„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Mittwoch, 19. März 2025

Karl Löwith: „Nur ,Du‛ kannst der ,Meine‛ sein ...“

1. ,Kehre‛
2. Weltbestimmungen
3. Sensualismus
4. Referenz
5. ,Mein‛ Du
6. Zwiegespräch und Gewissen
7. Erwiederung statt Erwiderung
8. primäre Willensverhältnisse
9. die eigentliche Kehre

Karl Löwith, „Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen“ (1928)
In: „Mensch und Menschenwelt“ (1981, S.9-197)
ders., „Welt und Menschenwelt“ (1960)
In: „Mensch und Menschenwelt“ (1981, S.295-328)


Wie schon am Ende des vorangegangenen Blogposts angekündigt, soll es in diesem Blogpost um die Referenz in der Zweierbeziehung zwischen Ich und Du gehen. Dabei geht es vor allem um die Menschenwelt, also um das soziale Dritte, und nicht um die nichtmenschliche Welt. Deshalb möchte ich vorweg kurz auf das Gendern in meinen Texten eingehen. Seit einiger Zeit experimentiere ich immer mal wieder mit Möglichkeiten, zu gendern, ohne dabei allzusehr mein eigenes Sprachgefühl zu verbiegen. Am besten gefallen mir gegenderte Formulierungen, wenn sie den Textfluß nicht unterbrechen. Was natürlich auf das Paradox hinausläuft: am besten, es fällt überhaupt nicht auf.

Ich könnte jetzt natürlich hingehen und nonchalant schreiben: die eine und der andere. Aber es handelt sich hier um eine zentrale Formulierung, die Löwith immer wieder verwendet, und ich sollte schon versuchen, so nah wie möglich bei seiner Ausdrucksweise zu bleiben. Was Personalpronomina betrifft, ist Gendern sowieso nicht angebracht. Er ist er und Sie ist sie, und bei Ich und Du gibt es von vornherein kein männlich und kein weiblich.

Um meine Kommentare zu Löwiths Habilitationsschrift nicht unnötig zu verkomplizieren, denn die Habilitationsschrift ist sowieso schon kompliziert genug, verzichte ich lieber ganz auf das Gendern.

Blasenbeziehungen

Das referentielle Dreieck besteht aus Zweien, die sich auf ein Drittes beziehen (referieren). Die Basis dieses Dreiecks besteht also aus Ich und Du: „Ist aber schon alltäglich die ,Welt‛, in der man selbst mit andern ist, wesentlich in der Mitwelt des Daseins inbegriffen, so geht die Welt vollends im einen und andern auf, wenn beide einander ihre ganze Welt bedeuten und nicht nur ,sozusagen‛, sondern faktisch eine ,Welt für sich‛ sind.“ (Löwith 1928/81, S.72f.)

Löwiths Definition enthält eine problematische Formulierung: Bedeutet dieses „faktisch eine Welt für sich“, daß die zwei eine Blase bilden, ohne Bezug nach ,außen‛, was noch dadurch verstärkt wird, daß Löwith nur die Lebenswelt, nicht aber die Naturwelt in Betracht zieht, oder bedeutet es, daß jeder Bezug nach ,außen‛ sich auf der Basis von Zweien vollzieht? Nur im letzteren Falle könnte von einem referentiellen Dreieck die Rede sein, und dann auch nur im umfassenden Sinne, wenn es sich nicht auf die rein menschliche Lebenswelt beschränkt. Wenn Löwith aber von dem „exklusiven Miteinandersein () von Ich und Du“ spricht, rutscht er in eine Blasenbeziehung ab. Solche Blasenbeziehungen, man denke an ,social media‛, haben jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren.

Im vorangegangenen Blogpost hatte ich schon darauf hingewiesen, daß es oft sinnvoll ist, sich sozialen Konsensen zu entziehen, wenn unsere ,Bauchgefühle‛ oder auch unser Verstand uns vor einem zweifelhaft bleibenden Mainstream-Konsens warnt. Löwith hält nichts von so einer Verstandesautonomie oder schlicht: Gewissen. ‒ „Rein für sich kann sich einer wahrhaft objektiv weder vor etwas noch zu sich selbst bringen. Bespräche einer etwas, es rein für sich durchdenkend, so spräche er in Wirklichkeit nicht ungestört mit der Sache, sondern nur mit sich selbst.“ (Löwith 1928/81, S.83) ‒ Deshalb bezeichnet Löwith die Zwiesprache mit sich selbst auch als „dialektisches Scheingespräch“. (Vgl. Löwith 1928/81, S.83)

Löwith zufolge neigt auch die „grundsätzliche“, also nicht scheinhafte „Dialektik von Ich und Du“ zu lebensweltlichen Zweideutigkeiten (vgl. Löwith 1928/81, S.92f.). Daran wird deutlich, daß er eine alltagspragmatische Verortung von Ich und Du vornimmt. Auf diese Weise verringert sich der Unterschied zu einem Gruppenverhalten (als Lebenswelt) bis zur Unkenntlichkeit. So auch im folgenden Zitat: „(I)hre“, nämlich von Ich und Du, „gemeinsame Antipathie gegen einen Dritten verstärkt ihre Sympathie zueinander ...“ (Löwith 1928/81, S.93) Hier kommt die soziale Beziehung zwischen Zweien nur noch negativ, als Antipathie gegenüber einem Dritten, zum Ausdruck. Ihr eigenes soziales Potenzial gerät aus dem Blick.

Dennoch: es gibt keine Zweiheit von Ich und Du, die sich über ein soziales Drittes vermittelt; denn, noch einmal negativ ausgedrückt: „... schon jedes bloße Dazwischenkommen eines ‚Dritten‛ modifiziert bereits das Verhältnis des einen zum andern ...“ (Löwith 1928/81, S.93) Mit anderen Worten: die Zweierbeziehung läßt sich nicht in eine Gruppensituation einbetten, ohne ihren Charakter als spezifische Sozialform zu verlieren.

Pirandellos Theaterstück

Damit kommen wir zu Löwiths Interpretation des Theaterstücks „Cosi é (se vi pare)“ (1917) von Luigi Pirandello. (Vgl. Löwith 1928/81, S.100ff.) In diesem Theaterstück wird von den zwei Formen des Dritten, der Wirklichkeit und dem Sozialen, nur das soziale Dritte thematisiert. Im Zentrum des Theaterstücks steht eine drei-Personen-Konstellation aus Ehefrau, Ehemann und Schwiegermutter (des Ehemanns), deren Zweier-Beziehungen, Ehemann/Ehefrau, Ehefrau/Mutter, Ehemann/Schwiegermutter von den Einwohnern einer kleinen Stadt mißtrauisch beäugt wird. Die drei sind neu in dem Dorf und bewohnen zwei Wohnungen: die Ehefrau und Tochter bewohnt eine Wohnung für sich, während die anderen beiden eine andere Wohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite bewohnen.

Die Einwohner wollen wissen, mit wem sie es bei den drei Personen zu tun haben, wobei diese drei Personen selbst sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wer die jeweils anderen beiden sind. Zusätzlich erschwerend kommt hinzu, daß es eine der drei Personen, die Ehefrau und Tochter, gar nicht gibt. Wenn also die drei Personen ein Dreieck bilden, so ist die dritte Ecke, die Ehefrau, imaginär.

Anders ausgedrückt: das referentielle Dreieck, dessen Basis aus zwei Personen besteht, die sich gemeinsam auf ein Drittes an der Spitze des Dreiecks beziehen, das entweder ein realer Gegenstand oder eine andere Person sein kann, ist ein imaginäres Dreieck. Damit wird nicht nur der Unterschied zwischen nichtmenschlicher Welt und Menschenwelt nivelliert, sondern auch das Soziale selbst, hier also die Zweierbeziehung, wird zweifelhaft. Sie entpuppt sich als Wahngebilde.

Dazu paßt aber Löwiths Interpretation von Pirandellos Theaterstück zunächst nicht. Löwith schreibt mit Bezug auf den Titel des Stücks: „,Sofern es euch so erscheint ‒ ist es so‛. Das heißt, zunächst ist einer so bestimmt, wie er einem (andern oder sich selbst) erscheint. Der Ton liegt nicht auf dem Erscheinen als einem ‚bloßen‛ Schein, sondern auf der Erscheinungsweise eines Seins.“ (Löwith 1928/81, S.102; Hervorhebungen KL) Tatsächlich liegt der „Ton“ aber auf dem unter dem Schein verborgenen Sein; denn nicht das Sein selbst ist zweifelhaft, sondern nur die Erscheinungsweise.

Löwith leitet den Personbegriff vom lateinischen „persona“ ab, das er mit „Maske“ übersetzt. (Vgl. Löwith 1928/81, S.100ff.) Auch die Maske wäre nutzlos, wenn da nicht jemand wäre, der sie trüge. Löwith unterlegt also der Phänomenologie eine Ontologie. Er begnügt sich nicht mit dem Schein. Mit dieser Einstellung gleicht Löwith den Dorfbewohnern, die sich nicht mit dem Schein zufrieden geben wollen. Dieser Umstand wird von Löwith nicht weiter reflektiert.

So kann das Verhältnis zwischen Sagen und Meinen gar nicht erst in den Blick kommen, das sich ja auch in der Konstellation von Maske und Maskiertem verbirgt: „Damit diese Frage (nach dem eigentlichen Sein ‒ DZ) einen konkreten Boden hat, muß einer () zunächst für einen andern schon irgendwie da sein, muß einem irgendwie ,erscheinen‛, was einer ,ist‛.“ (Löwith 1928/81, S.102) ‒ Oder auch: damit einer für einen anderen irgendwie da ist, muß er ,eine Rolle spielen‛. Er muß sich maskieren. Nur daß eben im Falle des Theaterstücks niemand für die zwei Personen da ist. Der Mutter fehlt die Tochter und dem Ehemann die Gattin. Ihre ,Masken‛ bzw. ihre Rollen, die sie spielen sind leer. Löwiths Frage hat also keinen konkreten Boden und ist deshalb falsch gestellt.

Letztlich haben wir es also mit einem imaginären referentiellen Dreieck zu tun, mit einem referentiellen Dreieck, dessen dritte Ecke es gar nicht gibt, also mit einer in sich geschlossenen Zweierbeziehung, Ehemann und Schwiegermutter und all die auf diese beiden bezogenen Aktivitäten der Dorfbewohner, sind gegenstandslos. Alle Masken, deren personale Identitäten (Ehemann, Ehefrau/Tochter und Schwiegermutter) die Einwohner zu lüften versuchen, sind leer, weil es keine Ehefrau gibt, die den Rollen, die Ehemann und Schwiegermutter spielen, Realität verleihen würde.

Welchen Zweck verfolgt Löwith also mit seiner ausführlichen Interpretation von Pirandellos Theaterstück? Eigentlich müßte alles auf eine Bestätigung des Plessnerschen Zweifels hinauslaufen, daß wir Menschen „nirgendwo“ und „nirgend­wann“ ‚Ich‛ sind. (Vgl. „Stufen des Organischen“ (1928/1975), S.292; vgl. dazu im Gegensatz Löwith 1928/ 81, S.29) Aber Löwith wendet sich von seinem bisherigen Umgang mit seinem Thema, von Ich und Du, ab und anstatt den Menschen wie Plessner exzentrisch zu positionieren, soll die Zweierbeziehung jetzt bloß ein „Wahngebilde“ sein. (Vgl. Löwith 1928/81, S.109). Inwiefern dieses Wahngebilde etwas mit realitätshaltigen Wechselbeziehungen zwischen Zweien zu tun hat oder ob beides dasselbe ist ‒ daß nämlich Zweierbeziehungen immer Wahngebilde sind ‒, wird von Löwith seltsamerweise nicht weiter erläutert.

Löwith bereitet seine immerhin 18 Textseiten umfassende Auseinandersetzung mit dem Bühnenstück vor, indem er zuvor Zweierbeziehungen als einen geschlossenen Zirkel, also als eine Blasenbeziehung beschreibt. (Vgl. Löwith 1981, S.99) Das findet sein Gegenstück in der Bühnenszene, wo ein philosophisch gesinnter Dorfbewohner die Beziehung zwischen Ehemann und Schwiegermutter, wie schon erwähnt, als ein „Wahngebilde“ bezeichnet, dem der referentielle Bezug auf die Wirklichkeit abhanden gekommen ist, „weil sie sie (die Wirklichkeit ‒ DZ) selbst vernichtet haben in ihrer Seele ‒ versteht Ihr mich?“ ‒ Er fährt fort: „Weil er ihr und sie ihm ein Wahngebilde aufgebaut hat, welches dieselbe Richtigkeit hat und in welchem sie gänzlich leben, und zwar in vollkommener Einstimmigkeit.“ (Zitiert nach Löwith 1928/1981, S.109)

Das ist aber letztlich nur die Perspektive der Dorfbewohner auf die Zweierbeziehung in der imaginären Dreierkonstellation. Löwith verwendet im Verlauf seiner Interpretation für den Ehemann das Kürzel ‚P‛ und für die Schwiegermutter das Kürzel ‚F‛. Die nicht vorhandene Ehefrau ist bezeichnenderweise ‚X‛. Weil es in einem Bühnenstück schwierig ist, eine imaginäre Person real auftreten zu lassen, verfällt Pirandello auf den Trick, ‚X‛, also die Ehefrau, als eine willenlose Person darzustellen, die für sich selbst nichts anderes sein will, als was ‚P‛ von ihr als Ehefrau und ‚F‛ von ihr als Tochter denken: „Ein selbständiges Individuum ist sie nur körperlich, ihrer existentiellen Wirklichkeit nach existiert sie für zwei Personen. Außer diesem ihrem ‚Sein-für-Andere‛ hat sie kein ‚Ansichsein‛, ihr Ansichsein ist wirklich nur jene ,bloße Abstraktion von allem Sein-für-Anderes‛, mit welcher Hegel Kants Begriff vom ‚Ding-an-sich‛ kennzeichnet.“ (Löwith 1928/81, S.114)

Löwith transformiert die ethisch motivierte Frage nach der Qualität der Wechselbeziehung zwischen Zweien zunächst über die Frage nach der sozialen Struktur einer Gruppe angesichts einer für sie nicht nachvollziehbaren Wechselbeziehung zwischen Dreien in die erkenntnistheoretisch motivierte Frage nach der Wirklichkeit der Referenz in einem referentiellen Dreieck auf der Basis von Zweien. Diese Einschränkung des referentiellen Wirklichkeitsbezugs auf eine Zweierbeziehung ist schon an früherer Stelle angelegt, wo Löwith mit Bezug auf Dilthey die Widerständigkeit eines fremden Anderen nur unter unsresgleichen, also im Miteinander der Menschenwelt verortet und der nichtmenschlichen Naturwelt jede menschliche Relevanz abspricht. Da es definitionsgemäß kein widerständiges Weltding geben kann, kommt es letztlich zur Degradierung des referentiellen Dreiecks zu einem imaginären Dreieck, zu eben jenem sozialen ‚Wahngebilde‛ in Pirandellos Bühnenstück. Wo nur Menschen einander widerständig sein können, wird alles zur Illusion und das referentielle Dritte imaginär.

Pirandellos „Cosi é (se vi pare)“, sofern es euch so erscheint, ist es so, widerlegt also die Rangordnung, in der die Menschenwelt realitätshaltiger ist als die nichtmenschliche Naturwelt. Dilthey ist widerlegt. Und mit ihm Löwith.

Fazit

Folgt man Löwith, so kam es ihm mit Pirandellos Theaterstück vor allem auf die Frage an, inwiefern sich das Verhältnis zwischen Zweien zu einem Wahngebilde verselbständigen kann: „Die Geschichte eines jeden Verhältnisses artikuliert sich schematisch dreifach, nach Eintreten, Darinstehen und Heraustreten. Wechselseitig verfallen kann nur das schon bestehende Verhältnis, weil sich nur darin die ursprüngliche Initiative des einen und andern in das wechselseitige Verhältnis als solches verlegen kann. Die Initiative des Verhaltens, die in ein Verhältnis hinein und aus ihm herausführen kann, steht als Initiative bei jedem als einzelnem.“ (Löwith 1928/81, S.116)

Es kommt also auf das initiative Verhalten des Einzelnen an, ob eine Zweierbeziehung zustandekommt, die sich dann aber in ihrem Verlauf als Verhältnis bis hin zur Wahnhaftigkeit verselbständigen kann. Eine solche Zweierbeziehung hat nichts mehr mit sich begegnenden Gleichen als Ich und Du zu tun, die immer situativ in eine Wirklichkeit eingebettet ist, auf die hin, als ein Drittes, sie wechselwirken bzw. auf die sie gemeinsam referieren. In dem Wahngebilde, um das es in dem Theaterstück geht und in dem dem Ehemann und der Schwiegermutter die Referenz abhanden gekommen ist, haben wir es Löwith zufolge mit der ‚Initiative‛ des Ehemanns und mit der ‚Initiative‛ der Schwiegermutter zu tun, zu einander in ein Verhältnis zu treten, in dem sie um des Wohlbefindens des andern willen diesen in seinen Illusionen bestätigen und stärken. Dieses Worumwillen bestimmt ihr wahnhaftes Verhältnis zueinander. Mit Löwith gesprochen: beide haben beschlossen, in dieses Verhältnis zueinander einzutreten und dann hat sich dieses Verhältnis verselbständigt und sie können jetzt nicht mehr heraus, es sei denn, der geschlossene Zirkel, den das Verhältnis jetzt bildet, zerfällt von sich aus.

Allerdings hatte Löwith zuvor zwischen der verabsolutierten Beziehung des Individuums auf sich selbst und dem absoluten Verhältnis zwischen zwei Personen als Füreinander und Miteinander gesprochen und damit auch eine Wertung zugunsten des absoluten Verhältnisses verbunden. Wie paßt das jetzt zu einem verselbständigten Verhältnis zwischen Zweien, das sich jetzt als ein verabsolutiertes Wahngebilde erweist? Es fehlt im Text jede vermittelnde Erläuterung zwischen diesen beiden Sachverhalten.

Außerdem: Warum hat Löwith mit Pirandellos Theaterstück eine solche wahnhafte Zweierbeziehung ins Zentrum seiner Habilitationsschrift gestellt? Was will er uns damit sagen? Für mich bleiben die 18 Seiten, die so gar nicht in die Gesamtanlage seiner Habilitationsschrift passen, ein Rätsel. Sie haben wenig bis gar nichts mit Feuerbach oder mit Dilthey zu tun. Andere Geschichten hätten da nähergelegen, wie z.B. die Samaritergeschichte, mit der sich Martin Buber in seinem Buch über das dialogische Prinzip befaßt. Hätte sich Löwith ebenfalls mit ihr befaßt, hätte er folgendes Fazit aus dem Theaterstück nicht ziehen können: „Wenn aber der eine des andern Sprache nicht beherrscht, dann kommen sie einander auch gar nicht nahe; als Menschen von verschiedener Sprache können sie nicht wirklich miteinander, sondern nur beisammen sein.“ (Löwith 1928/81, S.120; Hervorhebung KL)

Das paßt zu dem Wahngebilde des Ehemanns und der Schwiegermutter, die nicht miteinander reden, sondern ‚nur beisammen‛ sind. Aber die Samaritergeschichte erzählt eine ganz andere Zweierbeziehung, in der der Samariter und der Jude nicht ein einziges Wort miteinander reden. Tatsächlich stehen Samariter und Juden in dieser Geschichte für Gruppen, die prinzipiell nicht miteinander reden. Dennoch tut der Samariter alles Notwendige, um den verletzten Juden zu beherbergen und zu versorgen. Es bedarf also keiner gemeinsamen Sprache, um das Wahngebilde einer alten Dauerfeindschaft zu überwinden, wenn es ganz elementar darum geht, einem Menschen in Not zu helfen. Diese Besonderheit gilt aber nur für zwei-Personen-Konstellationen und nicht für verfeindete Gruppen.

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