„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 21. März 2020

Corona-Virus und Toilettenpapier

Es heißt, in Berlin seien Verbkäuferinnen, die sich weigerten, Kunden drei Packungen Toilettenpapier zu verkaufen, bespuckt worden. Muß wohl eine berlintypische Verhaltensform sein. Ich lebe und arbeite auf dem Land, und hier genießen die Verkäuferinnen an den Supermarktkassen spätestens seit der letzten großen Ansprache der Bundeskanzlerin allerhöchste Wertschätzung. Bei meinem letzten Einkauf im REWE letzte Woche forderte mich die Verkäuferin an der Kasse auf, ihr den ‚Müll‘ aus meinem Einkaufswagen zu geben. Ich hatte gerade damit beginnen wollen, die gekaufte Ware einzuräumen, und suchte jetzt irritiert den leeren Drahtkorb nach dem ‚Müll‘ ab, den sie meinte. Ich fragte sie, ob sie vielleicht den einsamen Kassenbon meinte, der da in einer Ecke herumlag.

„Ich gehe mal davon aus, daß er nicht von Ihnen ist!“, sagte sie streng.
„Natürlich“, sagte ich, und da ich den Eindruck hatte, daß das nicht deutlich genug war, schob ich schnell noch eine Erläuterung hinterher:
„Natürlich nicht! – Schließlich beende ich gerade erst meinen Einkauf und habe noch gar keinen Kassenbon, den ich in den Einkaufswagen legen könnte.“

Die Verkäuferin nickte gnädig, nahm den Kassenbonmüll entgegen und wandte sich dann der nächsten Kundin zu: „Man sieht es den Leuten nicht an, daß sie ihren Abfall im Einkaufswagen zurücklassen. Das tun sogar welche, denen man das nie zutrauen würde!“
Die Kundin hinter mir in der Schlange nickte eifrig und sagte etwas, das ich nicht mehr hörte, weil ich jetzt mit dem Beladen und dann mit Bezahlen beschäftigt war, um anschließend so schnell wie möglich das Weite zu suchen.

Toilettenpapier hatte ich bei diesem Einkauf nicht mehr bekommen. Die Regale waren leergehamstert. Aber ich war ganz froh darüber, denn ich glaube, ohne eine peinliche Gewissensprüfung durch die Verkäuferin wäre ich mit meiner Packung nicht an ihr vorbeigekommen.

Nachdem ich also eine weitere Woche mit dem zur Neige gehenden Vorrat zurechtgekommen war, machte ich gestern noch einmal einen Versuch in dem EDEKA in Neukirchen. Dort vertröstete man mich angesichts leerer Regale auf heute Mittag. Da würde eine Lieferung erwartet, und man hoffe, da sei auch Toilettenpapier dabei.

Heute bin ich dann erstmal zum REWE nach Unterhaun geradelt, um es zunächst dort nochmal zu versuchen. War aber vergeblich. Also fuhr ich nach Neukirchen zum EDEKA. Als ich dort ankam, war ziemlicher Betrieb. Ich traf vor dem Geschäft auch eine Nachbarin und einen Kollegen aus dem Internat. Ein Verkäufer verkündete gerade am Eingang, daß jetzt niemand mehr reingelassen werde, weil das Geschäft voll sei. Mit „voll“ war gemeint, daß alle Einkaufswagen in Gebrauch waren, und nur mit einem Einkaufswagen durfte man rein. Der Gedanke dahinter: die Einkaufswagen sorgen in der Schlange an der Kasse für „soziale Distanz“ zwischen den Wartenden. Ein ganz pfiffiger Gedanke eigentlich.

Ich erzählte meinem Kollegen, daß heute wahrscheinlich eine Lieferung Toilettenpapier eingetroffen sei. Der Kollege erwiderte, er habe bei der Anfahrt Leute mit vier Packungen unter den Armen gesehen. Ein Kunde, der gerade seinen Einkaufswagen auspackte, wollte ihn uns gegen einen Euro überlassen. Der Kollege öffnete sein Portemonnaie und durchsuchte sein Kleingeld. Die Nachbarin hatte ebenfalls ihren Einkauf beendet und überließ mir ihren Wagen; gegen einen Euro selbstverständlich.

So hob also der Austausch von Einkaufswagen und Geld vor dem EDEKA genau die soziale Distanz auf, die dann im EDEKA eben durch diese Einkaufswagen wieder hergestellt wurde. Das gehört zu den Absurditäten der Coronakrise.

Wenigsten habe ich tatsächlich mein Toilettenpapier bekommen. Schon mal eine Krise weniger.

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