„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 22. Februar 2019

Mein persönlicher Karl May I

Als Kind stand ich sehnsüchtig vor den Kinoplakaten, auf denen Pierre Brice als Winnetou und Lex Barker als Old Shatterhand posierten; es kam aber nie dazu, daß ich die Filme im Kino sehen konnte. Erst als meine Eltern einen Fernseher anschafften, konnte ich die Filme sehen, aber irgendwie war das dann nur noch enttäuschend. Die Action verlief im Zeitlupentempo, während gleichzeitig pathetische Reden geschwungen wurden. Und wenn die Darsteller mit ihren Pferden steif über die Prärie hoppelten, hatte das mit den von Karl May so fesselnd beschriebenen Ritten auf Hatahtitla und Iltschi wenig zu tun. Galopp geht anders.

Als 2016 dann „Winnetou – Der Mythos lebt“ mit Nik Xhelilaj als Winnteou und Wotan Wilke Möhring als Old Shatterhand in die Kinos kam – Regie: Philipp Stölz –, habe ich zwar den Film wieder nicht im Kino angeschaut; aber ich habe mir natürlich die DVDs besorgt, sobald sie herauskamen. Was ich da zu sehen bekam, war die übliche Enttäuschung, was die Action betrifft. Deutsche Filme können das einfach nicht! – Dabei fand ich die beiden Hauptdarsteller wirklich gut, und auch einige Nebendarsteller, u.a. Milan Peschel als Sam Hawkins, haben mir gefallen.

Es wurden auch einige wünschenswerte Korrekturen an Mays „Winnetou I“ (1893) vorgenommen. Ich habe als Kind nie verstanden, warum dieser Old Shatterhand Nscho tschi nicht heiraten wollte! Ich fand das richtig ärgerlich. Alle die dramatischen Ereignisse, die diese Weigerung auslösten, bis hin zu Nscho tschis und Intschu tschunas Tod wären nicht passiert. Mays latenter Rassismus, der in Old Shatterhands Heiratsverweigerung zum Ausdruck kam (bloß keine Mischlingskinder!), wird in der Neuverfilmug korrigiert. Im zweiten Teil, „Das Geheimnis vom Silbersee“, darf Nscho tschi ihren Old Shatterhand heiraten. Ich finde das sehr befriedigend.

Außerdem ist der von Wotan Wilke Möhring gespielte Old Shatterhand kein frommer Christ, sondern ein aufgeklärter Skeptiker. Wenn es dann im Verlauf der Filmhandlung doch noch zum Glauben bei ihm kommt, dann nicht an Christus, sondern an die magischen Kräfte der Schamanin Nscho tschi, die ihm das Leben rettet. Auch das finde ich erfreulich.

Interessanterweise wird im Film der Vater Old Shatterhands von Winnetou wegen seiner Verdienste als Vorkämpfer für die sozialen Rechte der Arbeiter zum Ehren-„Apache“ gekürt. Beide Eigenschaften aber, Old Shatterhands Religionsskeptizismus und die sozialrevolutionäre Einstellung seines Vaters, sind im Original die Eigenschaften von Klekih-petra, dem weißen Lehrer und Erzieher Winnetous, der auf der Flucht vor den Folgen seines politischen Wirkens bei den Apatschen Zuflucht gefunden hatte und schließlich beim Versuch, Winnetou das Leben zu retten, den Tod findet. (Vgl. Karl Mays Werke: Winnetou I. KMW-IV.12, S.39ff. (Greno Verlag)) Tinka Edel, die Autorin des Buches, das der Neuverfilmung zugrundeliegt, hat also die Figur von Klekih-petra mit der von Old Shatterhand kompiliert, was, wie ich finde, eine reizvolle neue Perspektive auf die Old Shatterhand-Figur ermöglicht.

Zum Schluß wird Old Shatterhand sogar der Häuptling der Apatschen, was zwar auch der ursprüngliche Old Shatterhand von Karl May war, aber mit der von Karl May sich unterscheidenden Pointe, daß Old Shatterhand der technokratischen Zivilisation den Rücken kehrt. Fortan träumt er nicht mehr von fliegenden Restaurants und sechsstöckigen shopping malls, sondern vom Wind in Gräsern, Büschen und Baumwipfeln auf der Prärie.

Schön erzählt finde ich auch die Liebesaffäre zwischen Sam Hawkins und Belle (Henny Reents).

Was mich aber wirklich ärgert, sind diese absolut stümperhaften Angriffe der Apatschen auf die Weißen, auf die Stadt Roswell im ersten Teil, und auf das Ölfeld von Santer jr. im dritten Teil. Im ersten Teil greifen die Apatschen nachts Roswell an. Wie machen die das? Winnetou sitzt auf seinem Pferd und hält eine hell lodernde Fackel in der Hand, während er auf die nächtliche Stadt hinabblickt. Wie dämlich muß man eigentlich sein? Nichts mit Anschleichen und Strategie und so’n Zeug. Seht alle her, hier bin ich, eine lebende Zielscheibe, und damit ich noch besser von euch gesehen werden kann, trage ich diese Fackel!

Winnetou schwenkt die Fackel sogar hin und her, für den Fall, daß man ihn da unten in der Stadt noch nicht gesehen haben sollte! – Auf dieses Zeichen hin, ein blöderes Zeichen ist ihnen nicht eingefallen, treten nun die anderen Apatschenkrieger aus dem Wald hervor und, ja tatsächlich!, zünden nun auch ihre Fackeln an. Und so reiten sie alle zusammen mit ihren lodernden Fackeln, und mit viel Kriegsgeschrei, in die Stadt hinunter. Da unten scheinen sie alle zu schlafen, denn niemand ist zu sehen. Ist das zu fassen? Dabei hatten sie doch am Tag vorher noch ihr Kommen angekündigt! Wahrscheinlich denken sich die tapferen Apatschenkrieger, daß sie ihre Feinde mit ihrem Kriegsgeschrei erst noch wecken müssen.

In der Stadt haben sich natürlich alle versteckt. Aber Rattler, der fiese Bösewicht, hat ein modernes Maschinengewehr aufgestellt und wartet in aller Ruhe, bis die Apatschen nah genug herangekommen sind. Jetzt sieht man auch, warum die Apatschen Fackeln mitgenommen haben. Sie zünden mit ihnen alles mögliche an. Heuhaufen und so. Tolle Idee! Es wird jetzt taghell, bestes Büchsenlicht also, um abgeknallt zu werden. Und das macht Rattler auch, mit dem Maschinengewehr und seine Mitstreiter mit Gewehren und Revolvern. Kein Apatsche überlebt. Abgesehen natürlich von Winnetou. Es gibt ja noch zwei Teile.

Im dritten Teil gibt es einen ähnlich dämlichen Angriff auf das Ölfeld von Santer jr. Diesmal am hellichten Tage und ohne Fackeln. Die Apatschen reiten wieder ohne jede Strategie im Pulk, damit sie besser erschossen werden können, eine Attacke, mit viel Geschrei, damit die Ölarbeiter auch möglichst früh bemerken, daß sie angegriffen werden und rechtzeitig Deckung nehmen können, aus der heraus sie in aller Ruhe auf die völlig schutzlosen Apatschenkrieger schießen können, bis außer Winnetou, Old Shatterhand, Belle, Sam Hawkins und Nscho tschi niemand mehr übrig ist. Warum machen die Apatschen das so? Wer hat dieses dämliche Drehbuch geschrieben?

Und die Bösewichter? Sie sind auf schrecklich klischeehafte Weise böse. Insbesondere im zweiten Teil geht einem das dreckige Lachen der mexikanischen Banditen auf die Nerven. Denn was tun Banditen die ganze Zeit anderes als dreckig zu lachen? Jedenfalls scheint der Regisseur dieser Meinung zu sein. Der von Fahri Yardým gespielte Banditenboß El Mas Loco macht irgendeine Bemerkung, die ein Witz sein soll, aber nur seinen völligen Mangel an Intelligenz bezeugt, und natürlich lacht die ganze Bande, selbstverständlich dreckig. Alle Monologe des Banditenbosses werden von dem ständigen dreckigen Gelächter seiner Leute begleitet, es sei denn sie schweigen gerade betroffen, weil der Boß wiedermal einen von ihnen erschossen hat. – Wenn Old Shatterhand in diesem zweiten Teil nicht Nscho tschi heiraten würde, könnte man ihn, also den zweiten Teil, komplett vergessen.

Im zweiten Teil kommt Old Shatterhand übrigens in den Besitz seines berühmten Henrytutzens. Völlig unspektakulär: er nimmt ihn im Haus von Sir Henry von der Wand und sagt: „Ich brauche den jetzt mal!“

Sonst spielt der Henrystutzen eigentlich keine Rolle. Bei dem gescheiterten Befreiungsversuch von Nscho tschi bedroht Old Shatterhand mit dem Henrystutzen den Banditenboß, der sich aber nicht weiter davon beeindrucken läßt und Old Shatterhand mühelos überwältigt. Das waffentechnische Meisterstück von Sir Henry, diese Wunderwaffe, mit der, ohne nachzuladen, fünfundzwanzigmal geschossen werden kann und um die sich im ganzen Wilden Westen Legenden ranken, wird dann von Nscho tschie als Keule benutzt, mit der sie Loco von hinten niederschlägt.

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