„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Montag, 24. März 2014

Frank Engster, Das Geld als Maß, Mittel und Methode. Das Rechnen mit der Identität der Zeit, Berlin 2014

(Neofelis Verlag UG, 790 S., Print (Softcover): 32,--)

(I. Wie ist eine Kritik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft möglich?, S.47-148 / II. Lukács und das identische Subjekt-Objekt der Geschichte: Die Idee des Kommunismus und die Identifikation der Arbeit durch das Maß der Zeit, S.149-324 / III. Adornos negative Dialektik und die Logik der Identifikation durch das Maß, S.325-516 / IV. Zwischen Lukács und Adorno. Alfred Sohn-Rethel, die Wertform als Transzendentalsubjekt und dessen blinder Fleck: Die kapitalistische Bestimmung von Ware und Arbeit, Wert und Geld, S.517-646 / V. Die Rätselhaftigkeit des Geldes durch die Auflösung der Ökonomie in Zeit, S.647-744 / VI. Schluss, S.745-764)

13. Prolog: Das Geburtstagsgeschenk
14. Schwarze Löcher, Vakuum
15. Noch einmal: Mehrwert
16. Eine ‚kritische‘ Bilanz

Mit der ‚kritischen‘ Bilanz, die ich in diesem Post ziehen will, geht es weniger um eine detaillierte Kritik der Gesamtleistung von Engsters Buch. Dazu sehe ich mich nicht in der Lage, da ich mich mit dem Autor nicht auf Augenhöhe fühle. Die dialektische Art des Denkens ist mir fremd. Hierbei geht es weniger um Inhalte und Phänomene als vielmehr um subtile logische Differenzierungen, denen ich oft genug keine Bedeutung zuordnen kann. Wenn ich zu Beginn meiner Besprechungen von der Notwendigkeit einer phänomenalen Strukturanalyse gesprochen hatte, war es mir um eine Kombination zweier Denkformen gegangen, des Strukturalismus und der Phänomenologie, die das menschliche Subjekt und seine Sinnlichkeit wieder in die Denkbewegung miteinbezieht bzw. von ihm ausgeht, ohne sich von ihm mit logischer Konsequenz zu entfernen. Der Hegelschen und Marxschen Dialektik scheint aber genau diese entsubjektivierende Tendenz inhärent zu sein.

Eine phänomenale Strukturanalyse hingegen stelle ich mir als eine Kombination aus Hermeneutik und Phänomenologie vor. Der Strukturalismus ist im Grunde nur eine um das subjektive Moment reduzierte Hermeneutik. Hermeneutik ist Textauslegung, und da ‚Texte‘ wesentlich aus Strukturen bestehen, ist Hermeneutik immer auch ein Strukturalismus, – allerdings ein um das subjektive Moment bereicherter Strukturalismus. Insofern kann die Hermeneutik im Rahmen einer phänomenalen Strukturanalyse jenen geschärften Blick auf ansonsten unsichtbar bleibende Strukturen beitragen, die dem vor allem auf Oberflächen fixierten Phänomenologen entgehen.

Doch zurück zur Dialektik. Die dialektische Kritik – und darin ist sie gut ‚hermeneutisch‘ – hält sich etwas darauf zugute, mit ihrem Gegenstand auf immanente Weise fertigzuwerden. Der Kapitalismus bzw. die kapitalistische Gesellschaft soll aus sich selbst heraus, durch die Entwicklung ihrer ureigenen Kategorien, ‚überwunden‘ werden. In meinem Post vom 10.03.2014 hatte ich schon meine Zweifel an so einer immanenten ‚Kritik‘ geäußert. Sich im Rahmen des zu kritisierenden Denkens bzw. Bewußtseins zu bewegen, kann meiner Ansicht nach nur auf eine Affirmation dieses Denkens bzw. Bewußtseins hinauslaufen.

Ein wesentlicher Aspekt dieser immanenten Kritik scheint zu sein, daß Gesellschaftskritik und Erkenntniskritik eine Einheit bilden sollen. (Vgl.u.a. Engster 2014, S.15) Daran stört mich gleich zweierlei: zum einen die schon erwähnte, im Begriff der „Einheit“ bzw. an anderen Stellen im Begriff der „Entsprechung“ (vgl. Engster 2014, S.60. 355, 360 u.ö.) zum Ausdruck kommende Affirmation; zum anderen stört mich, daß hier Gesellschaftskritik und Erkenntniskritik unter Umgehung sowohl der Biologie wie auch der Individualität des Menschen miteinander kurzgeschlossen werden. Von den drei Entwicklungslinien, die nur zusammen einen Menschen ergeben, die biologische, die kulturelle und die individuelle Entwicklung, wird nur eine, die kulturelle, und diese auch nur in Form der kapitalistischen Gesellschaft berücksichtigt.

Entsprechend mager fällt das aus, was man als ‚kritisches‘ Resultat von Engsters Buch bezeichnen könnte. Engster selbst hält fest, daß seine ‚Kritik‘ keine Theorie ergibt, weil sie sich, indem sie sich auf den Standpunkt des Geldes stellt, von vornherein außerhalb des wissenschaftlichen Denkens bewegt: „Nichts wäre daher unsinniger, als aus der Kritik einer Ökonomie der Zeit eine Theorie machen zu wollen ... Während sich Wissenschaft und Kritik die Frage stellen müssen, wie eine Ökonomie der Zeit überhaupt angemessen bestimmbar ist, wird ihnen durch das Geld auf praktische Weise die Antwort gegeben.“ (Engster 2014, S.714f.)

Mit anderen Worten: Bevor wir überhaupt mit dem Denken beginnen können, hat schon das Geld für uns gedacht. Es kommt unserem Denken immer schon zuvor. Engster zufolge kann das keine Wissenschaft ergeben. Aber eine ‚Kritik‘? Ist es nicht gerade das Wesen einer Kritik, daß hier jemand nicht ‚naiv‘, sondern bewußt und reflektiert vorgeht? Wenn ich immer von der Notwendigkeit einer Balance aus Naivität und Kritik spreche, so meint das eben auch Kritik und nicht einfach nur Naivität!

Engster zufolge scheint Bewußtsein für eine Kritik generell verzichtbar zu sein. Es reicht, auf dem „Standpunkt des Geldes“ zu stehen, dessen Bewegungen bewußtlos und blind mitzumachen, um sich als Kritik dieser Bewegungen verstehen zu dürfen. (Vgl. Engster 2014, S.763f.) Pure Affirmation also. Kritik besteht in der schlichten Darstellung, also in der Verdopplung dessen, was in der kapitalistischen Gesellschaft geschieht.

Engster beschreibt das kritische Anliegen seines Buches als ein „Dilemma der Gesellschaftskritik“, das darin besteht, daß „das Rechnen ... uns ein unverfügbares, spekulatives Umgehen mit der Zeit bleiben (muss). Wir können nur mit dem Rechnen des Geldes rechnen und uns die Zeit mit-teilen lassen, die es mit sich bringt.“ (Vgl. Engster 2014, S.763f.) – Das ist zu wenig.

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