„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 1. Februar 2020

Offline

In dem Roman „Unser Leben in den Wäldern“ (2019) von Marie Darrieussecq befindet sich ein Manifest des Offline-Gehens. Ich gebe es hier leicht gekürzt wieder. Mit ‚beide Hände als Maus benutzen‘ meint die Autorin, daß in nicht allzu ferner Zukunft unser „Körper als Schnittstelle“ funktioniert. (Vgl.S.84) In die Handgelenke sind Chips implantiert, mit denen wir unsere Wohnungen aufschließen und Geräte wie z.B. Fahrzeuge aktivieren, die wir zugleich mit ausladenden Hand- und Armbewegungen dirigieren. Mit der „Geschichtsschreibung“ zur „kognitiven Benutzung unserer Hände“ spielt die Autorin auf André Leroi-Gourhans „Hand und Wort“ (1964/65) an. Ob die im zweiten Absatz angesprochenen neurophysiologischen Befunde korrekt sind, kann ich nicht beurteilen.
„Wenn man nicht mehr dauerhaft online sein will, muss man sich als Erstes abgewöhnen, die eigenen Hände als Maus einzusetzen. Das ist schwer, ich weiß. Da gäbe es eine Geschichte zu schreiben, ich meine jetzt richtige Geschichtsschreibung, über die kognitive Benutzung unserer Hände, ihren Gebrauch, der mit dem Wissen und dem Schreiben zusammenhängt. Hier in ein Heft zu schreiben, nur mit einer Hand (bei mir die rechte), das hat in meinem Hirn bestimmte Gewohnheiten abgeschaltet, die mit dem beidhändigen Gebrauch von Tastaturen verknüpft waren und dann mit dem Gebrauch meiner beiden Hände als Maus. Damit aufhören, im Raum unablässig diese windmühlenartigen Gesten zu wiederholen, mit denen wir unsere Geräte in Gang setzen und steuern, unsere Helme, unsere Fahrzeuge ..., das stellt eine radikale Entgiftung unserer Welt dar, nicht mehr und nicht weniger. Wir verlassen diese Welt. Wir finden uns im Wald wieder. Wir graben mit Hacken und Schaufeln. Wir halten die Kohlenbecken in Gang, indem wir in die Glut blasen. Wir stützen die Tunnel in Handarbeit ab, wir falten die Zelte zusammen, wir fangen von vorn an. Wir rühren unsere Eintöpfe selbst um, mit dem Löffel, wir scheuern unsere Essnäpfe aus ... Wir greifen die Dinge mit den Händen.

Hirntomografien von Menschen, die dauerhaft offline gegangen sind, zeigen ein frischeres Gehirn, dessen Aktivität abnimmt und sich gleichmäßig verteilt: Das Bild ist einheitlicher blau als rot. Der mittlere präfrontale Kortex löst sich von der Amygdala, das heißt, das Zentrum des Ichs wird nicht mehr mit dem Alarmzentrum verwechselt. Er löst sich auch vom emotionalen Zentrum (ventromedialer präfrontaler Kortex = Grübeln, Sorgen). Diese beiden Areale verarbeiten die Informationen bezüglich der Menschen, die wir als ähnlich ansehen (Handhabung des familiären Beziehugsnetzes/Depression), und der Menschen, die wir als anders ansehen (Frage der sozialen Beziehung/Angst). Unterm Strich nimmt man nicht mehr alles so persönlich.“ (S.70)

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