„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Sonntag, 29. Juli 2012

Georg Northoff, Das disziplinlose Gehirn – Was nun Herr Kant?. Auf den Spuren unseres Bewusstseins mit der Neurophilosophie, München 2012

1. Kritik an der Neurophilosophie
2. Beispiele und Analogien
3. Methoden
4. Phänomene und Phantome: der Homunculus
5. Gestaltwahrnehmung
6. Statistisch basierte Umwelt-Gehirn-Einheit
7. Bewußtes und Unterbewußtes
8. Das funktionierende Gehirn
9. Neuronale und nicht-neuronale Prädispositionen
10. Zur Notwendigkeit einer Neurophilosophie
 
(Siehe auch Georg Northoff zu Kommentaren von Detlef Zöllner und Detlef Zöllner antwortet auf Georg Northoff)
 
Im letzten Post beschrieb ich Northoffs Bewußtsein als extrem relaxtes ‚Hängematten-Bewußtsein‘. Diese Bewußtseinskonzeption läßt vermuten, daß Northoff das eine und andere zum Unbewußten bzw. zum Unterbewußten beizutragen hat. (Vgl. zu diesem Thema meinen Post vom 20.04.2012) Dabei sind es insbesondere drei Stichworte, auf die Northoff zu sprechen kommt: Träume (vgl. 2012 S.125, 128f., 202ff.), Gedankenwanderungen (vgl. 2012, S.214f.) und Schizophrenie (vgl. 2012, S.143, 238-260). Träume unterscheiden sich von Gedankenwanderungen dadurch, daß bei ihnen die äußere Sensorik weitgehend stillgelegt ist, während bei Gedankenwanderungen die Umwelt-Gehirn-Einheit erhalten bleibt. Was die Träume von Gedankenwanderungen unterscheidet, verbindet sie mit der Schizophrenie: nur daß bei dieser die Verbindung nach außen nicht (weitgehend) stillgelegt, sondern gestört ist. Darauf werde ich im nächsten Post zu sprechen kommen.

Zunächst verweist Northoff auf einen mit empirischen Methoden (EEG) beobachtbaren Unterschied zwischen Tiefschlaf und Traum in der Funktionsweise des Gehirns. Den Unterschied in den Augenbewegungen, langsam/schnell, kennt inzwischen wohl fast jeder. Dieser Differenz zwischen Tiefschlaf und Traum entspricht ein Unterschied in der globalen, über das Gehirn ausgebreiteten neuronalen Aktivität. Während der REM-Phase (schnelle Augenbewegungen) verbreiten sich von außen induzierte magnetische Impulse schnell über das ganze Gehirn. Das ist nicht so in der Tiefschlafphase: „Die funktionelle Konnektivität“ – also die erwähnte globale neuronale Aktivität – „zwischen stimulierten und nicht-stimulierten Regionen blieb blockiert.“ (2012, S.128) – Damit zeigt das Gehirn im Tiefschlaf ähnliche Aktivitätsmuster wie bei der Anästhesie: es ist ohne Bewußtsein, während das Gehirn in der Traumphase ähnliche Aktivitätsmuster zeigt wie beim Wachbewußtsein, so daß also die Schlußfolgerung erlaubt ist, daß wir auch im Schlaf Phasen der Bewußtheit (Träume) und der Bewußtlosigkeit (Tiefschlaf) haben.

Worin unterscheidet sich nun aber das Träumen vom Wachsein? Unter Rückgriff auf Todd Feinbergs (vgl. 2012, S.227ff.) Unterteilung des Gehirns in einen äußeren, mittleren und inneren Ring ordnet Northoff dem Wachbewußtsein eine mit der Umwelt-Gehirn-Einheit verbundene Balance und eine mit dem Träumen verbundene Dysbalance „zwischen innerem/mittlerem und äußerem Ring“ zu: „Der Schwerpunkt scheint sich von außen in die Mitte verlagert zu haben. Mehr los in der Mitte. Nichts los außen. Der Ruhezustand scheint eine verstärkte Aktivität im inneren und mittleren Ring auszulösen. Und es kommt zu verminderter Aktivität im äußeren Ring bei Stimuli von der Umwelt.“ (2012, S.247)

Im Wachzustand ist das Gehirn nämlich nicht sich selbst überlassen. Das Interessante an Northoffs Konzept von der Umwelt-Gehirn-Einheit ist, daß das Gehirn nicht mehr als einsamer, von allen Außenreizen isolierter Kybernator in den Blick kommt, der alles einschließlich das Bewußtsein steuert. Es gibt eine Steuerungsinstanz, der das Gehirn selbst unterworfen ist: und die liegt in der Umwelt! – Das ermöglicht ganz andere Verhältnisbestimmungen von Determination und Freiheit, zur Möglichkeit von freien Willensentscheidungen, als man es sonst von neurowissenschaftlichen Resultaten gewohnt ist. Wenn nämlich das Gehirn zu seiner Stabilisierung der Kontrolle durch die Umwelt bedarf (vgl. 2012, S.164, 207), eröffnet sich in der Umwelt-Gehirn-Einheit zwischen Gehirnfunktionen und Umwelt ein Freiheitsraum, ein Spielraum für nicht von Genen oder Neuronen bestimmte Verhaltensmöglichkeiten.

Was passiert nun, wenn diese Kontrolle im Schlaf wegfällt? – „Keine externe Kontrollinstanz mehr. Was passiert dann intern? Die Schwankungen werden stärker. Sobald die externe Kontrolle wegfällt, zeigt der vorher zahme Tiger Zähne. Und das führt offenbar zu starken Aktivitätsschwankungen, die dann fast so stark sind wie die durch einen externen Stimulus verursachten. Und wie merken Sie das? Sie nehmen dann plötzlich Dinge und Ereignisse in Ihrer Wahrnehmung wahr. Im Traum. ... Es (das Gehirn – DZ) verarbeitet das, was geboten ist, als sei es ein Stimulus von außen.“ (2012, S.207)

Das finde ich nun tatsächlich sehr interessant, weil wir es beim Träumen offenbar mit einem Bewußtsein an der Grenze zum Unter-Bewußten zu tun haben. Als unter-bewußt bezeichne ich im Unterschied zum Un-Bewußten jene inneren Zustände, die potentiell bewußt sind und die ihre eigene vorbewußte Dynamik haben, die aufgrund bestimmter Umstände bewußt werden können. Dabei kann es sich um ‚vergessene‘ Erinnerungen handeln oder eben um Träume. Im Träumen wird also diesen unter-bewußten Zuständen ein Traumbewußtsein in Form des ‚Ich träume‘ hinzugefügt, das sich vom ‚Ich denke‘ dahingehend unterscheidet, daß es keine Verbindung zu den externen Sinnesorganen hat.

Northoff spricht nun von einem weiteren, ebenfalls interessanten Bewußtseinszustand, der eigentlich zum Wachbewußtsein gehört, aber in seiner Dynamik mit dem Unterbewußten vergleichbar ist: die Gedankenwanderung. Auch hier scheint die externe Aufmerksamkeit weitgehend heruntergefahren zu sein, – eben wie beim Relaxen in der Hängematte: „Gedankenwanderung scheint ... näher am Ruhezustand des Gehirns zu liegen als die eher extern orientierte Aufmerksamkeit auf die Stimuli der Umwelt. ... Sie sind im Ruhezustand. Auch Ihr Gehirn ist in Ruhe, kein Bombardement externer Stimuli. Und mit einem Mal werden Ihnen Ihre Gedanken bewusst. Und das obwohl keinerlei externe Stimuli in Ihrem Gehirn prozessiert wurden. Das Bewusstsein Ihrer wandernden Gedanken kann also nur aus dem Gehirn selbst und seiner statistisch basierten Beziehung zur Umwelt stammen, nicht aber von einem spezifischen Gegenstand aus der Umwelt.“ (2012, S.214f.)

Wenn uns dies nicht einfach beim Relaxen in der Hängematte passiert, sondern unter kontrollierten Bedingungen, nennt man das wohl ‚Meditation‘. Auch hier befinden wir uns wieder an der Grenze zum Unter-Bewußten, wo dynamische Prozesse in unserem Gehirn auftauchen, „durch die Hintertür meines Ruhezustandes“, wie Northoff schreibt. (Vgl. 2012, S.215) Obwohl also die Gedankenwanderung dem Träumen sehr ähnelt, bleibt die Umwelt-Gehirn-Einheit intakt. Den in der Gedankenwanderung ‚auftauchenden‘ Vorstellungen muß also kein ‚Ich träume‘, sondern ein ‚Ich denke‘ hinzugefügt werden. Northoffs Verweis auf die „Hintertür“ macht aber deutlich, daß das relaxte Hängematten-Bewußtsein die inneren Geschehnisse nicht wirklich kontrolliert. Es überläßt sie vielmehr den durch keinen Filter gestörten Einflüssen durch seine Umwelt, die wiederum in seinem ‚Inneren‘, wie in Sedimenten, Dinge aufrühren, die es bislang verdrängt hatte.

Deren sich so anzeigende, weiterbestehende ‚Virulenz‘ ist für das Bewußtsein nicht bedeutungslos.

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