„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 10. Juni 2022

Zum Thema ‚Pflicht‘ bei Lanz & Precht

Das Thema des heutigen Podcasts von Lanz & Precht, „Pflicht“, der mich dazu motiviert, mir jetzt doch mal das gleichnamige Buch von Precht zu kaufen, trifft mich an einer empfindlichen Stelle: meiner querköpfigen Einstellung zur Gesellschaft und zum Staat. (Als Adjektiv wird das anrüchige Wort in diesem Satz vielleicht erlaubt sein.)

Ich hatte schon in einem früheren Blogpost Lanz seine staatsbürgerliche Befindlichkeit übel genommen, weil er glaubte, sich für die öffentliche Zurückhaltung des Bundeskanzlers bei der Verwendung bestimmter Begriffe zur Ukraine schämen zu müssen. Mir gehen solche Empfindlichkeiten gegen den Strich. Ich wittere da immer gleich die Wiederkehr des unsäglichen Volkbegriffs.

Jetzt stellt Precht aber die gesellschaftlichen und eben auch staatsbürgerlichen Pflichten in einen Kontext, für den ich eigentlich den Begriff der Achtsamkeit reserviert habe: er spricht, Nietzsche zitierend, von „Rechten der Anderen auf mich“! Wenn Precht den Begriff der Pflicht so faßt, kann ich eigentlich nicht anders als zuzustimmen.

Problematisch wird es dann aber gleich wieder, wenn Precht die Abschaffung der Wehrpflicht und mit ihr des Zivildienstes bedauert, weil diese Institutionen einmal dazu beigetragen hatten, das Bewußtsein des jungen Menschen für seine gesellschaftliche Verantwortung zu schärfen; dafür daß das Staatsbürgersein sich nicht darin erschöpft, Steuern zu zahlen. Oder dafür sich nicht als Kunde zu verstehen, der sich per Paketdienst freihaus vom Wohlfahrtsstaat seine sozialen Rechte liefern läßt (meine Formulierung).

Das wird im Gespräch zwischen Lanz und Precht natürlich gleich mit den Pflichten des Staates gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern gekontert, der sich nicht damit begnügen darf, alle sozialen Aktivitäten und Lebensangelegenheiten zur Privatsache zu erklären, sondern selbst etwas zur gesundheitlichen und sozialen Grundversorgung beizutragen hat.

So weit verlief das Gespräch sehr ausgeglichen und ‚schrammte‘ immer wieder gekonnt über die verschiedenen Klippen, die unterhalb des Staats- und Pflichtbegriffs verborgen sind, hinweg. Ich will da auch gar nicht weiter ins Detail gehen. Selbst dort, wo Precht auf den Ehrbegriff früherer aristokratisch organisierter Gesellschaften rekurrierte und ihn durch einen demokratisch gefaßten Pflichtbegriff ersetzt wissen wollte, zuckte ich nur kurz zusammen, weil ich von dessen Einbindung in den Kontext der Achtsamkeit fasziniert war.

Dann aber kam der Moment, wo Precht sich für ein zweites soziales Jahr für Rentner einsetzte. Mit dem ersten ist – angesichts von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine – die Wiedereinführung der Wehrpflicht  gemeint, in Verbindung mit einem allgemeinen verpflichtenden sozialen Jahr auch für Frauen und Wehrdienstverweigerer.

Ich bin gerade seit drei Monaten Rentner und habe viel zu viel Zeit. Wenn ich alles gemacht habe, was ich auch vorher schon immer gemacht habe, bleibt immer noch zu viel Zeit vom Tag übrig, wo mir einfach nichts einfällt, was ich sinnvoller Weise tun könnte. Das halbe Jahr, bevor ich in Rente ging, wurde ich von Kolleginnen und Kollegen, im Freundeskreis, überhaupt von allen möglichen Leuten, mit denen ich so ins Gespräch kam, gefragt, was denn so meine Pläne seien für die Zeit ‚danach‘. Und weil mir dann immer nichts einfiel, dachte ich mir was aus: wieder an der Uni Seminare oder Vorlesungen zu geben und/oder einmal die Woche auf dem Domplatz in Münster eine Stunde lang eine Mahnwache für ein Offline-Leben zu halten.

Was die Mahnwache betrifft habe ich mir das schon im Detail ausgemalt. Ich wollte mich da einfach nur hinstellen, mit meinem Fahrrad und einem Schild: „Offline – selber leben, selber denken“ – und darauf warten, daß mich irgendwelche Leute ansprechen, und mir anhören, was sie mir zu sagen haben. In einem Korb auf dem Fahrrad hätte ich dann noch ein Bündel Flugblätter zu Themen rund um die Digitalisierung.

Je mehr ich mir (und anderen) das ausmalte, um so mehr Lust hatte ich darauf. Und jetzt ist es so, wie es bislang immer in meinem Leben war. In der Phantasie hatte ich mir mit großer Befriedigung irgendwas ausgemalt, und wenn es dann ans Umsetzen ging, fehlte doch wieder der Wille.

Vielleicht wäre dieses zweite soziale Jahr doch eine ganz gute Sache für Leute wie mich. Allerdings müßte man mir dann ein Smartphone zur Verfügung stellen. Ich wäre sonst zu nichts zu gebrauchen.

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