Sexualität und Wahrheit: Der Wille zur Wahrheit (1976/83; SuW 1)
Hermeneutik des Subjekts (2004)
6. Das Subjekt und die MachtIn diesem letzten Blogpost kehre ich noch einmal zum ersten Band von „Sexualität und Wahrheit“, zu „Der Wille zur Wahrheit“ (SuW 1) zurück. In diesem Band spricht Foucault die Möglichkeit an, daß „man die Mechanismen der Sexualität umkehren“ könne, indem man sich vom „Sex-Begehren“ abwendet. (Vgl. SuW 1, S.187) Die Macht des Sexualitätsdispositivs und damit die Macht selbst in ihrer ganzen Anonymität, in ihrer lebensweltlichen Verfaßtheit, kann also gebrochen werden. Das Sexualitätsdispositiv bzw. den „Sex“ hatte Foucault zuvor als einen „imaginären Punkt“ bezeichnet, der die „Totalität des Körpers“, nämlich gleichzeitig als Pluralität und als Ganzes und außerdem biographisch als eine Identität, „symbolisch darstellt“. (Vgl. SuW 1, S.185)
Das ist eine schwierige, in sich widersprüchliche Konstruktion, stellt aber wohl den Versuch dar, der Macht ein widerständiges Subjekt entgegenzustellen. In den insgesamt vier Bänden von „Sexualität und Wahrheit“ wird Foucault darauf nicht mehr zurückkommen. Aber in der Vorlesung vom 17.02.1982 in „Hermeneutik des Subjekts“ (2004; S.308ff.) finde ich eine Stelle, in der Foucault auf die „Bedeutung“ zu sprechen kommt, „die ich dieser Untersuchung der Sorge um sich und des Selbstbezugs beimesse, die Ihnen etwas schleppend und pedantisch erscheinen mag“. (Vgl. Foucault 2004, S.314)
An dieser Stelle geht Foucault noch einmal ausdrücklich auf die Funktion des Subjekts in einer „Ethik des Selbst“ ein, „wenn es denn wahr ist, daß es keinen anderen, ersten und letzten Punkt des Widerstands gegen die politische Macht gibt als die Beziehung seiner selbst zu sich“. (Vgl. Foucault 2004, S.313) ‒ Auch hier, „wenn es denn wahr ist“, wieder die enge Verbindung von Selbst und Wahrheit, die den Titel der vier Bände zu „Sexualität und Wahrheit“ spiegelt.
Zu Beginn seiner Vorlesungsreihe, am 06.01.1982, stellt Foucault diese Verbindung ausdrücklich her: Nur über das Subjekt eröffnet sich ein Zugang zur Wahrheit, nicht über das Individuum. (Vgl. Foucault 2004, S.34 und S.36) Zwar gilt das im Zusammenhang dieser Vorlesung nur für die ,Geistigkeit‛, also für die spirituelle Dimension der Wahrheit, und nicht für die kognitive Erkenntnis der heutigen Wissenschaft und Politik. Außerdem habe ich, wie ich hier gerne festhalten möchte, ein Problem mit einer spirituell verfaßten Geistigkeit, die auf Praktiken der Erleuchtung setzt. Und auch die Trennung zwischen dem Subjekt und dem Individuum halte ich für künstlich und wirklichkeitsfremd. Das Subjekt und seine Subjektivität sind untrennbar mit der Biographie eines Individuums verbunden.
Dennoch hebt Foucault in seiner Vorlesung vom 17. Februar zurecht die politische Bedeutung des Subjekts und seines Zugangs zu seiner Wahrheit hervor: „Nehmen wir die Frage der Macht, der politischen Macht, und stellen sie in den allgemeineren Zusammenhang der Frage der Gouvernementalität, der Gouvernementalität verstanden als ein strategisches Feld von Machtverhältnissen in einem allgemeinen und nicht nur politischen Sinn, als ein strategisches Feld beweglicher, veränderbarer und reversibler Machtverhältnisse,() dann glaube ich, daß das Nachdenken über den Begriff der Gouvernementalität theoretisch und praktisch nicht um ein Subjekt herumkommt, das sich durch eine Beziehung zu sich selbst definiert.“ (Foucault 2004, S.313f.)
Zwei Dinge sind für mich gerade angesichts einer zunehmenden Ablehnung von universellen, humanistischen Prinzipien und einer grassierenden Subjekt- und Menschenfeindlichkeit in der Philosophie, in der Wissenschaft und in der gesellschaftlichen Praxis bemerkenswert: Foucaults Festhalten am Subjektbegriff und daß gerade er, der dem Diskurs der Macht sein ganzes philosophisches Wirken gewidmet hat, auf die Reversibilität, auf die Veränderbarkeit von Machtverhältnissen verweist, für die, setzt man auf diese Veränderbarkeit, eben gerade der Subjektbegriff unverzichtbar ist.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen