„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 24. April 2010

Neurophysiologie 2 (Fortsetzung)

So logisch inkonsistent wie die Einleitung setzt sich das erste Kapitel von Metzingers „Ego-Tunnel“ fort. Dort verwahrt sich Metzinger gegen die oft an Neurophysiologen gerichtete Unterstellung, sie wollten „das Bewusstsein reduzieren“, und er stellt zunächst mal klar, daß nur Theorien, nicht aber die Phänomene, die sie beschreiben, jeweils aufeinander reduzierbar seien (vgl.S.35), also, wenn ich das richtig verstehe, wenn eine hermeneutische Theorie des Bewußtseins durch eine biologische Theorie des Bewußtseins verdrängt wird. Metzinger selbst will jedenfalls erklärtermaßen nicht reduzieren, sondern er erkennt an dieser Stelle ausdrücklich an, daß die verbreitete Sorge vor Reduktionen durchaus ihre Berechtigung habe, denn je nach dem, welche Theorien über das Bewußtsein wir vertreten, werden wir uns auch anderen Menschen gegenüber verhalten. (Vgl.S.35f.) Das hieße, recht verstanden, daß ich auf der Grundlage eines maschinentheoretischen Verständnisses des Bewußtseins andere Menschen eben auch wie Maschinen behandle. Metzingers Bemerkungen zu diesem Thema beinhalten eine beeindruckende, humane Positionierung. Was ist dann aber davon zu halten, wenn er wenige Seiten später vom „bewussten Gehirn“ als einer „biologischen Maschine“ spricht? Sieht so die antireduktionistische Position aus, die er zu vertreten behauptet?

Weitere reduktionistische Positionen finden sich schon in der Einleitung: da heißt es z.B. daß „Wissen und Erkenntnis () nichts anderes als die (korrekte) Repräsentation eines äußeren Sachverhalts (sind)“! (S.25) – All die anderen Aspekte des Wissens, die nicht repräsentativ sind, wie z.B. Ästhetik und Moral, werden hier einfach per definitionem ausgeschlossen. Ist das nicht reduktionistisch? – Oder wenn Metzinger das Wirklichkeitskonstrukt des Gehirns als „niedrigdimensional“ bezeichnet, angesichts der „unvorstellbar reicheren und gehaltvolleren physikalischen Wirklichkeit“ (vgl.S.21), – ist das etwa keine reduktionistische Beschreibung der unglaublich komplexen Wahrnehmungsprozesse unseres Sinnesapparates? (Vgl. hierzu als positives Gegenbeispiel Rudolf Arnheims „Kunst und Sehen. Eine Psychologie des schöpferischen Auges“)

Metzinger widerspricht sich selbst also munter weiter. An einer anderen Stelle finde ich die reduktionistische Feststellung, daß es vor allem die Struktur der Gehirnprozesse sei, die „am Ende unser inneres Leben bestimmt, den Fluss des bewussten Erlebens“ (vgl.S.34), während Metzinger nur eine Seite später dem entgegen festhält, daß es vor allem unsere „Überzeugungen über das Bewusstsein“ seien, die „den Inhalt und das funktionale Profil des subjektiven Erlebens selbst verändern“ (vgl.S.35f.) – Was stimmt denn nun? Ist es die Struktur der Gehirnprozesse, die unser inneres Leben bestimmt, oder ist es unser inneres, bewußtes Erleben (Überzeugungen), das die Gehirnprozesse (bzw. das funktionale Profil des subjektiven Erlebens) bestimmt? Dieses nicht nur widersprüchliche, sondern auch begriffliche Durcheinander kann man in der Tat nicht mal mehr reduktionistisch nennen. Es ist widersprüchlich und deshalb nichtig.

Als etwas weniger widersprüchlich – aber nicht weniger nichtig – erscheint Metzingers Argumentation, wenn man sie als einen Kunstgriff oder einfach als einen Trick versteht, mit dem er sich gegen den Reduktionismusvorwurf zu wappnen versucht. Wie war das noch? Phänomene kann man nicht reduzieren! (Denn ein Regenbogen bleibt ein Regenbogen, und er bleibt schön, auch wenn ich ihn nur mit physikalischen Begriffen beschreibe (vgl.S.35).) Nach Metzinger können ja nur Theorien in Bezug auf andere Theorien reduktionistisch sein. Wenn man sich auf seine Argumentation einläßt, dann kann er nun gefahrlos drauf los reduzieren, – was er auch macht. Denn plötzlich wird ganz selbstverständlich vom ‚stark reduzierten subjektiven Erleben‘ gesprochen, das nur der „innere Schatten von etwas unfassbar Reicherem und Größerem sein soll“, von der wirklichen Außenwelt nämlich (die wir allerdings immer nur simulieren können). (Vgl.S.41) Einen Reduktionismusvorwurf kann man Metzinger daraus nun nicht mehr machen, denn Phänomene lassen sich ja nicht reduzieren, da wir unser Erleben weiterhin als intensiv und bewegend erleben, unabhängig von der Theorie, die wir gerade darüber vertreten. Andererseits aber hatte Metzinger auch behauptet, daß unsere inneren Überzeugungen „auf subtile Weise das verändern können, was wir wahrnehmen“ (S.36). Das geht doch aber wiederum gar nicht, – denn das, was wir wahrnehmen, ist ja das Phänomen, das von unseren Theorien angeblich unberührt bleibt. – Wie wir uns auch drehen und wenden, die ganze Argumentation ergibt keinen Sinn!

Download

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen