„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Donnerstag, 26. Juli 2012

Georg Northoff, Das disziplinlose Gehirn – Was nun Herr Kant?. Auf den Spuren unseres Bewusstseins mit der Neurophilosophie, München 2012

1. Kritik an der Neurophilosophie
2. Beispiele und Analogien
3. Methoden
4. Phänomene und Phantome: der Homunculus
5. Gestaltwahrnehmung
6. Statistisch basierte Umwelt-Gehirn-Einheit
7. Bewußtes und Unterbewußtes
8. Das funktionierende Gehirn
9. Neuronale und nicht-neuronale Prädispositionen
10. Zur Notwendigkeit einer Neurophilosophie

(Siehe auch Georg Northoff zu Kommentaren von Detlef Zöllner und Detlef Zöllner antwortet auf Georg Northoff)

Bei meinem letzten Besuch in meiner Buchhandlung in Erfurt bin ich auf ein gerade erschienenes Buch des Neurophilosophen Georg Northoff gestoßen, das ich aufgrund meiner Leseerfahrung mit Metzingers „Ego-Tunnel“ (vgl. meinen Post vom 16.05.2010) zunächst eher skeptisch in die Hand nahm. Ich habe es dann aber doch gekauft und kann es nun, nach abgeschlossener Lektüre, uneingeschränkt empfehlen. Ob man die von Northoff vorgelegten Argumentationen nun im Detail akzeptiert oder nicht, – man profitiert auf jeden Fall von seiner originellen und erhellenden Darstellungsweise und wird zu eigenem „freien Denken“ angeregt, ganz wie er es sich in seinem Buch „Das disziplinlose Gehirn – Was nun Herr Kant?“ (2012) wünscht: „Man sollte lieber selbst denken und seinen eigenen Verstand benutzen, statt auswendig zu lernen und den persönlichen Verstand ansonsten ruhen zu lassen. ... Kant ist der Meinung, dass man in seinen Vorlesungen nicht Philosophie lernt, sondern das Philosophieren. Nicht Gedanken, sondern Denken.“ (2012, S.123)

Zum großen Teil handelt es sich bei Northoffs Buch um einen fiktiven Dialog zwischen einem heutigen, zeitreisenden Studenten der Philosophie und Neurophysiologie und Immanuel Kant. Nach seinem Besuch in Kants Königsberg nimmt der Student den Philosophen mit in das heutige Berlin auf einen Kongreß von Neurowissenschaftlern, um sich dort über die neuesten neurophysiologischen Erkenntnisse zu informieren und darüber zu diskutieren. Die schwierigen neurophysiologischen und philosophischen Sachverhalte werden von Northoff in diesen Dialogen, die mit zahlreichen, wirklich gut erfundenen Beispielgeschichten und Analogien durchsetzt sind, kompetent und verständlich aufbereitet. Allerdings fehlt mir der Bezug auf Damasio, den ich als bislang einzigen Neurobiologen auch philosophisch wirklich ernst genommen habe. Daran wird zugleich ein Mangel des Buches von Northoff deutlich, auf den ich später noch eingehen werde: Northoff reduziert die Frage nach dem Bewußtsein auf das Gehirn, – anders als Damasio, der immer das ‚Fleisch‘ in seine Untersuchungen zur Funktionsweise des Gehirns mit einbezieht.

Obwohl sich Northoff selbst als Neurophilosophen bezeichnet, ist er nicht blind gegenüber dem Zustand der ‚Neurophilosophie‘, die zumeist nichts anderes ist als mit philosophischen Versatzstücken dekorierte Physiologie: also ‚Neurophysiolosophie‘ (Northoff kreiert selbst gerne Zungenbrecherwörter; z.B. „Irrelationalität“ (2012, S.277)). Northoff wirft den Kollegen vor, „viele Fragen ... offen (zu) lassen oder einfach (zu) überspringen“ (vgl. 2012, S.191) und „ungerechtfertigte Schlussfolgerungen“ zu ziehen (vgl. ebenda). Er wirft ihnen „Lücken“ in ihren „logischen Argumentationen“ und „empirischen Daten“ und „breite Gräben zwischen den empirischen Daten und den theoretischen Schlussfolgerungen“ vor. (Vgl. 2012.S.197) Und nicht zuletzt wirft er ihnen vor, ‚Realität‘ und ‚Welt‘ auf ‚Gehirn‘ zu reduzieren: „Die (Neurowissenschaftler – DZ) behaupten nämlich, dass die neuronalen Prozesse selbst die Welt sind und dass das Gehirn diese Welt produziert. ... Die neuronalen Prozesse werden als die einzige Realität betrachtet. ... Gehirn ist Welt. Und Welt ist Gehirn. So die Kurzform der heute gängigen Neurowissenschaft und Neurophilosophie.“ (2012, S.269)

Northoff versucht es jedenfalls besser zu machen. Und ich kann jedem Interessierten empfehlen, sich mit diesem Versuch einer eigenständigen Begründung der Neurophilosophie ernsthaft auseinanderzusetzen. Dem Klappentext des Buches zufolge hat Northoff einen „eigens für ihn geschaffenen Lehrstuhl für Geist, Gehirn und Neuroethik an der Universität in Ottawa/Kanada inne“. Bemerkenswert ist vor allem, daß er akademische Abschlüsse sowohl in Medizin wie auch in Philosophie hat. Eine gute Voraussetzung also, um Neurophysiologie und Neurophilosophie auf Augenhöhe zu bringen, und nicht letztere der ersteren unterzuordnen.

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