„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 9. April 2022

Menschliche Bedürfnisbefriedigung – Fortsetzung

Tatsächlich kommt auch von Redecker nochmal auf die Zweitpersonalität (Ich = Du) zurück; interessanterweise an einer Stelle, wo sie auf die geteilte Intentionalität von Michael Tomasello zurückgreift, deren Rekursivität sie zur Grundlage einer solidarischen Bedürfniserfüllung macht. (Vgl. von Redecker 2020, S.213ff. und S.221) Von Redecker entwickelt die Zweitpersonalität, also Ich = Du, anhand von Marx-Zitaten, in denen die Rekursivität als „doppelte Bejahung“ des Menschen durch eine nicht-entfremdete Produktion beschrieben wird. (Vgl. von Redecker 2020, S.216ff.) Aus dieser doppelten Bejahung ergeben sich „vier Weisen, auf die sich in der solidarischen Arbeit unsere Freiheit spiegelt“. (Vgl. von Redecker 2020, S.216)

Diese doppelte Bejahung besteht in der wechselseitigen Anerkennung und Erfüllung von Bedürfnissen zweier Menschen; also im Ich = Du. Dabei besteht die erste Bedingung darin, daß ‚ich‘ in den Produkten meiner Arbeit mich selbst als Individuum wiedererkennen kann. (Vgl. von Redecker 2020, S.216) Die zweite Bedingung besteht darin, daß diese Produkte menschliche Bedürfnisse befriedigen. (Vgl. von Redecker 2020, S.217) Die Betonung liegt dabei auf der Menschlichkeit dieser Bedürfnisse. Diese Menschlichkeit erweist sich darin, daß es dabei immer auch um die Bedürfnisse meiner Mitmenschen geht: Ich = Du! Ich genieße nicht nur meine Bedürfnisbefriedigung, sondern auch, daß die Produkte meiner Arbeit zur Bedürfnisbefriedigung meiner Mitmenschen (Du) beitragen.

Von Redecker denkt dabei, anders als Marx, nicht in erster Linie an Produktion, sondern an Reproduktion. Die Reproduktionstätigkeit bildet das eigentliche Zentrum einer neuen Wirtschaftsordnung.

Die dritte Bedingung führt nun, von Redecker zufolge, über die „Zweisamkeit“ hinaus und beinhaltet ein „bestimmtes Verhältnis zur Menschheit insgesamt“. (Vgl. von Redecker 2020, S.217) Die „Menschheit“ besteht darin, daß ‚ich‘ für mein Du zum „Mittler“ der „Gattung“ werde: „also von dir selbst als eine Ergänzung deines eigenen Wesens und als ein notwendiger Teil deiner selbst gewußt und empfunden zu werden“. (Vgl. von Redecker 2020, S.218)

Tatsächlich verlassen wir also gar nicht die Ebene der „Zweisamkeit“, wie von Redecker meint, sondern Ich = Du erweist sich vielmehr als eigentliche Keimzelle dessen, was wir „Menschheit“ nennen.

Als vierte Bedingung für nicht-entfremdete Arbeit führen Marx/Redecker an, daß meine individuelle Arbeit mein menschliches Wesen als „Gemeinwesen bestätigt und verwirklicht“. (Vgl. von Redecker 2020, S.219)

Ich denke, daß dieses Gemeinwesen nun tatsächlich die Zweitpersonalität zu einem neuen Horizont hin erweitert, der die Gesamtheit der Menschen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfaßt, und daß diese Gesamtheit in enger Verbindung mit der lebendigen Erde steht. Grundlage dieses Gemeinwesens, also der Menschheit, sind Bedürfnisse, in deren Befriedigung wir uns selbst und unsere Mitmenschen wiedererkennen können.

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