Rande erwähnte. Wenn ich also vom Buddha-Feld spreche, meine ich das, was Nishitani das „wahre Leben des Buddha“ nennt. (Vgl. Nishitani 1986, S.278).

Im Buddha-Feld kommunizieren Nishitani zufolge „Buddha-Geist“ und menschlicher Geist wie zwei „Spiegel“ miteinander (vgl. Nishitani 1986, S.279), was Nishitani auch als „lebendige Kommunikation“ bezeichnet (vgl. Nishitani 1986, S.280). Diese Kommunikation unterscheidet sich von jeder menschlichen Kommunikation als Kommunikation „ohne Rest“. Es gibt also keine Differenz von Sagen und Meinen. Buddha-Geist und menschlicher Geist sind demnach im Buddha-Feld nicht mehr zweierlei, sondern Eins, was angesichts dessen, was Nishitani zuvor über die „Nicht-Zweiheit“ im Feld der Leere geschrieben hat, logisch ist.

An einer früheren Stelle, in der es um das „sanzen“ ging, um die Meditationstechnik des mit-verschränkten-Beinen-Sitzens, zitiert Nishitani den Zen-Meisters Daito Kokushi: „... den ganzen Tag Gesicht zu Gesicht sitzend, doch keinen Augenblick ein Gegenüber.“ (Nishitani 1986, S.178) ‒ So also sitzen sich Buddha und Mensch gegenüber: ohne „Gegenüber“. Also zwei als Eins in lebendiger Kommunikation.

Die „wechselseitige Übertragung von ,Sinn‛“ ist ohne Rest. (Vgl. Nishitani 1986, S. 280) Wir haben es mit einer Kommunikation bzw. mit einer Sprache zu tun, die nicht mehr expressiv ist: mit einer Identität von Meinen und Sagen, so wie ja auch die Spiegelung zweier Spiegel das Gespiegelte ohne Differenz wiedergibt. Wir haben es mit einem Gleichheitszeichen in dieser Beziehungsform zu tun, wenn man denn überhaupt von einer Beziehungsform sprechen kann, das eine Identität ausdrückt: Ich = Ich ohne Umweg über ein Du.

Mit anderen Worten, Buddha und menschlicher Geist haben einander in dieser „lebendigen Kommunikation“ nichts zu sagen. Das japanische Wort für diese Bedeutungsidentität ist Nishitani zufolge „koto“, das er mit „Urbegegnung mit den Sachen selbst“ übersetzt. (Vgl. Nishitani 1986, S.280) Das erinnert an Husserls Aufruf „zurück zu den Sachen selbst“ und ist von Nishitani wohl auch so gemeint. Aber wo Sachen sind bzw. wo Phänomene sind, muß es Subjekte geben. Wo Subjekte sind, muß es eine Welt geben. Denn auch eine Urbegegnung ist immer noch eine Begegnung zwischen Zweien, selbst dort, wo ich bloß mir selbst begegne.

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