„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 24. März 2023

Montaigne (1580/1998): Mit Beispielen „vollgepropft“

Zuletzt hatte ich in einem Text von Charlotte Bretschneider und dann im philosophischen Radio (WDR 5) in einer Sendung zu Montaigne (Jürgen Wiebicke mit dem Schriftsteller Nils Minkmar) viel Gutes über die „Essais“ (ca. 1580) gelesen und gehört. Ich selbst hatte schon mehrmals vergeblich versucht, die „Essais“ zu lesen. Ich brach die Lektüren immer wieder ab, weil ich nichts darin fand, was die Lektüre lohnte. Nichts, was das Changieren zwischen Bewunderung und Begeisterung für Montaignes Essays rechtfertigen würde.

Montaigne ist übrigens der erste, der das zugeben würde und tatsächlich in einem Vorwort selbst darauf hingewiesen hatte: „Ich selbst, Leser, bin also der Inhalt meines Buchs: Es gibt keinen vernünftigen Grund, daß du deine Muße auf einen so unbedeutenden, so nichtigen Gegenstand verwendest.“ (Essais (1998, S.5)

Dem widerspricht der Herausgeber im Nachwort meiner in der „Anderen Bibliothek“ erschienenen Ausgabe, indem er, sich mit dem „Leser“ verbündend, meint, wer beim Lesen der Essays bis zum Nachwort vorgedrungen sei, habe Montaignes negative Selbstbeurteilung, zu Recht, widerlegt. (Vgl. Essais (1998), S.569).

Dem möchte ich entschieden widersprechen: Montaigne hat unbedingt Recht! Es lohnt sich nicht.

Seine Texte strotzen von Belanglosigkeit und Binsenwahrheiten, auf jeder Seite durchsetzt von gereimten Nichtigkeiten und vollgestopft mit absurden Beispielen, die wenig bis nichts zum jeweiligen Thema beitragen, und das Wenige, das sie vielleicht doch beitragen, so oft in zahllos weiteren Beispielen widerkäuen, bis von den meist nur dürftigen Einsichten nichts mehr übrig ist. Montaigne schreckt nicht mal vor schlechten Witzen zurück. So heißt es ‒ begleitet von gereimtem Schwachsinn ‒ im 34. Essay über das Wirken der Glücksgöttin Fortuna, die oft gegen die Absicht der Menschen Gutes bewirkt: „Und hätte jener Mann in der Antike, der einen Stein auf einen Hund warf, aber seine Schwiegermutter traf und tötete, nicht mit Recht den Vers ,Fortuna hat, das lob ich mir, oft eine beßre Hand als wir‛ zitieren können?“ (Essais (1998), S.118, Sp.1)

Immerhin gesteht Montaigne selbst, daß er es mit seinen Beispielen, „mit denen ich meinen Text vollpfropfe“, übertreibt. (Vgl. Essais (1998), S.49) ‒ Wenn Montaigne in der Selbstanklage sogar so weit geht, seine „Essais“ als Grotesken zu bezeichnen (vgl. Essais (1998), S.99, Sp.1): ich bin der Letzte, ihm da zu widersprechen.

Man könnte ja damit leben, wenn viele dieser Beispiele nur nicht so entsetzlich peinlich wären und wenn sie nicht mit diesen gereimten Nichtigkeiten durchsetzt wären. Und leider ist Montaigne dann schließlich doch noch stolz auf seine Schreibe und glaubt, seine Beispiele leisteten mehr, als nur die wenigen Gedanken in seinem Buch, die es wert wären, für sich zu stehen, in den Hintergrund zu drängen: „Oft tragen sie (die Beispielgeschichten) über ihre (nur vage) Beziehung zu meinem Thema hinaus den Keim zu vielschichtigeren und gewagteren Überlegungen in sich und lassen sowohl für mich, der ich mich nicht weiter hierüber äußern will, als auch für jene, die sich auf meine Denkweise einzustimmen vermögen, einen feineren Unterton mitschwingen.“ (Essais (1998), S.130, 2.Sp.; Klammern von mir)

Nach diesem ,feinen Unterton‛ müßte das Opfer seiner Spottlust, jene bedauernswerte Schwiegermutter, wohl lange suchen.

Gleichwohl werde ich jetzt meine Lektüre nicht wieder abbrechen. Demnächst also mehr.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen