„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 2. Februar 2013

Rupert Sheldrake, Der Wissenschaftswahn. Warum der Materialismus ausgedient hat, München 2012

1. Prolog
2. Evolution auf der Basis morphischer Resonanz
3. Der ‚Geist‘ in der Naturwissenschaft
4. Ganzheiten wie z.B. eine Welle
5. Die Metapher des Gravitationsfeldes
6. „Brauchen wir wirklich ein Gehirn?“
7. Rekursivität und Doppelblindverfahren
8. Eine zeitliche Anatomie des Körperleibs

Der naturwissenschaftliche Weg zum materialistischen Reduktionismus vollzog sich über mehrere Stufen. Zunächst war die moderne Naturwissenschaft eng mit einem christlichen Missionarismus verbandelt, der sogenannten Physikotheologie. Mit großem Eifer machten sich christliche Wissenschaftler daran, mit wissenschaftlichen Mitteln in allen natürlichen Phänomenen Gottes Wirken nachzuweisen. So bahnten sie dem Glauben an die Beweismacht naturwissenschaftlicher Methoden den Weg.

Den Physikotheologen folgten die Dualisten: „Der mechanistische Dualismus wird vielfach auch als kartesianischer Dualismus bezeichnet. Er besagt, dass Geist seiner Natur nach immateriell und unkörperlich ist, während Körper Maschinen aus nichtbewusster Materie sind.() Die meisten Menschen hängen fraglos dieser dualistischen Sicht der Dinge an – jedenfalls solange sie sie nicht verteidigen müssen.“ (Sheldrake 2012, S.151)

Sobald wir aber die dualistische Perspektive ‚verteidigen‘, d.h. begründen müssen, verwandeln sich die meisten von uns in materialistische Monisten, – zumindestens im beruflichen Alltag. Denn wir nehmen uns zwar ‚privat‘, d.h. in unserem subjektiven Erleben, durchaus „als Lebewesen in einer lebendigen Welt“ wahr; trotzdem besteht „eine Loyalität gegenüber dem mechanistischen Weltbild, und die regiert unser Arbeitsleben.“ (Sheldrake 2012, S.79)

Ungeachtet dessen, daß unser gesamtes Rechts- und Bildungssystem auf der Annahme beruht, „dass wir eine gewisse Willensfreiheit besitzen und für unser Tun verantwortlich sind“ (Sheldrake 2012, S.151), behauptet der materialistische Monismus, der am Ende dieses Weges steht, ein „mechanistische(s) Bild des Universums“ (Sheldrake 2012, S.47), in dem es „einen freien Willen nicht geben kann, da alle molekularen und physikalischen Abläufe im Gehirn im Prinzip absehbar und berechenbar sind“ (Sheldrake 2012, S.30).

Nach Sheldrake hat dieser reduktionistische materielle Determinismus allerdings das Problem, daß nicht einmal die Materialisten selbst wirklich daran glauben und zumindestens hinsichtlich ihrer eigenen Person klammheimlich eine Ausnahme machen: „Sind Sie in der Lage, sich selbst als genetisch programmierte Maschine in einem mechanischen Universum zu sehen? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich kann das nicht einmal ein eingeschworener Materialist.“ (Sheldrake 2012, S.78) – Hier scheint mir Sheldrake doch etwas zu optimistisch zu sein. Günther Anders verweist z.B. auf die prometheische Scham, die Scham des Schöpfers von technischen Wunderwerken angesichts deren mechanischer Perfektion im Vergleich zu seiner eigenen organischen Unvollkommenheit. (Vgl. meinen Post vom 23.01.2011) Reduktionistische Materialisten, insbesondere Vertreter von der Spielart des eliminativen Materialismus (Sheldrake 2012, S.152; vgl. auch S.280) sind durchaus bereit, mit glühendem Eifer bei sich selbst jede Beseelung und Vergeistigung zu leugnen, dann aber im gleichen Atemzug – und das ist nun wirklich erstaunlich – Hymnen auf die kybernetische Empfindsamkeit und Intelligenz von Robotern zu singen. (Vgl. meinen Post vom 13.05.2010 zu Metzinger)

Erstaunlicherweise unterläuft es nämlich den eingeschworenen Materialisten bei diesem ganzen Prozeß der Eliminierung des Geistes aus ihren wissenschaftlichen Beschreibungen von Naturphänomenen, daß dieser Geist nun ‚hinterrücks‘ wieder in ihre vom Geist befreiten naturwissenschaftlichen Modelle Einzug erhält. In den deterministischen Modellen wimmelt es nur so von kleinen Homunculi. (Zum Homunculus vgl. meinen Post vom 27.07.2012) Vom ‚Homunculus‘ ist hier nicht nur im wörtlichen Sinne die Rede, etwa wie bei dem kleinen Männchen in der Samenzelle, das manche Wissenschaftler unter dem Mikroskop ‚gesehen‘ haben wollten. (Vgl. Sheldrake 2012, S.213) Mir geht es hier vor allem um die vielen Geistmetaphern, die sich in die Darstellungen der Materialisten mehr oder weniger unbewußt einschleichen: „Der kleine Mann im Gehirn, Homunkulus genannt, spielte im Denken über die Beziehung zwischen Körper und Gehirn weiterhin eine Rolle, nur wandelte sich diese Metapher mit der Zeit und passte sich dem technischen Fortschritt an. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts war der Homunkulus meist eine Art Telefonfräulein im Schaltraum des Gehirns, wobei die Geschehnisse der Außenwelt wie in einem Kino projiziert wurden ... Kleine Männer und Frauen im Gehirn wirken heute ziemlich naiv, aber die Personifizierung des Gehirns selbst ist nach wie vor sehr beliebt. Wenn in populärwissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln und Büchern erörtert wird, was es mit Geist und Gehirn auf sich hat, fallen immer wieder Ausdrücke wie ‚das Gehirn nimmt wahr‘, ‚das Gehirn entscheidet‘, während zugleich davon ausgegangen wird, dass das Gehirn eigentlich wie eine Maschine ist, wie ein Computer.()“ (Sheldrake 2012, S.53f.)

Diese metaphorische Personifizierung physikalischer Prozesse finden wir auf allen Ebenen der Naturwissenschaft, seltsamerweise am eindrücklichsten dort, wo es den Materialisten gerade um die Ausschaltung jeder personenbezogenen Illusionen geht: „Offenbar kann man nicht Materialist und auch noch widerspruchsfrei sein. Materialismus beruht auf einem latenten, mehr oder weniger geschickt getarnten Dualismus. In der Biologie zeigt sich dieser Dualismus als Personifikation von Molekülen.“ (Sheldrake 2012, S.55) – So spricht z.B. Dawkins in seinem Buch „The Selfish Gene“ von egoistischen Genen und stattet sie so mit „Lebendigkeit und Intelligenz“ aus. (Vgl. Sheldrake 2012, S.70)

Sheldrake zufolge stehen deshalb ironischerweise gerade die reduktionistischsten und deterministischsten Materialisten für einen neuen „Panpsychismus“, weil sie in ihren Naturbeschreibungen jetzt, mit Ausnahme des Menschen, praktisch alles beseelen, was sich beobachten und untersuchen läßt. (Vgl. Sheldrake 2012, S.156)

Meiner Ansicht nach haben Materialisten vor allem ein sprachliches Problem. Wenn sie sich außerhalb ihrer Fachsprachen, die vor allem auf mathematischen Formeln beruhen, in der Alltagssprache verständlich machen wollen – und letztlich verständigen sie sich selbst in ihren Laboren untereinander in der Alltagssprache –, müssen sie sich syntaktischer Konstruktionen bedienen, die die Struktur menschlichen Handelns abbilden. Selbst wenn sie also nicht populärwissenschaftliche Bücher schreiben, schleicht sich die anthropozentrische Metapher über die Syntax immer wieder in ihre Naturbeobachtungen ein. Das ist auch der Grund, warum Materialisten so gerne vom Passiv Gebrauch machen. Das Passiv soll den Status von Naturwissenschaftlern „als körper- und leidenschaftslose(n) Beobachter(n) ..., denen sich die Dinge gleichsam aus freien Stücken offenbaren“, sicherstellen. (Vgl. Sheldrake 2012, S.385)

Aber so vorsichtig und mißtrauisch sich Materialisten ihrer eigenen Beseeltheit und Geistigkeit gegenüber auch verhalten, – der so sorgfältig verdrängte und unter Kontrolle gehaltene ‚Geist‘ dringt hinterrücks immer wieder in ihre scheinbar ‚geistlose‘ Arbeit ein. Letztlich macht ihr eigener übergroßer Skeptizismus die Materialisten unkritisch gegenüber diesem geistigen Anteil an ihren Forschungsergebnissen. Weil es den Geist in ihren Forschungen nicht geben darf, gehen sie davon aus, daß es ihn auch nicht gibt. Das wiederum macht sie unfähig, genau diesen geistigen Anteil in ihren Experimenten zu kontrollieren, etwa im Doppelblindverfahren, das verhindern soll, daß sich die Erwartungen des Experimentators auf die Ergebnisse seiner Experimente auswirken und sie so verfälschen. (Vgl. Sheldrake 2012, S.401f.) Das Ergebnis ist, daß die Experimente in der Parapsychologie, in der das Doppelblindverfahren zum Standard gehört, zu valideren Forschungsergebnissen führen als in der angeblich so vorurteilsfreien Naturwissenschaft. (Vgl. Sheldrake 2012, S.396ff.)

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