„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 14. Januar 2023

RWE und das Gemeinwohl

Was die aktuellen Auseinandersetzungen betrifft, wird immer wieder darauf hingewiesen, daß die Eigentumsverhältnisse geklärt seien, RWE sei Eigentümer von Lützerath, und Deutschland sei ein Rechtsstaat etc. Man hört nichts darüber, aufgrund welcher politischen Entscheidungen RWE in den Genuß seiner Eigentumsrechte gekommen ist. So viel ich weiß – und ich bin kein Jurist –, spielen dabei Enteignungen eine zentrale Rolle. Ich kann mir da nur als Laie ein paar Gedanken machen.

Bei Enteignungen muß es ein Gemeinwohlinteresse geben, das sie rechtfertigt. Wer entscheidet über das Gemeinwohl? Die Politik. Und natürlich auch die Richter, wenn die Einwohner gegen die Enteignung klagen. Deutschland ist ja ein Rechtsstaat.

Ich ziehe das nicht in Zweifel. Aber ich finde es fragwürdig, daß Gemeinwohlinteressen stets gegen ‚private‘ Interessen, wie z.B. von Hausbesitzern und Anwohnern, gerichtet zu sein scheinen. Irgendwie scheinen diese nie Teil des Gemeinwohls zu sein.

Im Falle von Windkraftanlagen scheint sich inzwischen ein politischer Konsens dahingehend herauszubilden, daß Anwohner an den Anlagen beteiligt werden sollen, also nicht einfach gegen sie durchgesetzt werden dürfen. Sie sollen einen direkten, persönlichen Nutzen von ihnen haben. Ihre Interessen werden also nicht einfach dem Gemeinwohl geopfert.

Es ist offensichtlich, daß eine solche Beteiligung beim Braunkohletagebau nicht funktioniert. Denn wo eine Braunkohlegrube ist, gibt es keine Anwohner mehr.

Eine Braunkohlegrube geht anscheinend immer auf Kosten von ‚privaten‘ Interessen.

Hinzu kommt, daß das ‚Gemeinwohl‘ des Braunkohletagebaus höchst zweifelhaft ist. Daß es dabei nicht nur um seinen Beitrag zur Energiesicherheit gehen kann, der zudem nur sehr gering ist, ist offensichtlich. Eine notwendige Güterabwägung zwischen einer kurzfristigen Energieknappheit und künftigen Klimafolgen hat jedenfalls niemals ernsthaft stattgefunden. Aktuelle Notwendigkeiten und künftige Katastrophen stehen in keinem ausgewogenen Verhältnis. An die Stelle sachlich begründeter Abwägungen treten politisch motivierte Kompromisse, und wer diese in Frage stellt, wird der Ideologie und Demokratiefeindlichkeit bezichtigt.

Bleiben also letztlich nur noch die Eigentümerinteressen von RWE, denen sich der vielberufene Rechtsstaat verpflichtet sieht. Aber auch Richter halten sich nur ans geltende Recht. Wie legitim die damit verbundenen Ansprüche sind, können sie nicht beurteilen.

Denn man fragt sich schon: wie kam RWE in den Genuß dieses Eigentums? Wie legitim sind die Ansprüche auf die rechtsstaatliche Loyalität von Bürgern, deren Interessen ganz offensichtlich bei der Durchsetzung eines weiteren achtjährigen Raubbaus an den Ressourcen Boden, Luft und Klima keine Rolle spielen?

Denn daß 2030 Schluß sein soll, ist nur ein gutes Ergebnis, weil es anders noch länger gedauert hätte.

Das ist zu wenig. Wenn es ein Gemeinwohl gibt, dann liegt es nicht beim RWE. So gesehen sind rückblickend die Enteignungen, die zu den aktuellen Eigentumsverhältnissen beigetragen haben, nicht gerechtfertigt. Der stets gern vorgebrachte Hinweis auf den Rechtsstatt erscheint mir deshalb als unangebracht.

Noch einmal: ich bin ein Laie, was Rechtsdinge betrifft. Und ich glaube an den Rechtsstaat. Aber ich bin nicht naiv.

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