„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Donnerstag, 21. Februar 2019

Karl May: Alles Gold der Indianer

Noch einmal zurück zu „Winnetous Erben“ (1910): Zu der Zeit, in der Mays Roman spielt, zu Beginn des 20. Jhdts., sind die amerikanischen Ureinwohner fast vollständig vernichtet. Trotzdem imaginiert May einen großen indianischen Aufbruch in eine glänzende Zukunft, garniert mit einem drohenden Angriff von 4.000 – sage und schreibe viertausend! – feindlichen Indianern, die ihren fortschrittsorientierten Brüdern (und Schwestern) am Mount Winnetou in den Rücken fallen wollen, um ihre Erb- und Todfeinde, Old Shatterhand an der Spitze, zu vernichten.

Als wenn die damals noch lebenden Nachkommen von Sitting Bull und Chief Joseph nicht andere Probleme gehabt hätten!

Karl May war, bevor er „Winnetous Erben“ schrieb, tatsächlich ein einziges Mal in seinem Leben selbst in US-Amerika gewesen, 1908, zwei Monate, und hatte dort ein Indianerreservat besucht. Nun findet sich folgende Stelle in seinem letzten Buch, wo er die Bewohner von „Mount Winnetou“ beschreibt und ihnen ein außerordentlich sauberes und intelligentes Aussehen attestiert:
„Nirgends die indolenten Papusengesichter, denen man anderwärts begegnet. Und auch nirgends auf den Gesichtern der Ausdruck der stummen Klage oder jenes nationalen Trübsinnes, der auf jede Freude und auf alles Glück verzichtet zu haben scheint.“ (Karl Mays Werke: Winnetou IV. KMW-V.7, S.418 (Greno Verlag))
Man fragt sich, wo May die „indolenten Papusengesichter“ anderswo gesehen haben mag. In jenem Indianerreservat? – Es gibt ein einziges Photo Mays in einem Indianerreservat. Dort schaut er, halb verdeckt durch einen aus Baumrinden bestehenden ärmlichen Tipi, etwas verschämt in die Kamera, neben ihm ein Tuscarora-Indianer, und vor ihnen, an den Tipi gelehnt, zwei Kinder.

Die Indianerfamilie auf diesem Photo sieht nicht so aus, als hätte sie Kenntnisse von den enormen Goldmengen, die „alle, alle Stämme der Indianer zu liefern“ haben, um mit ihnen eine Riesen-Winnetoustatue auf einsamer Bergeshöhe zu errichten: „Ein Denkmal von purem, glänzendem Golde!“ – Aber wahrscheinlich hält sie dieses Gold ja auch geheim, in „all den Bonanzen, Lagern und Nuggetverstecken“, wie es die Indianer „jahrhundertelang“ zu tun pflegten? Und lebt lieber in Armut, als sich mit seiner Hilfe das Leben zu erleichtern? (Vgl. Karl Mays Werke: Winnetou IV; vgl. KMW-V.7, S.205 (Greno Verlag))

Die Riesengoldstatue ist nicht May-Shatterhands Idee, sondern die Idee fehlgeleiteter Freunde und Verehrer, der Brüder Old Surehand und Apanatschka und ihrer Söhne. Und May-Shatterhand will zusammen mit Tatellah-Satah die Ausführung der Idee verhindern. Ihre Perversität wird also von den wirklichen Winnetou-Freunden durchaus durchschaut. Aber niemandem kommt es in den Sinn, daß die Ausführung selbst, also die Heranschaffung der vielen ‚Zentner‘ des dazu nötigen Goldes, irgendwelche Probleme bereiten könnte. Daß die indianischen Nationen tatsächlich jederzeit Zugriff auf reiche verborgene Bodenschätze haben, wird nicht in Frage gestellt.

Irgendwie mißlingt hier Winnetous Verherrlichung – nicht nur im Sinne der Errichtung einer Statue, sondern auch im Sinne eines weltumfassenden Clans der Winnetous und der Winnetahs – aufs Gründlichste. Vor dem Hintergrund der tatsächlichen historischen Misere erscheint sie einfach als unangemessen, und dieses Buch wäre wohl besser nicht geschrieben worden. Auf den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg ist Mays Winnetou allemal besser aufgehoben als im Amerika des beginnenden 20. Jahrhunderts.

Download

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen