„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 17. Juni 2022

PC-Exzeß

In der Buchhandlung fiel mir heute ein Buch ins Auge, das mir beim Durchblättern so kurios vorkam, daß ich es gleich kaufte und mitnahm. Es handelt sich um das im Dudenverlag herausgegebene Buch „Rassistisches Erbe. Wie wir mit der kolonialen Vergangenheit unserer Sprache umgehen“ (2022) von Susan Arndt, Professorin für englische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Bayreuth. Aus der Lektüre des Vorworts und der Einleitung geht hervor, daß die Autorin in ihrem Buch die political correctness bis ins Detail durchdekliniert hat, was auch das verwunderliche Erscheinungsbild des Textes erklärt. Angefangen von der gendergerechten Sprache – gegen die ich eigentlich nichts einzuwenden habe, solange ich reden und schreiben darf, wie ich es für richtig halte – über die als Unwörter kenntlich gemachten rassistisch belasteten Wörter, die nur durchgestrichen im Textbild erscheinen dürfen, bis hin zu Triggerwarnungen in Form von typographischen Warnblitzen. Auf jeder Seite wird durch diese Warnblitze auf potenzielle Empfindlichkeiten Rücksicht genommen und aufgrund der bedauerlichen Unkontrollierbarkeit von Leserinnen und Lesern deren Denken mit Hilfe der Durchstreichungen so viel wie möglich vorweg gesteuert, bevor sie überhaupt die Chance haben, einen Satz zuende zu lesen. Sogar in Zitaten dürfen die Unwörter nicht undurchstrichen bleiben, was besonders heikel ist, weil an der Unantastbarkeit von Zitaten der ganze Wissenschaftlichkeitsanspruch geisteswissenschaftlicher Forschung hängt, die es, was diesen Anspruch betrifft, ohnehin schwer hat, von den Naturwissenschaften ernstgenommen zu werden. Ich bin fasziniert und gespannt auf die weitere Lektüre. Dies ist das erste Buch, das ich in Händen halte, das von der Autorin selbst zensiert worden ist, bevor ein Zensor (oder Rezensent) die Gelegenheit hatte, Hand daran zu legen.

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