„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Montag, 1. Dezember 2025

Geld und Prostitution

Georg Simmel, Philosophie des Geldes (2009/1900)

Christina von Braun, Der Preis des Geldes (2/2012)

Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht (1949)

Judith Butler, Wer hat Angst vor Gender? (2024/25)


In „Der Preis des Geldes“ (2/2012) schreibt Christina von Braun: „Die geschlechtliche Dimension des Geldes ist ‒ neben der Theologie und dem Alphabet ‒ das dritte Gebiet, das in der Betrachtung des Geldes eine untergeordnete oder gar keine Rolle spielte: Die Unterschätzung der geschlechtlichen Perspektive ist umso erstaunlicher, als die Sexualphantasien, die das Geld umgeben, überall präsent sind: ob im Vergleich von Geld und Prostitution bei Georg Simmel, dem Askese-Ideal als Voraussetzung für das kapitalistische Gewinnstreben bei Max Weber oder der Gleichsetzung von Markt und Hysterie in den zahlreichen ,Ratgebern für den Börsenprofi‛.“ (v.Braun 2/2012, S.15)

Simmel unterschätzt im fünften Kapitel seiner „Philosophie des Geldes“ (1900) nicht einfach nur die geschlechtliche Perspektive, sondern seine diesbezüglichen Darstellungen sind als ein Beleg für die toxische Qualität der männlichen Phantasie zu nehmen, die Simmel selbst, auf fast schon komische Weise sich dafür entschuldigend, als „psychologische Konstruktion“ bezeichnet. (Vgl. Simmel 2009, S.604)

Ausgehend von der „Kaufehe“, in der in früheren Zeiten mal der Mann für seine künftige Ehefrau deren Sippe finanziell zu entschädigen hatte oder mal der Vater der Frau dem künftigen Schwiegersohn, für was eigentlich?, einen „Brautpreis“ zu entrichten hatte (vgl. Simmel 2009, S.583ff.), kommt Simmel in logischer Konsequenz auf die Prostitution zu sprechen, wo die Prostituierte sich für ihre sexuellen Dienste von einem ‚Freier‛ bezahlen läßt und dafür, obwohl sie nichts anderes tut, als die Tradition der Kaufehe fortzusetzen, geächtet wird.

Jedenfalls findet Simmel, daß die Prostitution „den persönlichsten und auf die größte Reserve angewiesenen Besitz der Frau“ ‒ meint er ihren Körper? ‒ in besonderer Weise „herabsetzt“. (Vgl. Simmel 2009, S.596) ‒ Simmel läßt offen, was genau er mit ‚Besitz‛ meint, aber angesichts der von ihm behaupteten heiklen Umstände muß es sich bei dem, was er sich dabei denkt, um mehr handeln als bloß um triviale Biologie. Es scheinen hier auch dem Geld sich entziehende Aspekte wie ‚Unversehrtheit‛ und ‚Heiligkeit‛ mit im Spiel zu sein.

Was aber bedeutet das nun für den „Besitz der Frau“? Es ist ganz und gar nicht harmlos, wenn Simmel diesem ‚Besitz‛ scheinbar harmlose Attribute wie „persönlichster“ und „größte Reserve“ zuordnet. Er ‚konstruiert‛ vielmehr eine Tabuzone um ‚die‛ Frau herum, deren Wächter nicht etwa die Frau selbst ist, sondern der Mann, der es also ist, der sie tatsächlich ‚besitzt‛ und über ihren Körper verfügt.

Letztlich läßt Simmel hier nicht nur seiner Phantasie die Zügel schießen, mit der Entschuldigung, aufgrund fehlender „hinreichend“ empirischer Daten ‚psychologisch konstruieren‛ zu müssen, sondern er nimmt auch die Phantasie seiner Leserschaft in Anspruch, sich bei dem, was er nicht sagt, selbst etwas zu denken. Angesichts der heteronormativen Qualität dieser Phantasien ist jedenfalls eine gesunde Dosis Dekonstruktivismus, dem ich als Phänomenologe sonst reserviert gegenüberstehe, sehr angebracht.

Und es geht nicht nur um Prostitution. Überhaupt gehört es, so Simmel, zur Natur bzw. zum Gattungscharakter der Frauen, die „noch tiefer in den Gattungstypus eingesenkt sind als die Männer“ (vgl. Simmel 2009, S.597), daß sie sich dem Mann in der Regel vollständiger hingeben als Männer im umgekehrten Fall:

„Indem die Frau sich verheiratet, gibt sie allermeistens in dieses Verhältnis die Gesamtheit ihrer Interessen und Energien hin, sie setzt ihre Persönlichkeit, Zentrum und Peripherie, restlos ein; während nicht nur die Sitte auch dem verheirateten Manne eine viel größere Bewegungsfreiheit einräumt, sondern er den wesentlichen Teil seiner Persönlichkeit, den der Beruf okkupiert, nicht in die eheliche Beziehung hineingibt.“ (Simmel 2009, S.604)

Wie weit dieses toxische Gedankengut sogar mutige Vordenkerinnen der Frauenemanzipation wie Simone de Beauvoir infiziert hatte, zeigt sich daran, daß die Autorin von „Das andere Geschlecht“ (1949) aus dem damaligen Stand der Fortpflanzungsbiologie glaubte schlußfolgern zu müssen, daß den Frauen von Natur aus eine ‚empfangende‛ und deshalb passive Funktion zugewiesen sei. Das sei aber kein Schicksal, wie Beauvoir betonte, denn Frauen seien genauso frei, ihr Leben zu führen, wie Männer, und die Biologie bzw. der Körper liefert nur das Material, etwas daraus zu machen. Bis heute wird der pseudo-wissenschaftliche Mythos vom in die Eizelle ‚eindringenden‛ Samen und vom 50%-Anteil des Mannes verbreitet, wozu die irreführende Bezeichnung ‚Samen‛ beiträgt. Das männliche Ejakulat enthält keine einzige vollwertige Keimzelle, sondern nur auf den Transport des männlichen Erbguts reduzierte mobile Zellen.

Gerade las ich in Judith Butlers neuem Buch „Wer hat Angst vor Gender?“ (2024/25) als erstes das Kapitel „Was ist denn nun mit dem biologischen Geschlecht?“, in dem sie sich mit der Anti-Gender-Fraktion der Feministinnen auseinandersetzt, die der „Gendertheorie“ vorwerfen, das biologische Geschlecht zu leugnen. (Vgl. Butler 2025, S.240ff.) Ich selbst habe in diesem Blog in meiner Rezension zu „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1990/91) diesen Vorwurf gemacht, und es freut mich, daß sie jetzt die Berechtigung dieses Vorwurfs, wenn auch etwas umwegig formuliert, zugibt:

„Die transausschließenden Feministinnen wiederholen unbeirrt ihre Forderung, dass die Infragestellung des biologischen Determinismus nicht zu einer Infragestellung der Biologie an sich führen dürfe. Einverstanden. Was wir als Gender-Theorie bezeichnen, hat eine Weile lang tatsächlich in diese Richtung argumentiert.“ (Butler 2025, S.248; Auslassung des Gender-Gaps durch die Autorin; Hervorhebung ‒ DZ)

Ihrer Feststellung, daß die Biologie selbst, also als Moment der menschlichen Ontogenese, nicht einfach so als ideologisch abgetan werden dürfe, kann ich jedenfalls uneingeschränkt zustimmen: „Es wäre falsch und kontraproduktiv, die Existenz unterdrückerischer Systeme der Biologie zuzuschreiben, wo wir doch stattdessen fragen sollten, wie diese unterdrückerischen Systeme biologische Gegebenheiten verzerren, um ihre eigenen ungerechten Ziele zu erreichen.“ (Butler 2025, S.244; Hervorhebung ‒ JB)

Um so wichtiger ist es also, all diese pseudo-wissenschaftlichen Fortpflanzungsmythen über den ,Samen‛ des Mannes und seinen 50%-Anteil endlich aus der Welt zu schaffen. Die Behauptung dieses 50-Prozentanteils hat keinen anderen Sinn, als eine größtmögliche Verfügungsgewalt des Mannes über die Frau sicherzustellen.

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