2. Zweiheit des Bewußtseins
3. Biologie und Sinn
4. Töten und Gebären
5. Eine Erinnerung
6. Immanenz und Transzendenz
In allen Erscheinungsformen der ,Weiblichkeit‛, die Beauvoir im zweiten Teil ihres Buches aufführt, Kindheit, Jugend, Erste Erfahrung, lesbische Liebe, Ehe, Mutterschaft, Gesellschaft, Dirnen- und Hetärentum, Alter, geht es um die verhängnisvolle Immanenz der Situationen, in denen sich Frauen als nach Transzendenz strebende Individuen gefangen sehen. Diese Immanenz wirkt sich auch auf die Liebe aus, die für Frauen eine andere Form annimmt als für Männer. Um den Narzißmus zu überwinden, den ihnen ihre Reduktion auf ein bloßes Objekt des Mannes nahelegt, nämlich sich selbst als ein Liebesobjekt zu verstehen, wie es sich im Spiegel männlicher Blicke wahrnimmt, suchen sie ihre Transzendenz, die ihnen von allen Seiten verweigert wird, dort zu finden, wo die patriarchale Gesellschaft sie verortet ‒ beim Mann: „Nun ist aber die Liebende nicht allein eine Narzißtin, die in ihr Ich entfremdet ist, sie empfindet auch ein leidenschaftliches Verlangen, ihre eigenen Grenzen zu überschreiten und unendlich zu werden, dank der Vermittlung eines Andern, der Zugang zur unendlichen Realität besitzt.“ (Beauvoir 1987, S.613)
„Um sich zu retten“ (ebenda), verwandelt sie die Liebe in eine Mystik der Verschmelzung mit ihrem ,Gott‛, der sowohl der christliche Gott als auch einfach der Mann sein kann, dem sie sich zugehörig fühlt. Ich habe diese Konstellation schon mit Bezug auf Bubers Dialogphilosophie kritisiert, der der Ich-Du-Beziehung ein göttliches bzw. ewiges Du überordnet, und ich habe mich entschieden dagegen ausgesprochen, die Transzendenz in einem Dritten, in einer Wesenheit außerhalb der menschlichen Beziehung zu suchen. Die von Beauvoir beschriebene Gleichsetzung des männlichen mit dem göttlichen ,Du‛ stellt ungeachtet ihrer Identifizierung in ein und derselben Person eine solche Überhöhung dar.
Beauvoir gibt Anlaß zu dem Verdacht, daß für viele Frauen die Flucht in eine mystisch aufgeladene Frömmigkeit die einzige Möglichkeit ist, sich selbst als wesentlich zu setzen, durch Unterwerfung unter den vergöttlichten Mann: „Um diese Vereinigung zu vollziehen, will die Frau vor allem dienen. Wenn sie den Forderungen des Geliebten entspricht, fühlt sie sich als unentbehrlich. Sie wird dann seiner Existenz einverleibt, sie nimmt an seinem Werk Teil, findet ihre Rechtfertigung. Selbst die Mystiker glauben nach dem Wort des Angelus Silesius gern, daß Gott den Menschen braucht.“ (Beauvoir 1987, S.614)
Mit ein und demselben Akt also unterwerfen sich liebende Frauen dem Anderen und gewinnen scheinbar so ihre Bedeutung als Mensch, als Transzendenz. Nochmal anders ausgedrückt: ihr Selbstgewinn beruht auf einer „Selbstverstümmelung“, und diese Selbstverstümmelung richtet sich gegen ihr eigenes Potenzial, zu transzendieren: „So befreit sie sich von ihrer Transzendenz. Sie ordnet sich der des Andern, Wesentlichen unter, zu dessen Dienerin, Sklavin sie sich macht.“ (Beauvoir 1987, S.614)
In gewisser Weise nehmen liebende Frauen (und sicherlich auch männliche Romantiker) die ‚Trans-Szendenz‛ wörtlich. Sie ,über-schreiten‛ ihren Willen, gehen also ,über‛ ihren eigenen Willen ‚hinweg‛, um sich im Willen des Anderen gleichermaßen zu verlieren wie zu gewinnen: „Für einen Existierenden bedeutet es das überraschendste Abenteuer, im wechselnden und gebieterischen Willen eines Anderen aufzugehen. Man wird es leid, immer in derselben Haut zu stecken.“ (Beauvoir 1987, S.615) ‒ Denn diese Haut, in der sie gesteckt hatten, war ja sowieso nicht ihre eigene gewesen.
Was mein Ich = Du betrifft, bedeutet das wiederum, dem Mißverständnis entgegenzutreten, die Wechselseitigkeit der Beziehung könnte darin bestehen, daß Eines im Anderen die Transzendenz sieht, die ihm selbst fehlt. Es darf kein ,Um-zu‛ im Ich = Du geben. Wir haben es hier nicht mit einem bequemen Weg zu tun, der eigenen Immanenz zu entfliehen. Die Transzendenz besteht vielmehr in der Möglichkeit des Ich = Du, also in der Wechselbeziehung als solcher, und sie basiert auf der existenziellen Verfaßtheit des Ich als Körperleib. Ich begegnet nicht dem Göttlichen im Du, sondern Ich begegnet einem Ich, zu dem es ,Du‛ sagen kann, so wie auch dieses Ich ,Du‛ zu ihm sagt. Beides auf der Basis des Körperleibs.
Aber gerade dieser Körperleib kann sehr verschieden sein, was Frauen und Männer betrifft. Diese Verschiedenheit verdankt sich immer dreierlei Quellen: der Biologie, der Gesellschaft und der Individualität, und sie betrifft die Differenz von Innen und Außen.
Nach all den von Beauvoir beschriebenen Sackgassen, in die die praktische Umsetzung von Emanzipation in einer patriarchal verfaßten Gesellschaft geraten kann und von denen ich in diesen Kommentaren nur einen Teil aufgeführt habe, findet die Autorin aber am Schluß ihres Buches noch ein paar hoffnungsvollere Formulierungen zu gelingenden Beziehungen zwischen Frauen und Männern. Mit ihnen will ich die Reihe meiner Blogposts beenden:
„In Wirklichkeit ist der Mann wie die Frau ein Körper, somit eine Passivität, ein Spielzeug seiner Hormone und der Gattung, eine unruhige Beute seines Begehrens. Und sie ist wie er inmitten des leiblichen Fiebers Einwilligung, freiwilliges Geschenk, Aktivität. Sie erleben, jedes auf seine Weise die seltsame Zwiespältigkeit der zum Leib gewordenen Existenz. ... Wenn jedoch alle beide sie in hellsichtiger Bescheidenheit, dem Korrelat eines authentischen Stolzes, auf sich nähmen, würden sie sich als ihresgleichen erkennen und das erotische Drama in Freundschaft erleben. ... In beiden Geschlechtern spielt sich dasselbe Drama von Körper und Geist, von Endlichkeit und Transzendenz ab. An beiden nagt die Zeit, beiden lauert der Tod auf, sie sind beide gleich aufeinander angewiesen.“ (Beauvoir 1987, S.678)
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