„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Montag, 16. Dezember 2013

Thomas Nagel, Geist und Kosmos. Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist, Berlin 2013

1. These
2. Methode
3. Sprache und Logik
4. Letztbegründungsansprüche
5. Mensch/Welt und Teil/Ganzes
6. Doppelaspektivität
7. Werterealismus
8. Sinn von Sinn

Die ‚Sprache‘ von „Geist und Kosmos“ ist unnötig gestelzt und unverständlich. Ich kann nicht beurteilen, ob das am Autor oder an der Übersetzerin liegt. Mit der verkorksten Syntax geht eine entsprechend verkorkste Logik einher. Als Beispiel soll das folgende Zitat dienen:
„Roger White hat in einem wichtigen Aufsatz argumentiert, dass die Suche nach einer Erklärung für den Ursprung des Lebens, die unter dem Gesichtspunkt der nicht zielgerichteten Prinzipien von Physik und Chemie erfolgt – eine Erklärung, die zeigen wird, dass der Ursprung des Lebens nicht bloß eine zufällige Angelegenheit ist, sondern etwas Erwartbares oder wenigstens nicht Überraschendes –, wahrscheinlich von dem Eindruck motiviert ist, dass das Lebendige keine Angelegenheit des Zufalls sein kann, weil es so sehr danach aussieht, als sei es das Produkt eines absichtsvollen Plans. Aber die Hypothese des absichtvollen Plans wird als unwissenschaftlich ausgeschlossen.“ (Nagel 2013, S.130f.)
Diesen Satz habe ich zunächst überhaupt nicht verstanden, und auch jetzt, wo ich ihn zu deuten versuche, verstehe ich ihn nur halb. Der Satz beginnt mit der Aussage, daß ein gewisser Roger White den Versuch beschreibt, den „Ursprung des Lebens“ so zu erklären, daß diese Erklärung nach den „nicht zielgerichteten Prinzipien von Physik und Chemie erfolgt“. ‚Nicht zielgerichtet‘ bedeutet aber meiner Ansicht nach, daß etwas zufällig stattfindet. ‚Zufällig‘ wiederum bedeutet, daß etwas Unerwartetes und Überraschendes passiert. Stattdessen aber behauptet Nagel bzw. dieser Roger White, daß ‚nicht zielgerichtet‘ bedeutet, daß „etwas Erwartbares oder wenigstens nicht Überraschendes“ passiert. Außerdem behaupten beide – ich gehe mal davon aus, daß Nagel Roger Whites Ansicht teilt –, daß die Motivation, von nicht-zielgerichteten Prinzipien auszugehen, darin liege, daß „das Lebendige keine Angelegenheit des Zufalls sein“ könne.

Wir haben hier also eine durchgängige, logisch widersprüchliche Verknüpfung von Nicht-Zielgerichtetheit mit Erwartbarkeit,  Nicht-Überraschung und „keine Angelegenheit des Zufalls“ vorliegen. Kurz: Ich verstehe diesen Satz nicht.

Auch der Folgesatz hilft mir nicht weiter: demzufolge wird in der Wissenschaft die Hypothese eines „absichtsvollen Plans“ als „unwissenschaftlich“ ausgeschlossen. Wenn also, so verstehe ich die zwei Sätze jetzt, absichtsvolle Pläne in der Evolutionstheorie ausgeschlossen werden, die Suche danach aber gleichwohl die Motivation für die Frage nach dem Ursprung des Lebens bildet, so gerät beides, Motivation (Suche nach einem absichtsvollen Plan) und Methode (ausschließliche Akzeptanz nicht-zielgerichteter Prinzipien) in einen Widerspruch. Das ganze Unterfangen, das beide Sätze beschreiben, ist also etwas in sich Widersprüchliches.

Will Nagel uns darauf aufmerksam machen, daß logische Widersprüchlichkeit (Nicht-Zielgerichtetheit der Prinzipien als Grundlage von Notwendigkeiten und Erwartbarkeiten) und Methodik in der Evolutionstheorie irgendwie zusammenhängen? Aber auch das verstehe ich nicht. Weder ergibt das Verfahren, das Roger White beschreibt, irgendeinen logischen Sinn, noch wird verständlich, was Nagel uns damit eigentlich sagen will. Denn der nächste folgende Satz zieht aus den vorangegangenen beiden Sätzen ausdrücklich den „Schluss“, „dass der einzige Ausweg, der den Ursprung des Lebens nicht dem Zufall überlässt, darin besteht, dass die physikalische Gesetzmäßigkeit das Leben irgendwie wahrscheinlich macht.“ (Vgl. Nagel 2013, S.131)

Wie sich nach den ganzen logischen Widersprüchlichkeiten der beiden vorangegangenen Sätze noch ‚irgendwie‘ etwas logisch erschließen lassen soll – und seien es auch nur Wahrscheinlichkeiten –, ist mir ein Rätsel. Um das Ganze vollständig zu verunklaren, fügt Nagel den besagten Sätzen noch ein seitenlanges Zitat von Roger White an, in dem der „Gedankengang“ mittels einer abgehobenen Buchstabenlogik ausführlich zerhackt und dekontextualisiert wird. (Vgl. Nagel 2013, S.131f.)

Zwar habe ich im letzten Post die phänomenologische Grundhaltung von Nagel hervorgehoben, dem es vor allem um den Alltagsverstand und um Plausibilitäten geht und nicht um Beweise oder Widerlegungen (vgl. Nagel 2013, S.181). Tatsächlich aber bewegt sich Nagel in seinem Buch größtenteils auf dem Niveau logischer Argumente, die er auch gerne mal formal-logisch abkürzt, wie etwa bei dem erwähnten Buchstabensalat. An einer Stelle verknüpft Nagel eine solche Buchstabenlogik mit einem scheinbar einfachen, tatsächlich aber völlig unpassenden und deshalb verwirrenden Beispiel. Die Funktionen eines Taschenrechners sollen verdeutlichen – zumindestens habe ich das so verstanden –, wie die Evolution des Bewußtseins vonstatten gegangen sein könnte:
„Lassen Sie mich eine Erklärung, in der A ein B erklärt und B eine Folge C hat, eine konjunktive Erklärung nennen. ... A ist die physikalische Erklärung für das, was passiert, wenn ich ‚3 + 5 = 8‘ eintippe, womit B verursacht wird, nämlich die Anzeige der Ziffer ‚8‘. Als weitere Tatsache kommt hinzu, dass diese Ziffer das Symbol für die Zahl 8 ist, und die Ziffern, die ich eingetippt habe, sind die Symbole für eine bestimmte Summe, woraufhin wir die Folge C haben, dass das Gerät die richtige Antwort für die eingegebene Summe ausgibt ... Die Lehre daraus ist anscheinend, dass eine konjunkturelle Erklärung, die von A zu B und von B zu C übergeht, C nur dann erklären kann, wenn es irgendeine zusätzlich interne Beziehung gibt zwischen der Art, wie A die Tatsache B erklärt, und der Art, wie B die Tatsache C erklärt. ... Es reicht nicht aus, dass C die Folge oder sogar die notwendige Folge von B sein soll, die dann durch A erklärt wird. Es muss etwas an A selbst geben, das C zu einer wahrscheinlichen Folge macht. Ich glaube, wenn A die Evolutionsgeschichte ist, B das Auftreten von bestimmten Organismen und C deren Bewusstsein ist, heißt das, dass irgendeine Form von psychophysischer Theorie nicht nur ungeschichtlich am Ende des Prozesses gelten muss, sondern auch für den evolutionären Prozess selbst.“ (Nagel 2013, S.78ff.)
Die Verteilung der Buchstaben auf die physikalischen und mentalen Ereignisse im und am Taschenrechner ist mir völlig unverständlich. ‚B‘ – daß die Ziffer 8 auf dem Display erscheint –, soll gleichzeitig, als „richtige Antwort“, ‚C‘ sein, nämlich die Summe von 3 und 5. Wir haben es also gar nicht mit zwei verschiedenen Tatsachen, ‚B‘ und ‚C‘, zu tun, wie Nagel behauptet, sondern nur mit einem Perspektivenwechsel. Im Taschenrechnerbeispiel ist ‚A‘ der Algorithmus – „die physikalische Erklärung für das, was passiert“ –, ‚B‘ ist die „Anzeige“ auf dem Display und zugleich ‚C‘, nämlich die Summe von 3 und 5 – „(a)ls weitere Tatsache“, die hinzukommt –, d.h. „das Symbol für die Zahl 8“. (Vgl. Nagel 2013, S.79)

Tatsächlich haben wir es aber bei der Zahl ‚8‘ als Symbol nicht mit einer weiteren Tatsache zu tun, sondern lediglich mit einem Phänomen, das wir mal als Leuchtzeichen auf einem Display wahrnehmen und mal als mathematisches Symbol. Es handelt sich, mit Plessner gesprochen, um Doppelaspektivität. (Vgl.u.a. meine Posts vom 21.10.22.10. und vom 28.10.2010) Nagels intensive Anwendung der Buchstabenlogik auf einen Taschenrechner hat also keine Phänomene beschrieben, sondern mit einer scheinbaren, suggestiv wirkenden Logik die tatsächlichen Phänomene nur verschleiert. Außerdem tragen die physikalischen Vorgänge im Taschenrechner und dessen mentale Bedienung in keiner Weise irgendetwas dazu bei, die Evolution des Bewußtseins zu klären.

Nagels Buch ist von dem inneren Widerspruch durchzogen, daß er eigentlich eine phänomenologische Grundhaltung an den Tag legt, wenn er den Alltagsverstand stärken will und es ihm vor allem um das „Offensichtliche“ des Mensch-Welt-Verhältnisses geht (vgl. Nagel 2013, S.36f., 42), er dabei aber an Erklärungsansprüchen festhält, die denen des von ihm kritisierten reduktionistischen Naturalismus entsprechen. Statt die Bewußtseinsphänomene als gegeben hinzunehmen und sich ihnen in meditierender Form zuzuwenden, will er sie allererst begründen. Denn nichts anderes beinhaltet dieser Erklärungsanspruch: den Anspruch, „über die Erscheinungen hinaus“ zu gehen. (Vgl. Nagel 2013, S.118f.) Das aber ist das Gegenteil von Phänomenologie.

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