„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 25. Februar 2023

Die letzte Zuflucht des Schurken

Der Rußlandkorrespondent der ZEIT, Michael Thuman, zitiert in seinem Buch „Revanche“ Putin: „Wenn jemand Russland zerstören will, haben wir das Recht zu antworten. Das wäre eine Katastrophe für die Menschheit und die Welt. Aber als Bürger Russlands und als russischer Präsident frage ich: Wozu brauchen wir eine Welt, in der es kein Russland gibt?“ (Thumann 2023, S.93)

Thumann beklagt die Wiederkehr des Nationalismus: „Nach den Verheerungen und Völkermorden des vergangenen Jahrhunderts hätte diese Ideologie für alle Zeiten diskreditiert sein müssen. Aber sie ist wirkmächtiger denn je.“ (Thumann 2023, S.93f.)

In meinem letzten Post zu Putins Krieg schrieb ich von Putins völkisch motiviertem Angriffskrieg auf die Ukraine. Ich möchte an dieser Stelle nochmal kurz auf mein Problem mit Berufungen auf Patriotismus und Nationalismus eingehen. Vor Putins Angriffskrieg war hierzulande in der Politik und im Feuilleton immer mal wieder feinsinnig zwischen ‚Nationalismus‘ und ‚Patriotismus‘ unterschieden worden. Dabei sollte der Nationalismus meist verdammenswert, der Patriotismus aber im Kern etwas Gutes sein. Warum? Was ist am Nationalismus schlecht, am Patriotismus aber gut?

Auch Thumann unterscheidet zwischen einem „klassischen einigenden US-Patriotismus“ und einem „spaltenden, ja rassistischen amerikanischen Nationalismus“ (vgl. Thumann 2023, S.107), wobei er den spaltenden Nationalismus Donald Trump anlastet und mit dem klassischen US-Patriotismus vor allem das 20. Jhdt. im Blick zu haben scheint. Dem wäre zu entgegnen, daß Putin als Vertreter des ‚neuen‘ Nationalismus die russische Bevölkerung nicht etwa spaltet, sondern vereint. Und der klassische US-Patriotismus ist weder für Vietnam noch für den us-amerikanischen ‚Hinterhof‘, also für Lateinamerika, besonders erfreulich gewesen.

„Dulce et decorum est pro patria mori“, hat Horaz (65-8 v.u.Z.) geschrieben. Süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben. – Von dem Gelehrten Samuel Johnson (1709-1784) stammt die Sentenz, daß der Patriotismus die letzte Zuflucht des Schurken sei.

Um Johnsons Position zu begründen, reicht es eigentlich, auf den Satz von Horaz zu verweisen. Patriotismus war schon immer ein Argument für den Krieg, und ich unterscheide hier nicht zwischen einem Angriffs-­ und einem Verteidigungskrieg. Auch ein Verteidigungskrieg macht das Sterben im Krieg in keiner Weise erfreulicher. Es gibt keinen Unterschied zwischen Nationalismus und Patriotismus, und nicht zuletzt bei Putin bewahrheitet sich Johnsons Spruch.

Es bedarf dringend einer Entkopplung von Geographie und Politik. Geopolitik ist eine modernisierte Fassung der nationalsozialistischen Verknüpfung von „Blut und Boden“, vom selben menschenverachtenden Geist, aber ohne die Blut-Komponente. Putins Erfindung eines einer heiligen Mission verpflichteten russischen Volkes geht auf die Vereinnahmung aller ethnischen Gruppen im ehemaligen sowjetischen Herrschaftsbereich für diese Mission. Nur wer sich ihr nicht anschließen will, wird der Vernichtung preisgegeben. Deshalb darf die Ukraine nicht mehr sein. Das ist der Kern seiner Geopolitik.

Wer bereit ist, in den Krieg zu ziehen, sollte Gründe haben, die seinen Verstand nicht beleidigen. Denn es ist sein Leben, das er riskiert. Nichts anderes. Geopolitik ist es nicht wert, für sie das Leben zu opfern.

Darüber hinaus kenne ich die Gründe nicht, die jemand veranlassen könnten, in den Krieg zu ziehen. Ich bin mir meiner eigenen Gründe und Motive nicht sicher. Was uns verbindet, schrieb Max Frisch mit Bezug auf den Nationalismus, „ist die geistige Not des einzelnen angesichts solcher Fronten, das Gefühl unserer Ohnmacht und die Frage, was tun“.

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