„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 23. Februar 2013

Jürgen Habermas, Nachmetaphysisches Denken II: Aufsätze und Repliken, Berlin 2012

(Versprachlichung des Sakralen. Anstelle eines Vorworts (S.7-18); I: Die Lebenswelt als Raum der Gründe: 1. Von den Weltbildern zur Lebenswelt (S.19-53), 2. Die Lebenswelt als Raum symbolisch verkörperter Gründe, (S.54-76) 3. Eine Hypothese zum gattungsgeschichtlichen Sinn des Ritus (S.77-95); II: Nachmetaphysisches Denken (S.96-237); III: Politik und Religion (S.238-327))

1. Nachtrag zur Interdisziplinarität
2. Zum ontologischen Primat der Lebenswelt
3. Gesten und Körperbewegungen
4. Mentalismus und Rekursivität
5. Und trotzdem: Bewußtsein!
6. „Kognitive Schübe“ in der Evolutionsgeschichte des Menschen
7. Pragmatischer Konstruktivismus
8. Wahrnehmungsglaube und Lebensweltglaube
9. Grammatik und Narrativität

Im Zuge seiner Differenzierung zwischen Alltagswelt, Lebenswelt und objektiver Welt (vgl. meinen Post vom 16.02.2013) unterscheidet Habermas zwischen objektiver Welt und Lebenswelt, indem er vor allem den Vollzugscharakter der Lebenswelt hervorhebt, „in deren Horizont wir uns intentional auf etwas ‚in der Welt‘ richten“ und von der wir uns „so lange nicht lösen, wie wir im Vollzug dieser intentionalen, ob nun sprachlichen oder nichtsprachlichen, Aktivitäten begriffen sind.“ (Vgl. Habermas 2012, S.25) Die Lebenswelt bildet also einen Innenhorizont, zu dem es keinen Außenhorizont gibt, wie ich selbst es schon in einigen Posts zur Lebenswelt dargestellt habe. (Vgl.u.a. meinen Post vom 13.01.2012)

Die objektive Welt beschreibt Habermas hingegen als „Gesamtheit der beschreibungsunabhängig existierenden Gegenstände oder Referenten“. (Vgl. Habermas 2012, S.25) Die Beschreibungsunabhängigkeit dieser objektiven Gegenstände entspricht weitgehend dem, was ich als „Außenhorizont“ bezeichne und dem Wahrnehmungsglauben zuordne. (Vgl.u.a. meinen Post vom 13.01.2012) Mit dem Lebensweltglauben bezeichne ich also den Binnenhorizont der Lebenswelt und mit dem Wahrnehmungsglauben den Außenhorizont der objektiven Welt.

Die Alltagswelt wird von Habermas nun als eine pragmatische Lebenswelt bestimmt, insofern er sie als den „natürliche(n) Ort“ (Habermas 2012, S.54) bzw. „eigentlichen Ort“ (Habermas 2012, S.55) des „Gebrauch(s) von Gründen“ beschreibt. (Vgl. Habermas 2012, S.54f.) Sie stellt eine Vermischungsform von Lebensweltglauben und Wahrnehmungsglauben dar, also eine gleichzeitige Befangenheit im Binnenhorizont einer Lebenswelt und in der Selbstpositionierung gegenüber einer unveränderlichen Außenwelt: „Zwar können wir uns von der im Hintergrund präsenten Lebenswelt, in deren Horizont wir uns intentional auf etwas ‚in der Welt‘ richten, so lange nicht lösen, wie wir im Vollzug dieser intentionalen, ob nun sprachlichen oder nichtsprachlichen, Aktivitäten begriffen sind. Aber wir können wissen, dass dieselbe objektive Welt – aus der Perspektive eines distanzierten Beobachters – wiederum uns, unsere Interaktionsnetze und deren Hintergrund Seite an Seite mit anderen Entitäten einschließt. Das prägt unsere inklusive Alltagswelt, die Welt des Common Sense.“ (Habermas 2012, S.25f.)

Da beide Glaubensformen Vollzüge darstellen, also im Rücken unseres Bewußtseins fungieren, ist es leicht nachvollziehbar, daß in der Alltagswelt Innenwelt- und Außenweltperspektiven einander auf unreflektierte Weise abwechseln, obwohl sie nicht wirklich miteinander verschmelzen. Denn die Lebenswelt hat prinzipiell keinen Außenhorizont, und der Wahrnehmungsglaube ist prinzipiell auf eine Außenwelt bezogen. Die Alltagswelt ist also in der Tat inklusiv, und in dieser Hinsicht stimme ich Habermasens Analyse ausdrücklich zu. Aber diese Analyse darf nicht dazu führen, daß wir die weiter bestehende Differenz von Lebensweltglauben und Wahrnehmungsglauben übersehen. Denn genau darin besteht letztlich die Doppelaspektivität des Körperleibs und seine exzentrische Positionalität.

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