„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Sonntag, 13. Januar 2019

Aufgeklärter Humanismus

Vorblick auf meine Rezension zu Markus Gabriel: „Der Sinn des Denkens“ (2018)


Ich lese gerade „Der Sinn des Denkens“ (2018) von Markus Gabriel, ein Buch, dessen Besprechung ich in meinem Erkenntnisethik-Blog für Anfang Juli vorgesehen habe. Markus Gabriel ist einer der wenigen zeitgenössischen Denker, die für einen „zeitgemäßen, aufgeklärten Humanismus“ eintreten. Gabriel bezeichnet den grassierenden Naturalismus in allen Wissenschaftsbereichen, bis hinein in weite Teile der Geisteswissenschaften, als eine „gefährliche Verblendung“, die verantwortlich ist für die „Lüge vom postfaktischen Zeitalter“ und dafür, daß wir „uns eher früher als später selber zerstören (werden)“. (Vgl. Gabriel 2018, S.14 und S.316)

Mit vielen, sogar den meisten Behauptungen von Gabriel, insbesondere zum Humanismus und zur Kritik des Post- und Transhumanismusses, aber auch zum Neurozentrismus, zur KI-Forschung und nicht zuletzt mit seiner Distanzierung Martin Heidegger gegenüber, stimme ich überein. Ich bin überaus dankbar für Gabriels klare Positionierung, für seine deutlichen Worte, denn ich fühlte mich allmählich mit meiner eigenen technologiekritischen Quertreiberei schon so ziemlich neben der Spur.

Aber mit fast ebenso vielen von Gabriels Argumenten stimme ich nicht überein. Das liegt zum großen Teil daran, daß das ‚Denken‘ im kartesianischen „cogito“ eine große Spannweite an Bedeutungen hat. Mathematik und Gefühle gehören gleichermaßen zum „cogito“. Vgl. Gabriel 2018, S.261) Trotzdem ist Descartes Dualist und wertet den Körper gegenüber dem Geist ab. Gabriel übernimmt die Spannweite des kartesianischen „cogito“, setzt aber dann seinen Begriff des Gedankens mit dem Begriff der Information gleich (vgl. Gabriel 2018, S.35, S.84 und S.270f.) und setzt damit, gegen seinen Willen!, die kartesianische Abwertung des Körperlichen fort.

Es gibt einen fundamentalen, sich wechselseitig ausschließenden Unterschied zwischen Informationen und Gefühlen: Informationen sind mathematische Konstrukte und basieren auf präzisen, gleichbleibend gültigen Definitionen, während Gefühle immer mehrdeutig und wechselhaft sind. Gefühle sind keine Informationen! Das ist der Grund, warum Maschinen Informationen verarbeiten können. Mit Gefühlen könnten sie einfach nichts anfangen. Wenn Gedanken also Informationen sind, können sie keine Gefühle sein. Letztlich gehören also die Gefühle zu den „Nichtgedanken“, über die man Gabriel zufolge als Philosoph nicht nachdenken sollte. (Vgl. Gabriel 2018, S.306)

Gabriel versäumt es, den Zusammenhang von Gedanken und Gefühlen, von Gedanken und Nicht-Gedanken zu klären. So kommt es zu solch seltsamen, dezisionistisch anmutenden Festlegungen, daß es die Welt nicht gibt, daß es aber die Wahrheit gibt. (Vgl. Gabriel 2018, S.12 und S.15) Wer nur ein wenig über Gefühle und ihre Funktion für das menschliche Bewußtsein nachgedacht hat, wird sich, was die Wahrheit betrifft, kaum zu einer so starken Behauptung versteigen. Es mag wahre Sachverhalte geben; aber das heißt noch lange nicht, daß es die Wahrheit ‚gibt‘. Schon gar nicht, wenn es angeblich keine Welt ‚geben‘ soll; eine Vorstellung, von derem Gegenteil ich übrigens überzeugt bin, nämlich daß es sie gibt, die Welt, und zwar als ein Ganzes aus Horizonten, als Verweisungszusammenhang. Und sie ist der Ort all dessen, was irgendwie wirklich und insofern ‚wahr‘ ist. An dieser Stelle möchte ich vor allem eins festhalten: Was immer die Welt ist oder auch nicht ist – sie ist jedenfalls nicht der Ort der Wahrheit; so wenig wie die Wahrheit die Summe alles dessen ist, was wahr ist.

Am Ende versteht auch Gabriel, trotz seines Neuen Realismusses, das Denken als künstliche Intelligenz. (Vgl. Gabriel 2018, S.19 und S.309ff.) Was zunächst ein bedauerlicher Selbstwiderspruch zu sein scheint; denn eigentlich hatte Gabriel zeigen wollen, daß „unser Denken“ eben kein „Vorgang der Informationsverarbeitung“ sei. (Vgl. Gabriel 2018, S.19) An anderer Stelle wird diese Stellungnahme schon etwas eingeschränkt, insofern Gabriel festhält, daß das Denken (bzw. unsere Gedanken) keine „Form der Informationsverarbeitung“ sei, „die man physikalisch messen könnte“. (Vgl. Gabriel 2018, S.31) – Also bildet es durchaus eine Form der Informationsverarbeitung, nur eben keine physikalisch meßbare.

Aufgrund der Spannweite des kartesianischen „cogito“ ist Gabriels aufgeklärter Humanismus nicht zuendegedacht. Auch Gabriel unterliegt noch einem unaufgeklärten informationstechnologischen Konstruktivismus, einem Konstruktivismus also, den Gabriel mit seinem Neuen Realismus überwunden zu haben glaubt: „Erlauben Sie mir kurz, mein Mantra des Neuen Realismus hier zu wiederholen: Der Konstruktivismus ist falsch.()“ (Gabriel 2018, S.64)

Wenn Gedanken Informationen sind, dann ist Denken natürlich Informationsverarbeitung und deshalb, darin zumindest liegt eine gewisse Folgerichtigkeit, eine Form künstlicher Intelligenz. So bleibt es nicht aus, daß Gabriel seinen vermeintlichen Selbstwiderspruch auflöst, indem er die ursprünglich als „erste Hauptthese“ eingeführte Behauptung (vgl. Gabriel 2018, S.19) wieder zurücknimmt und Gottlob Frege, Bertrand Russel und Alfred North Whitehead als Denker würdigt, die den Weg dafür bereitet haben, daß das „Denken als die Verarbeitung von wirklich existierenden Informationen begriffen“ werden könne. (Vgl. Gabriel 2018, S.84)

Letztlich aber erweist sich sogar die gegen das Modell der Informationsverarbeitung gerichtete Hauptthese selbst schon als eingeschränkt; denn auch dort hatte Gabriel nur von einer Informationsverarbeitung gesprochen, die „sich im Wesentlichen in Silizium oder irgendeiner anderen nicht lebendigen Materie nachbauen lässt“. (Vgl. Gabriel 2018, S.19)

Im Namen meiner menschlichen Intelligenz erlaube ich mir deshalb an dieser Stelle eine direkt an Markus Gabriel gerichtete Bemerkung:
Lieber Herr Gabriel,
ich mache mein Denken nicht. Es geschieht einfach.
M.I.
(Menschliche Intelligenz)
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