„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Montag, 16. September 2024

Das dritte Du in Martin Bubers Dialogischem Prinzip

1. Vorweg: methodische Probleme
2. Das ewige Du
3. die Liebe und das Konkrete
4. ,Ich‛ sagen
5. Gemeinschaft und Kollektivität
6. Kritik der Mystik

Ungeachtet meines Vorwurfs an Buber, daß er mit dem dritten (ewigen) Du die Wechselbeziehung zwischen Ich und Du mystisch überhöht, ist Bubers eigene Haltung gegenüber der Mystik durchaus nicht unkritisch. In folgendem längeren Zitat bewegt sich Buber auf einer schmalen Grat zwischen dem buddhistisch beeinflußten Gedanken des Nichttuns als höchster Form menschlichen Handelns und einer Anerkennung der Sinnenwelt als einzig relevanter Wirklichkeit des Menschen:
„So ist die Beziehung (also Ich-Du ‒ DZ) Erwähltwerden und Erwählen, Passion und Aktion in einem. Wie denn eine Aktion des ganzen Wesens, als die Aufhebung aller Teilhandlungen und somit aller (nur in deren Grenzhaftigkeit gegründeter) Handlungsempfindungen, der Passion ähnlich werden muß. Das ist die Tätigkeit des ganz gewordenen Menschen, die man das Nichttun genannt hat ... Dazu bedarf es nicht eines Abstreifens der Sinnenwelt als einer Scheinwelt, es gibt nur die Welt, die uns freilich zwiefältig erscheint nach unserer zwiefältigen Haltung. ... Alles, was je in den Zeiten des Menschengeistes ersonnen worden ist an Vorschrift, angebbarer Vorbereitung, Versenkung, hat mit dem ureinfachen Faktum der Begegnung nichts zu schaffen. ... Im Sinn von Vorschriften ist das Ausgehen (aus der „Eswelt“ heraus ‒ DZ) unlehrbar. ... eine umso elementarere Umkehr ... ein Aufgeben nicht etwa des Ich, wie die Mystik zumeist meint: das Ich ist wie zu jeder Beziehung so auch zur höchsten unerläßlich, da sie nur zwischen Ich und Du geschehen kann ...“ (1923/1984, S.78f.)
Mit Bubers an dieser Stelle klarem Eintreten für eine Anerkennung der Sinnenwelt unterscheidet er sich auch von Keiji Nishitani, der die Sinnenwelt nur über den Umweg ihrer Negation durch das Feld der Leere hindurch als Vollendung eines Kreisgangs, der zu seinem Ausgangspunkt zurückkehrt, anerkennen will. Eine weitere kritische Distanzierung von Nishitani wäre von Buber aus dort möglich, wo dieser am Schluß des Zitats das Ich als notwendigen Bestandteil der Ich-Du-Beziehung gegen die Mystik verteidigt. Außerdem erinnert Buber mit der „zwiefältigen Haltung“ gegenüber dem Scheincharakter der Welt an Plessners Begriff der Doppelaspektivität, die ja bedeutet, das Verhältnis zwischen Innen (Innenwelt) und Außen (Außenwelt) als eine Frage der Perspektive zu verstehen.

Und wie Hermann Hesse im „Siddhartha“ und im „Glasperlenspiel“ bezweifelt Buber, daß es einer Lehre bedarf, um den richtigen Weg zu finden bzw. den Weg Buddhas zu gehen: das Heraus-Gehen aus der „Eswelt“ ist „unlehrbar“: „Buddha kennt das Du-Sagen zum Menschen ‒ das zeigt der groß überlegene, aber auch groß unmittelbare Verkehr mit den Schülern ‒ doch er lehrt es nicht ...“ (1923/1984, S.94)

Das wäre dann der gute Sinn des Gebrauchs von Paradoxa, von denen auch schon im zweiten Blogpost die Rede gewesen war. Eine Lehrhaltung, die nichts von ,Vorschriften‛, ,angebbaren Vorbereitungen‛ hält, wird Paradoxien gegenüber klaren Anweisungen immer den Vorzug geben, um die Schüler daran zu gewöhnen, selber zu denken.

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