„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 29. Juli 2022

Weltsprache Kunst: das Zeichen

Crista Sütterlin/Irenäus Eibl-Eibesfeld, Weltsprache Kunst: zur Natur- und Kunstgeschichte bildlicher Kommunikation“ (2007)

Cs/iee übernehmen Leroi-Gourhans These, daß am Anfang der Kunst nicht der Realismus der Abbildung steht, sondern die Abstraktion. (Vgl. „Weltsprache Kunst“ (2007), S.37) Ritzungen in Knochen und Steinen, die nichts abbilden, möglicherweise als Zählung oder Ausdruck eines Rhythmusempfindens, oder stilistische Reduktionen von Menschen und menschlichen Körperteilen, wobei die Menschen selbst nur als Strichmännchen dargestellt werden, bestenfalls noch mit einem Geschlechtsmerkmal versehen, ebenfalls oft nur ein zusätzlicher Strich, bei gleichzeitig erstaunlich realistischen, detailgetreuen Abbildungen von Tieren auf Höhlenwänden. Auf Striche reduzierte Ritzungen, deren Abstraktheit so of die Spitze getrieben ist, daß man sie allenfalls noch als ornamental bezeichnen könnte, und die ersichtlich nichts abbilden, möchte ich, gleich zu Beginn dieses Blogposts, als Zeichen definieren, im Unterschied zum Symbol. Das Abstrakte ist das Zeichen. Aus ihm geht bei uns die Schrift hervor, die ebenfalls aus Zeichen, nämlich aus Buchstaben besteht, die nichts abbilden. Das gilt natürlich nur für die europäischen Schriftsysteme und nicht für die Ideogramme von Bilderschriften. Ideogramme sind selbstverständlich Symbole.

Diese Unterscheidung ist wichtig, weil vielfach argumentiert wird, daß die Abstraktionsleistung der Buchstabenschrift das mathematische Denken vorbereitet hat. Buchstaben werden ja auch in der Algebra verwendet. Auch eine „rudimentierte () Menschendarstellung“ wie etwa das erwähnte Strichmännchen (vgl. „Weltsprache Kunst“ (2007), S.209), wird nach meinem Verständnis erst dann zum Symbol, wenn sie als Hieroglyphe, also als Sprachzeichen im Dienste der Kommunikation Verwendung findet. Wenn sie nur der Schaulust dient (Ornament, Dekor) oder etwas auf stilisierte Weise abbildet, ohne etwas zu ‚bedeuten‘ bzw. mitzuteilen, ist sie kein Symbol.

Cs/iee arbeiten sich systematisch an einer Verhältnisbestimmung von Zeichen und Bild ab. Dabei gehen sie von einer „ikonischen Differenz“ aus (vgl. „Weltsprache Kunst“ (2007), S.97f.), mit der sie zwischen ‚Bild‘ und ‚Bedeutung‘ unterscheiden. Das Zeichen selbst unterscheiden sie nicht vom Symbol. Beide sind austauschbar und bildhaft. Diese Gleichsetzung von Zeichen und Symbol ist üblich in den logischen und mathematischen Wissenschaften. Diese Wissenschaften haben kein Interesse am Menschen. Aber in der Kunst sollte man nicht so leichtfertig mit dem Symbolbegriff umgehen. Symbole sind nicht nur graphischer Natur. Es gibt auch sprachliche Bilder, z.B. Metaphern. Sie beinhalten eine Bedeutung, die über logische und technische Funktionalität hinausgeht.

Das Zeichen wird ausschließlich durch Konvention definiert und bleibt immer konventionell. Es beruht auf einer Verabredung oder einem Vertrag. Es ist also artifizieller bzw. technischer Art. Symbole hingegen gehen über Konvention hinaus. Sütterlin ist es, die das, was ich hier „Symbol“ nennen will, auf den Punkt bringt, wenn sie von der „Wahrnehmungsfalle“ spricht. (Vgl. „Weltsprache Kunst“ (2007), S.97) Symbole sind verführerisch, weil sie uns einen Teil des bewußten Denkens abnehmen, so daß wir mit ihnen oft etwas anderes wahrnehmen, denken und sagen, als wir eigentlich wollen. Zugleich sind sie aber unverzichtbar für unser Denken, weil sie mit ihrer Mehrdeutigkeit Kreativität ermöglichen.

Was ein Zeichen zum Symbol werden läßt, ist dieser Bezug auf etwas anderes, das über bloße Wahrnehmung hinausgeht; weshalb es auch ‚Sym-Bol‘ heißt, nämlich als Zusammen-Fallen zweier im Symbol verknüpfter Perspektiven: Bezeichnendes und Bezeichnetes, Signifikant und Signifikat. Im Symbol kommt das zusammen, was cs/iee die ikonische Differenz nennen: aus abstrakten Zeichen werden Bedeutungsträger. Das abstrakte Zeichen selbst ist aber zunächst keine Bezeichnung, sondern eine willkürliche, abstrakte Ritzung ohne jeden Gegenstandsbezug, der per Konventionalisierung eine logische oder mathematische Funktion zugewiesen wird.

Umberto Eco verwendet für mathematische Zeichen die Begriffe „Symbol“ und „Ausdruck“. (Vgl. „Semiotik und Philosophie der Sprache“: Eco 1985, S.33f.) Aber mathematische Zeichen sind weder Ausdrücke noch haben sie Inhalte. Sie sind Bestandteile von logischen Operationen. Sie bezeichnen Verhältnisse und Beziehungen. Aber niemals drücken sie ‚etwas‘ aus. Allerdings hat Eco Recht, wenn er bei mathematischen Zeichen von „Eins-zu-Eins-Korrespondenzen zwischen Inhalt und Ausdruck“ spricht. (Vgl. Eco 1985, S.33) Er spricht damit die durch Konventionalisierung ermöglichte Identifikation von Zeichen und Funktion an. Nichts an diesen Zeichen ist mehrdeutig. Nur so funktionieren Algorithmen. Nur so funktioniert Maschinenkommunikation.

Und gerade weil es im Zeichen keine Differenz zwischen Inhalt und ‚Ausdruck‘ gibt, drücken mathematische Zeichen nichts aus. Sie gehen in ihrer Funktionalität auf.

Cs/iee machen, wie gesagt, diesen Unterschied zwischen Zeichen und Symbol nicht. Gleich der erste Satz im Kapitel „Gestalt, Motiv, Signal und Symbol“ (vgl. Weltsprache Kunst“ (2007), S.191ff.) geht in die falsche Richtung. In diesem Satz beschreiben cs/iee die Information als ein „Zeichen mit Bedeutung“. (Vgl. Weltsprache Kunst“ (2007), S.191) Es mag sein, daß Informationen in der Kommunikation von Menschen eine Bedeutung haben. Aber in der ‚Kommunikation‘ von Maschinen sind Informationen grundsätzlich bedeutungslos. Und für Maschinen ist der Informationsbegriff entwickelt worden. Wenn deshalb cs/iee im weiteren schreiben, daß Zeichen „Schnittstellen in der Vermittlung von Welt“ sind (vgl. Weltsprache Kunst“ (2007), S.191), dann gilt das nur für Sprachzeichen im engeren Sinne; also für Wörter bzw. für Symbole. Es gilt nicht für mathematische Zeichen und auch nicht für Computersprachen.

Mit Verweis auf die Nachrichtentechnik unterscheiden cs/iee zwischen „Strategien der ‚Sinnbildung‘ und Verständigung“ (vgl. Weltsprache Kunst“ (2007), S.118 und S.192) und bewegen sich damit auf der kulturellen, gesellschaftlichen Ebene, die sie in der Folge aber nicht mehr von der biologischen Ebene unterscheiden können, wenn sie das Verhalten von Konsumenten in der Werbung als hybriden Reiz-Reaktions-Mechanismus beschreiben: „Wir haben es auf allen Ebenen (der Werbung – DZ) mit Hybriden zu tun, einer Vielfalt von einfachen und komplexen Reizen, die unaufhörlich um unsere Aufmerksamkeit buhlen und dazu da sind, uns zu leiten, zu belehren, hinzuweisen und zu führen.“ (Weltsprache Kunst“ (2007), S.192) – Alles, Signale, Reize, Informationen und Bedeutung/Sinn, verschmilzt hier zu einem kybernetischen Algorithmus der Umweltorientierung. Letztlich haben wir es hier mit einem Maschinenverhalten zu tun. Die Zeichen, die uns ‚steuern‘, erfüllen ihre Funktion.

Es ist wichtig, unsere Redeweise nicht mit überflüssigen Analogien zu überfrachten, weil das unser Denken nicht nur fördert; es kann es auch behindern und in die Irre führen. Wenn ich alltägliche Wörter auf naturwissenschaftliche Phänomene anwende, wie es oft in der Neurophysiologie geschieht, wenn bestimmten neuronalen Netzen die Funktion ‚Liebe‘ oder ‚Denken‘ zugewiesen wird, oder wenn ich das Wort ‚Symbol‘ auf Funktionszeichen in Algorithmen und in Computersprachen anwende, dann analogisiere ich diese Bereiche mit menschlichem Verhalten und menschlicher Kommunikation, und am Ende weiß keiner mehr, was menschliche Kommunikation ist.

Diese Vorsicht im Gebrauch von Begriffen ist um so notwendiger, als cs/iee zurecht darauf hinweisen, daß es keine „Unschuld der reinen Form“ gibt (vgl. „Weltsprache Kunst“ (2007), S.203), weil die Menschen geradezu zwanghaft allem in ihrer Umwelt eine Bedeutung zuweisen: „Wie kommt es, dass es kaum ein visuelles Umfeld gibt, das wir nicht als Nachricht mit spezifischer ‚Bedeutung‘ oder zumindest als diffuse Einstimmung erleben? Wie kommt die Bedeutung, wie kommt die Macht, Gefühle zu evozieren, in die Zeichen?“ („Weltsprache Kunst“ (2007), S.204)

Gerade also, weil wir dazu neigen, allem eine Bedeutung zu geben, mißverstehen wir Maschineninteraktionen als Kommunikation. – Zur Beantwortung der Frage von cs/iee, wie die Bedeutung in die Zeichen kommt, ist es unerläßlich, genauer zwischen den Zeichen als bloße Funktion und Sprachzeichen (Symbolen) zu differenzieren. Das gilt natürlich gerade auch für „Signale“, wie sie als „Schlüsselreize“ im Tierreich vorkommen. (Vgl. „Weltsprache Kunst“ (2007), S.212) Wenn Signale nicht wie beim Menschen als bewußte Sprachcodes verwendet werden, um über große Entfernungen hinweg zu kommunizieren (Lichtzeichen, Flaggen, Morsezeichen), sondern im Tierreich mit Hilfe beispielsweise von Mimikry instinktive Vermeidungsreflexe auszulösen, dann haben wir es nicht mit Symbolen zu tun. Dennoch gibt es überall dort, wo auch im Tierreich kommuniziert wird, also einander bewußt etwas mitgeteilt wird, durchaus Symbole.

Cs/iee kommen tatsächlich selbst auf den Umstand zu sprechen, daß Informationen bedeutungslos sind: „... die Tatsache, dass ein lebender Organismus jede Information auch nach ihrer Bedeutung bewertet“ und daß diese Bedeutung in der Informationstheorie keine Rolle spielt. (Vgl. „Weltsprache Kunst“ (2007), S.173) – Genau in diesem Sinne sind alle lebenden Organismen subjektiv.

Allerdings sprechen cs/iee noch auf derselben Seite gleich wieder vom „Herausfiltern ‚bedeutsamer‘ Informationen“ aus „Störsignalen“ (vgl. „Weltsprache Kunst“ (2007), S.173), vermengen also wieder Informationsverarbeitung und Gestaltwahrnehmung; auch wenn sie „bedeutsam“ in Anführungsstriche setzen. Aus der Sicht der Informationsverarbeitung sind Informationen niemals bedeutsam. Sie sind und bleiben die technologische Basis von Algorithmen für die Interaktion von Maschinen. Möglicherweise gibt es beim Menschen eine sinnesphysiologische Ebene, die wie eine Maschine funktioniert: aber eben immer nur unterhalb der Bewußtseinsschwelle.

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