1. ,Kehre‛
2. Weltbestimmungen
3. Sensualismus
4. Referenz
5. ,Mein‛ Du
6. Zwiegespräch und Gewissen
7. Erwiederung statt Erwiderung
8. primäre Willensverhältnisse
9. die eigentliche Kehre
Karl Löwith, „Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen“ (1928)
In: „Mensch und Menschenwelt“ (1981, S.9-197)
ders., „Welt und Menschenwelt“ (1960)
In: „Mensch und Menschenwelt“ (1981, S.295-328)
Löwiths begriffliche Trennung zwischen ,Individuum‛ und ,Person‛ führt, da er das Individuum als nur für selbst verantwortliches Ich setzt, nicht nur dazu, wie wir im vorangegangenen Blogpost gesehen haben, daß er mit einem Gewissensbegriff nichts anfangen kann, sondern auch dazu, daß er es als völlig kommunikationsunfähig setzt: „Ebensowenig wie einer ,mit‛ den andern allgemein sprechen kann ‒ sondern nur mit einem unter andern ‒ spricht man eigentlich mit einem andern, wenn man ihn nicht als zweite Person, sondern als ihn selbst, als ein selbständiges Individuum anredet. Einen andern als anderes Ich ansprechend, beansprucht man vom andern den Verzicht auf gesprächsmäßige Erwiederung.“ (Löwith 1928/81, S.130; Hervorhebungen KL)
„Erwiederung“ ist kein Rechtschreibfehler, sondern soll zum Ausdruck bringen, daß hier nicht der Widerspruch mit einem einfachen ,i‛ gemeint ist, sondern die aufmerksame Wiederholung des Gesagten mit ,ie‛, mit der der Gesprächspartner zeigt, daß er verstanden hat. Aber es ist eben doch widersinnig (mit nur einem einfachen ,i‛), daß die Person kein kommunikationsunfähiges Individuum sein soll und umgekehrt das Individuum keine kommunikationsfähige Person. Diese künstliche Entgegensetzung wirft ein eher schräges Licht auf die Herleitung der Person von der ,persona‛, von der in dieser Funktion nichts mehr bleibt als die ,Rolle‛, die sie ‚spielt‛. (Vgl. Löwith 1928/81, S.100ff.)
Noch widersinniger scheint mir aber Löwiths Weigerung zu sein, das Du als ein Ich zu verstehen, denn wer sonst sollte verstehen, was Ich ihm zu sagen hat? Denn daß es keine zwei Ich geben kann, ist weder von der Sache noch von der Logik her zwingend. Dem Ich geht nichts von seiner Kommunikationsfähigkeit verloren, wenn es einem anderen Ich begegnet, das ebenso einzig ist, sobald beide Du zueinander sagen. Tatsächlich kann nur, wer Ich sagt, zum Du werden. Wenn Ich und Du in einer ebenbürtigen, auf Gleichheit beruhenden Wechselbeziehung zueinander stehen, dann muß das Ich immer schon Du und das Du immer schon Ich sein.
Es kommt sogar noch schlimmer. Daß die Erwiederung keine Erwiderung sein soll, beinhaltet auch, daß Löwith jeden Versuch einer „Selbstbefragung und Selbstkritik“ für ein Gespräch in „freier Entsprechung“, freundlich gesagt, für unproduktiv hält. (Vgl. Löwith 1928/81, S.130) ‒ Deshalb hat Löwith auch etwas gegen die innere Zwiesprache.
Löwith ist für die Absurdität, die freie und gleiche Wechselwirkung in der Zweierbeziehung ohne Selbstbefragung und Selbstkritik zu denken, so unempfindlich, daß er die Rede des einen an den andern mit ,Hörigkeit‛ gleichsetzt (vgl. Löwith 1928/81, S.132), im Sinne des widerspruchsfreien ,Hörens‛ auf das Gesagte. Daß er glaubt, diese Vokabel im positiven Sinne verwenden zu können, läßt sich nicht mehr mit einem harmlosem Wortspiel entschuldigen. Da will einer unbedingt zugunsten einer wechselseitigen Entsprechung, bei der die andere Seite nicht Ich sein darf, jeden potentiellen Widerspruch in der Erwiderung ausmerzen und an deren Stelle die Erwiederung setzen: „Um sich von einem andern etwas sagen lassen zu können, muß man sich selbst die Gegenrede untersagen können. Indem sich einer selbst die dem Gespräch immanente Tendenz zur Gegenrede untersagt, ermöglicht er sich die freie Begegnung des andern in dem, was dieser, als ein anderer, einem selbst zu sagen hat.“ (Löwith 1928/81, S.132)
So wird eine aus der Sache des Zuhörens heraus durchaus begründbare Grundhaltung, die zugewandte Hingabe an den anderen Menschen, in etwas Monströses verwandelt. Zuhören bedeutet allererst, durch die Differenz des Gesagten hindurch auf das Gemeinte zu achten, denn es gibt keine eins-zu-eins-Entsprechung von Meinen und Sagen, so wenig, wie einmal Gesagtes dadurch, daß man es wiederholt, noch dasselbe meint wie zuvor. Besser wäre es dann, zu schweigen und sich ganz aufs Zuhören zu beschränken, was Löwith dann auch tatsächlich vorschlägt: „Das eigentlich hörende Schweigen ist also eine ausgezeichnete Weise, dem andern zu entsprechen. Es entspricht dem andern widerspruchsfrei.“ (Löwith 1928,81, S.132; Hervorhebung KL)
Wie wenig konsistent Löwith argumentiert, zeigt sich, wenn er Zuhören und Verstehen als eine Übersetzungsleistung kennzeichnet: „Nun ist aber schon jedes Anhören und Verstehen der Rede eines andern, als der eines andern notwendig ein ‚Übersetzen‛ in die eigene Sprache.“ (Löwith 1928/81, S.133; Hervorhebungen KL)
Da sprechen also zwei Gesprächspartner eben doch verschiedene Sprachen, so daß, was gesagt wird, von der einen Sprache in die andere übersetzt werden muß, was Löwith an einer früheren Stelle schon einmal anders dargestellt hatte: daß nämlich zwei Menschen, die verschiedene Sprachen sprechen, nicht miteinander sprechen könnten. (Vgl. Löwith 1928/81, S.120) Bei einer solchen Übersetzungsleistung, wie sie das Zuhören erfordert, kann aber wohl kaum mehr von einer eins-zu-eins-Übernahme des Gehörten die Rede sein.
Allerdings schwächt Löwith dieses Zugeständnis an die Eigenleistung des Hörenden gleich wieder ab, und es bleibt deshalb für seinen denkfeindlichen Standpunkt folgenlos, denn Löwith zufolge handelt es sich bloß um ein „zumeist ganz unausdrückliches Übersetzen“ (vgl. Löwith 1928/81, S.133; Hervorhebung DZ); sprich: die Übersetzungsleistung vollzieht sich ohne jede kritische Anstrengung des Begriffs.
Philosophie- und Schriftkritik
Angesichts dessen, daß Löwiths eigene Begriffe bei genauerem Hinsehen nicht standhalten, verwundert es, wenn er nun seinerseits meint, die philosophische Arbeit am Begriff kritisieren zu müssen. Er vergleicht die philosophischen Begriffe mit „Zauberformeln“, weil sie darauf abzielen, Begriff und Sache miteinander eins zu eins gleichzusetzen (vgl. Löwith 1928/81, S.133), kritisiert sie also für etwas, was er selbst macht. Auch er verhindert das eigenständige Nachdenken des Hörenden, indem er ihn darauf verpflichtet, nichts anderes zu denken als exakt das, was der Redende sagt (vgl. Löwith 1928/81, S.134), nicht anders also, als würden Zauberformeln ausgetauscht. Heutzutage würde man nicht von Zauberformeln, sondern von Algorithmen sprechen, was auf dasselbe hinausläuft.
Zunächst Löwiths Kritik an Hegel, pars pro toto für die Philosophie: „Dieser Widerspruch, dem Begriff eine eigenständige Ausprägung zu geben und ihn doch noch für andere zum eigenen Nachdenken mitzuteilen, kennzeichnet Hegels Begrifflichkeit in ihrem Anspruch, die Sache selbst in selbständigen Begriffen einzubegreifen.“ (Löwith 1928/81, S.134)
Löwith überträgt dann diese Kritik auf die Schrift als kulturellem Artefakt. Auch in schriftlich fixierten Texten, so Löwith, werden dem „mündlichen Gedankenaustausch“ (Löwith 1928/81, S.134) zwischen Zweien in seiner offenen Prozeßhaftigkeit verselbständigte Begriffe entgegengesetzt, so daß sie dem Anspruch auf Unmittelbarkeit im Reden, Hören und Verstehen nicht entsprechen können. Auch diese Kritik ist nicht stimmig zuende gedacht, denn eine solche Unmittelbarkeit in der Mündlichkeit gäbe es nur, wenn es auch eine eins-zu-eins-Entsprechung von Reden und Hören gäbe. Gerade das aber wäre wiederum das Gegenteil einer offenen Gedankenentwicklung.
Noch einmal Löwith fern jeder Hörigkeit: „Im Gespräch verbietet sich ganz von selbst die Idee, einem andern eine Wortbedeutung in terminologischer Abgeschlossenheit zu übermitteln. Der anspruchsvolle Sinn des Wortes ist: dem daraufhin Angesprochenen einen ,Anstoß‛ zu geben, damit er selbst daran mitbilde. Das zuhörende Verstehen ist ebenso wie das Ansprechen eine gegenseitige Anregung der zum Hören und Sprechen bereitliegenden ,Sprachkraft‛.“ (Löwith 1928/81, S.134f.) ‒ Reden und Hören als gegenseitige Anregung sind aber etwas anderes als eine eins-zu-eins-Übertragung von Inhalten zwischen zwei Personen im Sinne einer Erwiederung. Letzteres wäre nämlich terminologische Geschlossenheit.
Löwith setzt also seine Kritik an den philosophischen Begriffen mit einer Kritik an der Verabsolutierung schriftlicher Texte fort. (Vgl. Löwith 1928/81, S.135ff.): „Die mögliche Verabsolutierung der begrifflichen Bestimmung von etwas gründet in der Auflösung der ursprünglichen Wechselrede zum Schreiben des einen und Lesen des andern.“ (Löwith 1928/81, S.135)
Löwith hätte eigentlich schon von Schleiermachers Hermeneutikbegriff her wissen können, daß es, was das individuelle Allgemeine betrifft, keinen Unterschied zwischen mündlicher Rede und schriftlichem Text gibt. In beiden Textformen sind Individuelles und Allgemeines, als Textur, so miteinander ,verwoben‛, daß weder Wörter noch Begriffe jemals endgültig auf eine mit sich identisch bleibende Bedeutung festgelegt werden können. Von einer Verabsolutierung des Begriffs kann also nur dort die Rede sein, wo dieser Umstand ignoriert wird, nicht selten deshalb, weil Selbstbefragung und Selbstkritik unterbunden werden sollen.
Auch ein eindeutig definierter Begriff franst an seinen Rändern in Regionen des Unbegrifflichen aus.
2. Weltbestimmungen
3. Sensualismus
4. Referenz
5. ,Mein‛ Du
6. Zwiegespräch und Gewissen
7. Erwiederung statt Erwiderung
8. primäre Willensverhältnisse
9. die eigentliche Kehre
Karl Löwith, „Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen“ (1928)
In: „Mensch und Menschenwelt“ (1981, S.9-197)
ders., „Welt und Menschenwelt“ (1960)
In: „Mensch und Menschenwelt“ (1981, S.295-328)
Löwiths begriffliche Trennung zwischen ,Individuum‛ und ,Person‛ führt, da er das Individuum als nur für selbst verantwortliches Ich setzt, nicht nur dazu, wie wir im vorangegangenen Blogpost gesehen haben, daß er mit einem Gewissensbegriff nichts anfangen kann, sondern auch dazu, daß er es als völlig kommunikationsunfähig setzt: „Ebensowenig wie einer ,mit‛ den andern allgemein sprechen kann ‒ sondern nur mit einem unter andern ‒ spricht man eigentlich mit einem andern, wenn man ihn nicht als zweite Person, sondern als ihn selbst, als ein selbständiges Individuum anredet. Einen andern als anderes Ich ansprechend, beansprucht man vom andern den Verzicht auf gesprächsmäßige Erwiederung.“ (Löwith 1928/81, S.130; Hervorhebungen KL)
„Erwiederung“ ist kein Rechtschreibfehler, sondern soll zum Ausdruck bringen, daß hier nicht der Widerspruch mit einem einfachen ,i‛ gemeint ist, sondern die aufmerksame Wiederholung des Gesagten mit ,ie‛, mit der der Gesprächspartner zeigt, daß er verstanden hat. Aber es ist eben doch widersinnig (mit nur einem einfachen ,i‛), daß die Person kein kommunikationsunfähiges Individuum sein soll und umgekehrt das Individuum keine kommunikationsfähige Person. Diese künstliche Entgegensetzung wirft ein eher schräges Licht auf die Herleitung der Person von der ,persona‛, von der in dieser Funktion nichts mehr bleibt als die ,Rolle‛, die sie ‚spielt‛. (Vgl. Löwith 1928/81, S.100ff.)
Noch widersinniger scheint mir aber Löwiths Weigerung zu sein, das Du als ein Ich zu verstehen, denn wer sonst sollte verstehen, was Ich ihm zu sagen hat? Denn daß es keine zwei Ich geben kann, ist weder von der Sache noch von der Logik her zwingend. Dem Ich geht nichts von seiner Kommunikationsfähigkeit verloren, wenn es einem anderen Ich begegnet, das ebenso einzig ist, sobald beide Du zueinander sagen. Tatsächlich kann nur, wer Ich sagt, zum Du werden. Wenn Ich und Du in einer ebenbürtigen, auf Gleichheit beruhenden Wechselbeziehung zueinander stehen, dann muß das Ich immer schon Du und das Du immer schon Ich sein.
Es kommt sogar noch schlimmer. Daß die Erwiederung keine Erwiderung sein soll, beinhaltet auch, daß Löwith jeden Versuch einer „Selbstbefragung und Selbstkritik“ für ein Gespräch in „freier Entsprechung“, freundlich gesagt, für unproduktiv hält. (Vgl. Löwith 1928/81, S.130) ‒ Deshalb hat Löwith auch etwas gegen die innere Zwiesprache.
Löwith ist für die Absurdität, die freie und gleiche Wechselwirkung in der Zweierbeziehung ohne Selbstbefragung und Selbstkritik zu denken, so unempfindlich, daß er die Rede des einen an den andern mit ,Hörigkeit‛ gleichsetzt (vgl. Löwith 1928/81, S.132), im Sinne des widerspruchsfreien ,Hörens‛ auf das Gesagte. Daß er glaubt, diese Vokabel im positiven Sinne verwenden zu können, läßt sich nicht mehr mit einem harmlosem Wortspiel entschuldigen. Da will einer unbedingt zugunsten einer wechselseitigen Entsprechung, bei der die andere Seite nicht Ich sein darf, jeden potentiellen Widerspruch in der Erwiderung ausmerzen und an deren Stelle die Erwiederung setzen: „Um sich von einem andern etwas sagen lassen zu können, muß man sich selbst die Gegenrede untersagen können. Indem sich einer selbst die dem Gespräch immanente Tendenz zur Gegenrede untersagt, ermöglicht er sich die freie Begegnung des andern in dem, was dieser, als ein anderer, einem selbst zu sagen hat.“ (Löwith 1928/81, S.132)
So wird eine aus der Sache des Zuhörens heraus durchaus begründbare Grundhaltung, die zugewandte Hingabe an den anderen Menschen, in etwas Monströses verwandelt. Zuhören bedeutet allererst, durch die Differenz des Gesagten hindurch auf das Gemeinte zu achten, denn es gibt keine eins-zu-eins-Entsprechung von Meinen und Sagen, so wenig, wie einmal Gesagtes dadurch, daß man es wiederholt, noch dasselbe meint wie zuvor. Besser wäre es dann, zu schweigen und sich ganz aufs Zuhören zu beschränken, was Löwith dann auch tatsächlich vorschlägt: „Das eigentlich hörende Schweigen ist also eine ausgezeichnete Weise, dem andern zu entsprechen. Es entspricht dem andern widerspruchsfrei.“ (Löwith 1928,81, S.132; Hervorhebung KL)
Wie wenig konsistent Löwith argumentiert, zeigt sich, wenn er Zuhören und Verstehen als eine Übersetzungsleistung kennzeichnet: „Nun ist aber schon jedes Anhören und Verstehen der Rede eines andern, als der eines andern notwendig ein ‚Übersetzen‛ in die eigene Sprache.“ (Löwith 1928/81, S.133; Hervorhebungen KL)
Da sprechen also zwei Gesprächspartner eben doch verschiedene Sprachen, so daß, was gesagt wird, von der einen Sprache in die andere übersetzt werden muß, was Löwith an einer früheren Stelle schon einmal anders dargestellt hatte: daß nämlich zwei Menschen, die verschiedene Sprachen sprechen, nicht miteinander sprechen könnten. (Vgl. Löwith 1928/81, S.120) Bei einer solchen Übersetzungsleistung, wie sie das Zuhören erfordert, kann aber wohl kaum mehr von einer eins-zu-eins-Übernahme des Gehörten die Rede sein.
Allerdings schwächt Löwith dieses Zugeständnis an die Eigenleistung des Hörenden gleich wieder ab, und es bleibt deshalb für seinen denkfeindlichen Standpunkt folgenlos, denn Löwith zufolge handelt es sich bloß um ein „zumeist ganz unausdrückliches Übersetzen“ (vgl. Löwith 1928/81, S.133; Hervorhebung DZ); sprich: die Übersetzungsleistung vollzieht sich ohne jede kritische Anstrengung des Begriffs.
Philosophie- und Schriftkritik
Angesichts dessen, daß Löwiths eigene Begriffe bei genauerem Hinsehen nicht standhalten, verwundert es, wenn er nun seinerseits meint, die philosophische Arbeit am Begriff kritisieren zu müssen. Er vergleicht die philosophischen Begriffe mit „Zauberformeln“, weil sie darauf abzielen, Begriff und Sache miteinander eins zu eins gleichzusetzen (vgl. Löwith 1928/81, S.133), kritisiert sie also für etwas, was er selbst macht. Auch er verhindert das eigenständige Nachdenken des Hörenden, indem er ihn darauf verpflichtet, nichts anderes zu denken als exakt das, was der Redende sagt (vgl. Löwith 1928/81, S.134), nicht anders also, als würden Zauberformeln ausgetauscht. Heutzutage würde man nicht von Zauberformeln, sondern von Algorithmen sprechen, was auf dasselbe hinausläuft.Zunächst Löwiths Kritik an Hegel, pars pro toto für die Philosophie: „Dieser Widerspruch, dem Begriff eine eigenständige Ausprägung zu geben und ihn doch noch für andere zum eigenen Nachdenken mitzuteilen, kennzeichnet Hegels Begrifflichkeit in ihrem Anspruch, die Sache selbst in selbständigen Begriffen einzubegreifen.“ (Löwith 1928/81, S.134)
Löwith überträgt dann diese Kritik auf die Schrift als kulturellem Artefakt. Auch in schriftlich fixierten Texten, so Löwith, werden dem „mündlichen Gedankenaustausch“ (Löwith 1928/81, S.134) zwischen Zweien in seiner offenen Prozeßhaftigkeit verselbständigte Begriffe entgegengesetzt, so daß sie dem Anspruch auf Unmittelbarkeit im Reden, Hören und Verstehen nicht entsprechen können. Auch diese Kritik ist nicht stimmig zuende gedacht, denn eine solche Unmittelbarkeit in der Mündlichkeit gäbe es nur, wenn es auch eine eins-zu-eins-Entsprechung von Reden und Hören gäbe. Gerade das aber wäre wiederum das Gegenteil einer offenen Gedankenentwicklung.
Noch einmal Löwith fern jeder Hörigkeit: „Im Gespräch verbietet sich ganz von selbst die Idee, einem andern eine Wortbedeutung in terminologischer Abgeschlossenheit zu übermitteln. Der anspruchsvolle Sinn des Wortes ist: dem daraufhin Angesprochenen einen ,Anstoß‛ zu geben, damit er selbst daran mitbilde. Das zuhörende Verstehen ist ebenso wie das Ansprechen eine gegenseitige Anregung der zum Hören und Sprechen bereitliegenden ,Sprachkraft‛.“ (Löwith 1928/81, S.134f.) ‒ Reden und Hören als gegenseitige Anregung sind aber etwas anderes als eine eins-zu-eins-Übertragung von Inhalten zwischen zwei Personen im Sinne einer Erwiederung. Letzteres wäre nämlich terminologische Geschlossenheit.
Löwith setzt also seine Kritik an den philosophischen Begriffen mit einer Kritik an der Verabsolutierung schriftlicher Texte fort. (Vgl. Löwith 1928/81, S.135ff.): „Die mögliche Verabsolutierung der begrifflichen Bestimmung von etwas gründet in der Auflösung der ursprünglichen Wechselrede zum Schreiben des einen und Lesen des andern.“ (Löwith 1928/81, S.135)
Löwith hätte eigentlich schon von Schleiermachers Hermeneutikbegriff her wissen können, daß es, was das individuelle Allgemeine betrifft, keinen Unterschied zwischen mündlicher Rede und schriftlichem Text gibt. In beiden Textformen sind Individuelles und Allgemeines, als Textur, so miteinander ,verwoben‛, daß weder Wörter noch Begriffe jemals endgültig auf eine mit sich identisch bleibende Bedeutung festgelegt werden können. Von einer Verabsolutierung des Begriffs kann also nur dort die Rede sein, wo dieser Umstand ignoriert wird, nicht selten deshalb, weil Selbstbefragung und Selbstkritik unterbunden werden sollen.
Auch ein eindeutig definierter Begriff franst an seinen Rändern in Regionen des Unbegrifflichen aus.
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Insofern Löwith das Richtige meint, nämlich „die Freiheit der es (das Sprechen ‒ DZ) ausdeutenden Entsprechung eines Hörenden und Sprechenden“ (vgl. Löwith 1928/81, S.135), bezieht er sich scheinbar zurecht auf Wilhelm von Humdboldt, auf den er sich mit folgendem Zitat beruft: „Die Menschen verstehen einander nicht dadurch, daß sie denselben Begriff denken, sondern () dadurch, daß in jedem entsprechende Begriffe, aber nicht dieselben hervorgehen.“ (Zitiert nach Löwith 1928/81, S.135; Hervorhebungen WvH oder KL)
Aber das Recht, sich auf Humboldt zu berufen, hat er sich mit seiner beharrlichen Weigerung, Gesagtes auf sein Gemeintes hin kritisch zu prüfen, bis hin zur völligen Unterwerfung (Hörigkeit) des Zuhörenden unter die Autorität des Sprechenden, verwirkt. Mich verblüfft die Naivität, mit der Löwith das einander ,Entsprechen‛ von Begriffen, von dem in dem Humboldt-Zitat die Rede ist, auf sein eigenes Konzept der eins-zu-eins-Entsprechung überträgt. Daß es bei diesen einander entsprechenden Begriffen, wie Humboldt ausdrücklich festhält, eben nicht um dieselben Begriffe gehen soll, hatte Löwith ja schon zuvor mit Verweis auf eine unserem Verstand entzogene unbewußte Übersetzungsleistung aus dem Weg geräumt (vgl. Löwith 1928/81, S.133), die, folgt man Löwith, einer eins-zu-eins-Entsprechung nicht nur nicht widerspricht, sondern diese sogar ermöglicht.
Aber das Recht, sich auf Humboldt zu berufen, hat er sich mit seiner beharrlichen Weigerung, Gesagtes auf sein Gemeintes hin kritisch zu prüfen, bis hin zur völligen Unterwerfung (Hörigkeit) des Zuhörenden unter die Autorität des Sprechenden, verwirkt. Mich verblüfft die Naivität, mit der Löwith das einander ,Entsprechen‛ von Begriffen, von dem in dem Humboldt-Zitat die Rede ist, auf sein eigenes Konzept der eins-zu-eins-Entsprechung überträgt. Daß es bei diesen einander entsprechenden Begriffen, wie Humboldt ausdrücklich festhält, eben nicht um dieselben Begriffe gehen soll, hatte Löwith ja schon zuvor mit Verweis auf eine unserem Verstand entzogene unbewußte Übersetzungsleistung aus dem Weg geräumt (vgl. Löwith 1928/81, S.133), die, folgt man Löwith, einer eins-zu-eins-Entsprechung nicht nur nicht widerspricht, sondern diese sogar ermöglicht.
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