„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 10. Juni 2023

Die Welt ist ein globales gallisches Dorf

Zur Zeit findet ein evangelischer Kirchentag in Nürnberg statt. Aktueller Präsident ist Thomas de Maizière. Mir ist er mit seinen abschätzigen Bemerkungen zur Letzten Generation aufgefallen. Andere schließen sich ihm darin an. Sogar Robert Habeck meint sich dem Vorwurf anschließen zu müssen, die Aktivisten würden die Bürgerinnen und Bürger vom Klimaschutz abschrecken. Damit sind wohl die Bürgerinnen und Bürger gemeint, die sich in den einen Umfragen mehrheitlich für strengere Maßnahmen gegen den Klimawandel aussprechen und sich gleichzeitig in anderen Umfragen mehrheitlich gegen jede politische Maßnahme wenden, die ihre bisherige Lebensführung beeinträchtigen könnte.

Ich war 1980 auf einem Katholikentag in Berlin dabei gewesen. Wir waren damals voller Eifer und Glauben an eine Veränderung der Gesellschaft, an die Möglichkeit von Reformen gewesen. Damals begann mir das Ausmaß der globalen Umweltverschmutzung bewußt zu werden. Es war damals überall vom Waldsterben die Rede. Ich weiß nicht mehr, ob das Waldsterben schon ein Thema des Katholikentages gewesen ist. Aber es war doch das Jahr, wo überall davon geredet wurde. Jedenfalls verließ ich damals den Katholikentag mit der Gewißheit, daß ich Teil von vielen, vielen anderen Menschen war, die jetzt nach ihrer Rückkehr nach Hause, in ihren Wohnvierteln und Familien, daran arbeiten würden, daß die Welt eine bessere würde.

Noch weiter zurück: Ich war zwölf Jahre alt, als ich 1971 im letzten Panel von „Asterix bei den Schweizern“ las: „... ja, zum allerersten Mal nimmt ein Römer an dem traditionellen Festmahl teil, das zur Feier der Rückkehr unserer Freunde veranstaltet wird. Asterix und Obelix sind glücklich und stolz, weil sie feststellen, dass jede ihrer Reisen sie an Wissen und Erfahrung ein Stück weiterbringt ...“

Alle Bewohner des liebenswerten gallischen Dorfes feiern dieses historische Ereignis mit, und sogar der wie üblich an einen Baum gefesselte Barde schmunzelt stolz in sich hinein. Ich weiß noch, wie dem Zwölfjährigen beim Lesen dieser Zeilen das Herz aufging. Das klang so unendlich verheißungsvoll, und ich freute mich schon auf die kommenden Folgen, in denen sich das gallische Dorf und die römische Welt weiterentwickeln würden. Ich fühlte den Wunsch und die Bereitschaft in mir, mich selbst auch bei der Lektüre dieser künftigen Comicalben weiterzuentwickeln.

Diese Alben erschienen mit der untrüglichen Sicherheit von Jahreszeiten: jedes Jahr ein neues Album. Aber die Bewohner des gallischen Dorfes blieben unverändert dieselben. Weiterhin bestand ihre Lieblingsbeschäftigung im Verprügeln von römischen Legionären, und ihre Denk- und Lebensweise hielt zäh an allen liebenswerten Vorurteilen und Eigentümlichkeiten fest, die sich immer und immer wieder als falsch erwiesen, ohne daß irgendjemand auch nur das geringste daraus lernte.

Gewiß paßten sie sich modischen Gewohnheiten an, zum Beispiel was den sich erhöhenden Anteil der Frauen am dörflichen Geschehen betraf. Aber auch die Frauen standen letztlich ihren Männern, was Beschränktheit, Engstirnigkeit und Liebenswürdigkeit betrifft, in nichts nach.

Als Leser bin ich dem Goscinny-Uderzo-Universum treu geblieben. Was die neueren Alben ihrer Nachfolger betrifft: warten wirs ab! ‒ Sie sind jedenfalls vielversprechend. Vor allem, was den Humor betrifft. Aber sicher nicht, was den Charakter unserer gallischen Helden betrifft. Der wird sich wohl auch beim neuen Autorengespann nicht mehr ändern.

Ich befürchte, diese Comics sind nur allzu realitätsnah. Die Menschen ändern sich nicht freiwillig. Vor allem nicht, wenn es ihnen gut geht. Schon gar nicht von heute auf morgen. Außerdem steht ihnen ja ein Zaubertrank zur Verfügung: die allseits gepriesene Technologie und die Digitalisierung. Letztlich fürchten sie sowieso nur eines: daß ihnen der Himmel auf den Kopf fallen könnte.

Das wird wohl auch passieren. Aber es hat ja noch Zeit.

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