„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Donnerstag, 7. Juni 2018

Antonio Damasio, Im Anfang war das Gefühl. Der biologische Ursprung menschlicher Kultur, München 2017

1. Zusammenfassung
2. Physiologie der Wertigkeit
3. Algorithmen
4. Phänomenologie
5. Parallele Spuren: Apperzeption
6. Homunkulus
7. Big Data und Intuition
8. Kulturkrisen und Kulturkritik

Die Gefühle informieren uns Damasio zufolge über die inneren Zustände unseres Organismusses, also über den Zustand der verschiedenen Organe und Organsysteme, Immunsystem, Kreislauf, Hormone etc. Hinzu  kommt die „Welt der Bakterien“ u.a. im Darm:
„Vielleicht die faszinierendste neue Erkenntnis, über die ich hier berichten kann, (ist) aber die enge Beziehung zwischen der Welt der Bakterien und dem Darm. ... nirgendwo ist ihre Zahl höher als im Darm: Dort geht sie in die Milliarden, das heißt, die Zahl der Einzelorganismen ist höher als die der menschlichen Zellen im gesamten Organismus. Die Frage, wie sie direkt oder indirekt die Welt der Gefühle beeinflussen, ist ein faszinierendes Thema für die Wissenschaft des 21. Jahrhunderts.()“ (Damasio 2017, S.158)
Nicht zuletzt liefern uns unsere Sinnesportale ebenfalls von Gefühlen begleitete Informationen über unsere Außenwelt. Im Neusprech der Informationsgesellschaft: wir werden ständig mit einer Unmenge von ‚Daten‘ bombardiert, und zwar zum größten Teil auf einer unbewußten Ebene, denn nicht alle Affekte dringen als bewußte Gefühle in den Fokus unserer mentalen Aufmerksamkeit vor. „Big Data“ gibt es deshalb nicht nur im Internet der Dinge oder bei Facebook. „Big Data“ wird schon lange von den Lebensprozessen selbst produziert. Damasio zufolge ist die „umfangreiche Überwachung der Funktionen im Organismus“ im Dienste einer umfassenden Homöostase „der natürliche Vorläufer der ‚Big Data‘-Überwachungstechnologie, auf deren Erfindung die Menschen so schamlos stolz sind“. (Vgl. Damasio 2017, S.72)

Für die biologische Big-Data-Variante nimmt Damasio zurecht den Begriff der Intuition in Anspruch. Die ‚Intuition‘ steht für die innere ‚Anschauung‘ bzw. ‚Wahrnehmung‘, also einer Form der Achtsamkeit, die wir nicht nur in der Meditation praktizieren und die sich von den Überwachungstechniken und Auswertungsroutinen von Facebook, Amazon oder Google qualitativ unterscheidet:
„Wenn wir Menschen beispielsweise intuitiv spüren, was bei einer bestimmten Diskussion herauskommt, bedienen wir uns in großem Umfang anderer ‚Big-Data‘-Hilfssysteme, die Gedächtnisaufzeichnungen aus früherer Zeit überblicken und Vorhersagealgorithmen verwenden.“ (Damasio 2017, S.275)
Wenn ich auch, wenn es um das menschliche Bewußtsein geht, nicht viel von solchen technologischen Vergleichen halte, bringt der Vergleich von Big Data mit der menschlichen Intuition doch recht gut die ungeheure Komplexität zum Ausdruck, in die unser Bewußtsein eingebettet ist. Jeder Versuch, diese Komplexität auf einzelne neuronale Netzwerke im Gehirn oder gar bloß auf einzelne feuernde Neuronen zu reduzieren, wirkt angesichts dieser Komplexität lächerlich.

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