„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Sonntag, 18. September 2022

„Das Ende des Kapitalismus“ – Fazit

Je weiter ich in meiner Lektüre von Ulrike Herrmanns Buch „Das Ende des Kapitalismus“ vorangekommen bin, um so mehr begann ich an meinen kapitalismuskritischen Gewißheiten zu zweifeln. Herrmann führt solche vermeintlichen Gewißheiten auf ein Mißverständnis zurück, in dem sich übrigens witzigerweise Kapitalismuskritiker und Kapitalisten einig sind; denn auch letztere haben, wie Herrmann ihnen bescheinigt, den Kapitalismus, den sie betreiben, nicht verstanden. (Vgl. Herrmann 2022, S.84)

Das Mißverständnis, um das es sich hier handelt, besteht in der Annahme, daß im Kapitalismus Mindestlöhne den Profit erhöhen würden. Das ist ja ein grundlegendes Merkmal des Ausbeutungstheorems: den Lohnarbeitern wird ein Maximum an Arbeitsleistung für ein Minimum an Lohn abgepreßt. Dieses Mißverständnis beruht auf realer Anschauung. Nur dem Druck der Gewerkschaften und der Streikbereitschaft der Arbeiter ist es zu verdanken, daß die Wochenarbeitszeit gekürzt und die Löhne angehoben wurden.

Tatsächlich aber ist es nicht so, widerspricht Herrmann, und ich habe mich von ihren Argumenten überzeugen lassen. Kapitalismus gibt es nicht ohne ständiges Wachstum. Wir haben es mit einer dynamischen Wirtschaftsweise zu tun, die ohne ununterbrochenes Wachstum nicht bestehen kann. Dieses Wachstum kann aber nur durch Maschinen gewährleistet werden, die die Produktivität über alles menschliche Maß hinaus endlos steigern. Maschinen rentieren sich aber nur, wenn die Lohnkosten hoch sind. (Vgl. Herrmann 2022, 33f.)

In Ländern, in denen die Lohnkosten niedrig sind, lohnt sich die Investition in Maschinen nicht, und die Wirtschaft stagniert. Im Grunde haben wir es dann mit einer Art Kreislaufwirtschaft zu tun.

Dieses Argument kannte ich bislang noch nicht. Das zweite Argument ist hingegen schon bekannter. Man kennt es von Henry Ford und dem Model T. Henry Ford fehlte es an Abnehmern seiner Autoproduktion. Also stellte er ein Modell her, das billig genug war, daß es sich auch seine Arbeiter leisten konnten. – Es ist also aus kapitalistischer Sicht klug, den Arbeitern einen Lohn auszuzahlen, der es ihnen erlaubt, sich die Produkte zu kaufen, die sie herstellen.

Dennoch haben das die Kapitalisten bis heute nicht verstanden. Man denke nur an die Einführung eines Mindestlohns in Deutschland, die noch nicht so lange her ist. Die Kapitalisten jammern immer noch. Weil sie, wie Herrmann lapidar feststellt, den Kapitalismus nicht verstehen.

So geht es auch mit all den anderen Übeln, die wir, wie wir es gewohnt sind, auf den Kapitalismus zurückführen. Z.B. den Kolonialismus und den Imperialismus. Herrmann wendet ein, daß alle diese kostenintensiven Übergriffe auf fremde Territorien und die Menschen, die dort lebten, die Rendite erheblich gemindert hätten. Sie stellten nicht nur eine fundamentale Mißachtung der Menschenrechte dar, sondern waren auch reine Verlustgeschäfte. (Vgl. Herrmann 2022, S.70ff.) Mit Kapitalismus, so Herrmann, hatte das nichts zu tun.

Was das betrifft, fällt es mir aber schwer, Herrmanns Argumentation zu folgen. Mir scheint es nicht unerheblich zu sein, daß all die Versklavung von Menschen und die Vernichtung von Ressourcen, wenn es auch ein ‚Mißverständnis‘ gewesen sein mag, doch unter den Bedingungen einer kapitalistischen Wirtschaftsweise stattfand und noch immer stattfindet, zumal sich all die ‚Entdecker‘, Eroberer und Unternehmer zur Rechtfertigung ihres Treibens immer gerne auf diesen Kapitalismus berufen hatten.

Allerdings belehrt mich Herrmanns Darstellung, daß ich mich selbst an meine eigene Regel halten sollte, die darin besteht, daß nicht alles, was gleichzeitig geschieht, miteinander auch kausal verknüpft ist. So ist gewiß nicht all das Gute wie Gesundheitssysteme und Demokratien dem Kapitalismus zu verdanken, nur weil sie sich gleichzeitig entwickelten. An dieser Stelle widerspreche ich Herrmann, die genau diesen Zusammenhang herstellt.

Aber dasselbe gilt wohl auch für all das Übel, das ich bislang immer umstandslos dem Kapitalismus zugeschrieben habe. Nicht alles Übel kommt vom Kapitalismus. Immerhin: einiges schon, und dazu gehört auch das Wachstum. Und da bin ich mit Herrmann ganz einig, denn es ist genau diese Wachstumsdynamik, die das Lebenselixier des Kapitalismus bildet und deshalb angesichts des Klimawandels und der Begrenztheit der planetarischen Ressourcen beendet werden muß. Was sich noch durch uns Menschen regulieren läßt. Denn enden wird der Kapitalismus ohnehin. Aber wenn wir untätig bleiben, gehen wir mit ihm unter.

Nach dem ganzen Ärger des ersten Teils zum „Aufstieg des Kapitals“ – immerhin habe ich schon drei Blogposts ihrem Buch gewidmet – habe ich die anderen beiden Teile zum „grünen Wachstum“ – Herrmann: den gibt es nicht; es gibt nur grünes Schrumpfen – und zum Ende des Kapitalismus mit zunehmender Zustimmung und großem Interesse gelesen. Die umfassenden Kenntnisse von Ulrike Herrmann, die sie in ihrem Buch ausbreitet und die sie verständlich und engagiert präsentiert, sind bewundernswert. Ich möchte mich jetzt nur noch auf zwei Momente beziehen: auf die Rolle des Geldes als Wachstumsmotor und auf die Auflösung des Ausstiegsdilemmas, die Herrmann uns vorschlägt. Denn alle Wachstumskritiker und Klimaschützer reden über das, was an die Stelle des Kapitalismus treten soll. Aber keiner hat eine Antwort darauf, wie das geschehen soll, ohne daß sofort alles zusammenbricht. Die kapitalistische Dynamik läßt es nicht zu, daß wir innehalten und gewissermaßen eine Pause machen, um uns zu besinnen. Es gibt keine Gleichzeitigkeit von Wachstum und Schrumpfung: „Eine schrumpfende Wirtschaft endet schnell im Chaos.“ (Herrmann 2022, S.207)

Dabei sind wir uns dieses Dilemmas gar nicht bewußt, wie Herrmann schreibt: „... die Vision wird meist mit dem Weg verwechselt. Das Ziel soll zugleich der Übergang sein. Nur selten wird gefragt, wie man eigentlich aus einem ständig wachsenden Kapitalismus aussteigen soll, ohne eine schwere Wirtschaftskrise zu erzeugen und Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit zu schicken.“ (Herrmann 2022, S.12)

Schuldscheine

Kommen wir zum Geld. Herrmann beschreibt, wie das Geld aus Schuldscheinen hervorgegangen ist. Schon vor über 4.000 Jahren überbrückten Kleinbauern in Babylon und Assyrien Dürren, indem sie sich Getreide liehen, um ihre Familien bis zur nächsten Ernte ernähren zu können. (Vgl. Herrmann 2022, S.90) Dafür wurden Schuldscheine ausgestellt, die bei der Rückerstattung getilgt wurden. In der Zwischenzeit verkauften die Gläubiger die Schuldscheine weiter. Sie wurden zu Zahlungsmitteln, bis schließlich der letzte Besitzer eines Schuldscheins fristgerecht die Erstattung des Getreides samt ‚Zinsen‘ einforderte: „Mit diesem Kreisverkehr der Schuldscheine war das sogenannte ‚Kreditgeld‘ geboren, das in dem Moment entsteht, in dem ein Darlehen vergeben wird.() Wird der Kredit zurückgezahlt, verschwindet auch das Geld wieder.“ (Herrmann 2022, S.90)

So leicht verständlich ist mir das Rätsel ‚Geld‘ bislang noch nicht erklärt worden. Das erinnert mich an eine Stelle aus dem Kapital, wo Karl Marx schreibt, daß das Geld, das beim Kauf einer Ware den Besitzer wechselt, den Wert der Ware speichert. Und er fügt hinzu, daß der Kaufakt erst dann vollendet sei, wenn sich die Ware, z.B. eine neue Schaufel, verbraucht hat. Ich habe diese Stelle nie so recht verstanden, denn das würde bedeuten, daß der Verkäufer mit seinem Geldschein so lange nichts anfangen kann, bis der Käufer nach zwanzig Jahren oder mehr die alte, verbrauchte Schaufel wegwirft. Natürlich wartet der Verkäufer nicht so lange, sondern verwendet ihn möglicherweise gleich wieder, um damit etwas anderes zu kaufen. Also nicht anders, als damals mit Schuldscheinen umgegangen worden war.

Aber was den Geldschein betrifft, ist das paradox. Lädt sich der Geldschein jetzt mit dem neuen Kaufakt ein weiteres Mal mit Wert auf? Was ist mit dem vorherigen Wert, der Schaufel, die immer noch da ist und sich noch nicht verbraucht hat? Das ganze erschien mir irgendwie unsinnig.

Ich könnte mir vorstellen, daß Marx dabei an die Geschichte mit den Schuldscheinen gedacht hat. Der Schuldschein wird ja auch getilgt, wenn der Schuldner (Käufer) das geliehene Getreide mit Zinsen zurückerstattet hat. Möglicherweise hat Marx sich ja bei der merkwürdigen Regel, daß der Kaufakt erst dann abgeschlossen ist, wenn sich die gekaufte Ware verbraucht hat, an den Tilgungsfristen von Schuldscheinen orientiert?

Wie dem auch sei. Geld ist also eine Art Schuldschein; es ist „Kreditgeld“. Es entsteht dadurch, daß wir Schulden machen. Wenn wir unser Konto überziehen und uns dabei bei der Bank verschulden, entsteht neues Geld. Geld, das vorher nicht da gewesen ist. Es entsteht aus dem Nichts: „Geld und Kredit entstehen immer zusammen.“ (Herrmann 2022, S.91)

Und das ist genau der Motor, der das beständige Wachstum antreibt, denn um geliehenes Geld mit Zinsen wieder zurückzahlen zu können, muß es Wachstum geben. Ohne Kredit kein Geld. Ohne Zinsen kein Kredit. Ohne Wachstum keine Zinsen: „Wachstum kann nur entstehen, wenn Kredite aufgenommen werden – aber genau diese Darlehen lassen sich anschließend nur zurückzahlen, wenn es weiteres Wachstum gibt. Es ist kein Zufall, dass der Kapitalismus gleichzeitig eine Geldwirtschaft ist.“ (Herrmann 2022, S.88)

Man könnte es auch so formulieren: ohne Maschinen wäre Wachstum nicht möglich. Ohne Geld gäbe es keinen Grund für Wachstum.

Genial!

Der Weg in eine Kreislaufwirtschaft

Wie schon erwähnt, wird zwar immer viel über die Kreislaufwirtschaft geredet, als wäre das schon die Lösung. Dabei wird übersehen, daß sie nur das Ziel ist und daß damit noch lange nicht geklärt ist, wie man vom Kapitalismus auf gute Art wegkommt, ohne daß sofort alles zusammenbricht und die verarmte Bevölkerung sich schließlich verzweifelt in die Arme irgendeines skrupellosen Diktators wirft. (Vgl. Herrmann 2022, S.12 und S.241) Über das Ziel kann man sich relativ leicht einigen. Der Weg dahin aber ist das eigentliche Problem.

Ulrike Herrmann hat einen Lösungsvorschlag. Es gibt ein historisches Beispiel, das zeigt, wie eine Wachstumswirtschaft schrumpfen kann, ohne daß es in eine wirtschaftliche Katastrophe mündet: die britische Kriegswirtschaft zwischen 1941 und 1945. (Vgl. Herrmann 2022, S.226ff.) Das hatte damals sogar so gut funktioniert, daß man diese Kriegswirtschaft nach dem Krieg noch weitere sieben Jahre weiterbetrieben hat.

Drei Dinge machen die britische Kriegswirtschaft für Herrmann interessant: Großbritannien war trotz Monarchie eine Demokratie. Die Briten befanden sich in einer „unfreiwilligen Notsituation“. Und die Zeit war knapp: weil die Briten den Krieg nicht hatten kommen sehen, mußten sie „ihre normale Wirtschaft in kürzester Zeit stark herunterfahren“; denn militärisch waren sie nicht vorbereitet, und die ganze Wirtschaftsleistung mußte auf die Produktion von Kriegsgerät umgestellt werden. (Vgl. Herrmann 2022, S.227f.)

Das Beispiel zeigt also, daß eine Demokratie in der Lage ist, ein Wirtschaftssystem so umzufunktionieren, daß der ganze private Sektor heruntergefahren wird, ohne daß Aufstände ausbrechen. Dabei war die Situation, was die Vorbereitungszeit betrifft, vergleichbar mit dem Klimawandel, an den wir ebenfalls nicht geglaubt haben, so daß es auch für uns schon fast zu spät ist. Analog zur britischen Kriegswirtschaft können wir von der Notwendigkeit einer „Überlebenswirtschaft“ sprechen. (Vgl. Herrmann 2022, S.15) Und dennoch können wir noch etwas tun, so wie die Briten es damals vorgemacht hatten.

Ein weiteres interessantes Merkmal der britischen Kriegswirtschaft ist der Umstand, daß sich der Eingriff des Staates in die private Wirtschaft darauf beschränkte, den Betrieben Vorgaben zu machen, was sie produzieren sollten, und ihnen die Mittel, also Material und Arbeitskräfte, zuzuteilen. Die Betriebe wurden nicht enteignet. Sie konnten also ihre eigenen Lösungen für die Vorgaben des Staates suchen und entwickeln. Wir haben es mit eine „privaten Planwirtschaft“ zu tun. (Vgl. Herrmann 2022, S.237)

Das betrifft auch den Konsum. Die Lebensmittel und Gebrauchsartikel wurden rationalisiert. Interessanterweise führte das eben nicht zu den befürchteten Aufständen der Bevölkerung. Im Gegenteil waren die Rationierungsprogramme äußerst beliebt, „weil jeder Brite genau das Gleiche bekam“. (Vgl. Herrmann 2022, S.240) – Zum erstenmal fühlten sich auch die nicht privilegierten, nichtadligen Bevölkerungsschichten in dieser bis heute extremen Klassengesellschaft als vollwertige Mitbürger anerkannt. Und die Lebensmittelrationen führten sogar dazu, daß erstmals alle Briten ausreichend zu essen bekamen: „Nun, mitten im Krieg, war die Bevölkerung so gesund wie nie, wobei ‚die Fitness der Babys und Schulkinder besonders hervorstach‘().“ (Herrmann 2022, S.40)

Eine solche private Planwirtschaft wäre also ein Weg, um eine Kreislaufwirtschaft zu errichten, die dann aber keineswegs auf dem Niveau der heutigen Wirtschaftsleistung funktionieren würde. Die Wirtschaft muß eben tatsächlich geschrumpft werden, und zwar um die Hälfte der heutigen Wirtschaftsleistung. Herrmann verweist auf das Jahr 1978, um einen Eindruck davon zu geben, was das für uns alle bedeuten würde. (Vgl. Herrmann 2022, S.203) Die Lebenszufriedenheit im Vergleich zu heute ist gleich groß gewesen. Die Wirtschaft ist seitdem also gewachsen, die Zufriedenheit aber nicht.

* * *

Ulrike Herrmann ist sich bewußt, daß ihre Vorschläge auf große Skepsis stoßen werden. Wie sie schreibt, können wir uns eher das Ende der Welt vorstellen, als das Ende des Kapitalismus (vgl. Herrmann 2022, S.23), und die Ökonomen sind unfähig, so etwas wie eine schrumpfende Wirtschaft auch nur zu denken: „Ihre Theorien würden allesamt zusammenbrechen, wenn der Kapitalismus endet.“ (Herrmann 2022, S.216)

Ein Zitat von Ulrike Herrmann soll deshalb das Schlußwort meines Blogposts bilden: „Eine ‚Überlebenswirtschaft‘ scheint derzeit politisch nicht durchsetzbar. Trotzdem folgt daraus nicht, dass die Analyse falsch wäre, dass der Kapitalismus enden muss. Es wäre fatal, wenn nur noch gedacht würde, was politisch als mehrheitsfähig gilt. Dann könnte man das Denken ganz einstellen – und würde die Gegenwart zur Zukunft erklären.“ (Herrmann 2022, S.269)

PS (15.01.2023): In einer WDR-Sendung, „Das philosopjische Radio“ vom 31.10.2022, höre ich, wie Ulrike Herrmann, wie auch in ihrem Buch, von den vermeintlichen Segnungen des Kapitalismus spricht. Darunter subsumiert sie die Entdeckung der Kindheit; in vorkapitalistischen Zeiten habe es nur Erwachsene gegeben. Und sie nennt auch die Bildung, also die ganze Pädagogik der Aufklärung, Schule und Bildung. Sie macht also aus einer zeitlichen Korrelation einen Kausalzusammenhang.

Was die Pädagogik der Aufklärung betrifft, könnte man auf die bei den Philanthropen gern verwendete Maschinenmetapher verweisen, die einige von ihnen auf ihre pädagogische Arbeit anwandten. Eine solche Technikfreundlichkeit finden wir auch heute, wenn zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz nicht mehr unterschieden wird. Da gibt es sicher Parallelen zwischen dem vom Kapitalismus vorangetriebenen technischen Fortschritt und der Bildung.

Aber wenn Herrmann kein Wort über die Kinderarbeit verliert, über Kinder in Bergwerken, in Fabriken, die der sozial ungebremste Frühkapitalismus skrupellos vernutzt hatte, darüber, wie mühsam Kinderrechte und Bildung gegen den Kapitalismus durchgesetzt werden mußten, dann verdreht sie den Sachverhalt. Denn wenn es hier einen Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Bildung gibt, dann liegt er allein im vom Kapitalismus verursachten beispiellosen Elend der Arbeiterfamilien, das endsprechende Sozialgesetzgebungen, das Verbot der Kindererbeit und die Durchsetzung von Kinderrechten veranlaßt hatte.

Ich vermute, daß es auch bei den anderen vermeintlichen kapitalistischen Segnungen auf solche zeitlichen Korrelationen hinausläuft.

In der Radiosendung entkoppelte Herrmann auch die Gier vom Wachstumsprinzip des Kapitalismusses. Sie bezeichnete die Gier als eine anthropologisch bedinge Eigenschaft unserer Menschlichkeit und meinte damit, den Kapitalismus vom Vorwurf, für die Exzesse der Gier verantworltich zu sein, zu entlasten. Aber auch wenn es keine Kausalität zwischen Kapitalismus und Gier gibt, so kann man doch nicht leugnen, daß die Profit- und Wachstumsorientierung des Kapitalismusses der ungehemmten Entfaltung der menschlichen Gier beste Bedingungen bietet. Diesen Zusammenhang klein zu reden, verdreht auch an dieser Stelle den Sachverhalt.

4 Kommentare:

  1. Vielen Dank für eine so eingehende Besprechung (die einem die Lektüre des Originals ersetzt?)- Kann es ein, dass manches noch klarer wird, wenn man nicht sagt, dass Maschinen Arbeiter ersetzten, sondern fossile Brennstoffe? Das würde den Blick auf das , was "Produktivität ist, schärfen, und es wird deutlicher, dass Wachstum nie einfach Wachstum war, sondern Verlagerung der Ausbeutung von einheimischen Sklaven, später "Arbeitern", hin zu ausländischen Arbeitskräften und eben fossilen Brennstoffen. Umso mehr wird vielleicht auch sichtbar, dass die "Errungenschaften" des Kapitalismus nur die für eine sehr eingegrenzte Gruppe sind. Und wäre es nicht auch zutreffender von der Erfindung des Kredit- oder Papiergelds zu sprechen? "Geld" gab es wahrscheinlich, seitdem überhaupt getauscht wurde, da man mit Sicherheit nur mit einem "Wertspeicher" (Muscheln, Knochen, Elfenbein, Gold usw.) effektiv "tauschen" konnte.
    Christian Ebbertz

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    1. Ich würde nicht so weit gehen, daß meine Blogposts die Lektüre von Ulrike Herrmanns Buch ersetzen können. Schon deshalb nicht, weil ich immer noch nicht mit mir einig bin, ob Ulrike Herrmann den Kapitalismusbegriff nicht doch zu sehr auf die Technologieentwicklung reduziert und dabei den Ausbeutungsaspekt unter den Tisch fallen läßt. Da müssen sich die Leser anhand des Buches selbst eine Meinung bilden.

      Was die Ausbeutung betrifft, denke ich nicht, daß Maschinen fossile Brennstoffe ersetzen, sondern sie bislang vor allen Dingen verbrannt haben. Was die Menschen betrifft, brauchten die Maschinen sie vor allem als Bedienungspersonal und haben sie insofern ausgebeutet. Aber on the long run, ersetzen Maschinen die Menschen als Arbeitskraft. Auch was die menschlichen Fähigkeiten, ihre Intelligenz etc betrifft, treten digitale Universalmaschinen zu ihnen in ein Konkurrenzverhältnis. Mit den Maschinen befreien wir uns nicht von der Überlebensnot, wie immer gerne behauptet wird, sondern wir machen uns überflüssig.

      Aber was das Kredit- und Papiergeld betrifft stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Wobei ich mir, was Ursache und Wirkung betrifft, unsicher bin. Hat der Kapitalismus das Papiergeld erfunden oder ist es nicht eher andersrum so, daß das Papiergeld den Kapitalismus ermöglicht hat?

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  2. Entschuldigung, der Bezug war missverständlich: Maschinen ersetzen natürlich nicht fossile Brennstoffe. Fossile Brennstoffe ersetzen Arbeiter und die Maschine ist das Werkzeug, mit dem der Brennstoff arbeitet. Vielleicht ist jetzt klarer, was ich meine. Ansonsten erscheint mir beim Lob der Produktivität die Maschine zu sehr als Perpetuum mobile.
    Mit dem Papiergeld ist es wohl wie mit allen epochalen Erfindungen: Sie verselbständigen sich und herauskommt, woran vorher niemand gedacht hat. Das Papiergeld hat also nicht nur den Kapitalismus ermöglicht, sondern geradezu zwangsweise hervorgebracht.

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