„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Montag, 3. Dezember 2018

Slavoj Žižek, Disparitäten, Darmstadt 2018 (2016)

1. Methode und Zusammenfassung
2. Verbrennt Schiller!
3. Antihumanismus
4. Zum Realen und dem ganzen Rest
5. Vergleich mit Plessner

Slavoj Žižek wirft dem Humanismus vor, an die Stelle des Menschen ein falsches Allgemeines zu setzen, das die meisten Menschen aussortiert und nur den weißen Mann als Modellmenschen fokussiert:
„Weder der Humanismusgedanke noch die Subjektvorstellung sind ein richtiges Allgemeines. Die von ihnen aufrechterhaltene Form des allgemeinen menschlichen Subjekts nämlich stützt sich auf eine versteckte Norm (die Bevorzugung des westlichen weißen Mannes) und schließt damit andere aus, die ihrem unausgesprochenen Einheitsmodell nicht entsprechen (Frauen, Menschen anderer Hautfarbe und so weiter).“ (Žižek 2018, S.36f.)
Mit dem Begriff des Humanismus ist aber, zumindest nach meiner Auffassung, untrennbar auch irgendeine Vorstellung von Humanität verbunden. Antihumanismen aller Art – Žižek zählt hier vor allem „Posthumanismus“, „Transhumanismus“ und technologischen Antihumanismus auf; auch die Wissenschaft selbst ist Žižek zufolge posthuman (vgl. Žižek 2018, S.31, 37f.) – legen immer zugleich auch eine gewisse Menschenverachtung an den Tag. Žižek ist hier ambivalent. Man weiß nie so recht, ob er eher zur antihumanistischen Seite von Technologie und Wissenschaft neigt oder ob er sich um das Schicksal unserer „Identität als Menschen“ (Žižek 2018, S.38) sorgt. Tatsächlich scheint es Žižek vor allem um die „ontologische Differenz“ zu gehen, die er mit Heidegger für ‚bedroht‘ hält. (Vgl. Žižek 2018, S.29f.) Insofern es bei der ontologischen Differenz um die Differenz zwischen Sein und Seiendem bzw. mit Lacan um die Differenz zwischen Realem und Realität geht (vgl. Žižek 2018, S.29), sorgt sich Žižek zumindestens indirekt auch um den Menschen, da diese Differenz, als Differenz zwischen Innen und Außen, für den Menschen konstitutiv ist.

Ansonsten muß man aber festhalten, daß auch Žižek eine gewisse Verachtung für den Menschen an den Tag legt: Žižek verortet den Grund für den Posthumanismus der Wissenschaft in der Quantenphysik. Menschen sind einfach nicht imstande, die Quantenphysik zu verstehen, und das ist nach Žižeks Ansicht ein weiterer Grund dafür, daß der Humanismusgedanke ausgedient hat. (Žižek 2018, S.37) Er ist einfach zu begrenzt, um mit dem wissenschaftlichen Erkenntnissen mithalten zu können.

Tatsächlich ist Žižek sogar der Ansicht, daß Immanuel Kant (1724-1804) der „erste philosophische Antihumanist“ gewesen sei, weil er das menschliche Subjekt als „Leere der reinen Negativität“ konzipiert und von der empirischen menschlichen Person getrennt habe. (Vgl. Žižek 2018, S.37) Diese Ansicht ist, vorsichtig formuliert, gewagt. Aber auf der Grundlage dieser mutigen Vereinnahmung Kants für den Antihumanismus kann Žižek nun seine eigenen transhumanistischen Akzente setzen. Es fällt auf, wie Žižek überall, wo er die Begriffe des Subjekts und der Subjektivität thematisiert, sehr darauf achtet, sie als körperlose Entitäten darzustellen.

Das beginnt schon mit der dialektischen Methode des Gegenstoßes. Der erste Gegenstoß überhaupt, mit dem die Dialektik in sich selbst zu kreisen beginnt, ist die Abstoßung von allem Sinnlichen, das in der Folge keine Rolle mehr spielt. (Vgl. Žižek 2018, S.162) Wohin die Reise geht, zeigt sich insbesondere an der Stelle, wo Žižek sich auf neurowissenschaftliche Erkenntnisse bezieht, „die sich nicht einfach als irrelevant abtun lassen“. (Vgl. Žižek 2018, S.34) Diese angeblichen Erkenntnisse belegen Žižeks Ansicht nach, daß die scheinbar körperlichen Erfahrungen lediglich Produkte bestimmter, lokalisierbarer Gehirnaktivitäten seien, weshalb die diesen Erkenntnissen zugrundeliegenden neurowissenschaftlichen Experimente „die für die Philosophie der Endlichkeit äußerst wichtige Vorstellung, dass wir irreduzibel ‚eingebettet‘ sind, (problematisieren)“. (Vgl. ebenda)

Mit solchen ‚Argumenten‘ – die sich mit dem Verweis auf irgendwelche Experimente begnügen und von der Autorität der öffentlich gehuldigten Neurowissenschaften profitieren – bereitet Žižek den Weg für die transhumanistische Vorstellung, daß irgendwann eine allgemeine KI die menschliche KI ersetzen könne und sogar menschliches Bewußtsein technologisch über den körperlichen Verfall hinaus verlängert werden könnte. Zwar meint Žižek, ausdrücklich vor einer solchen Vision warnen zu müssen, da sie „den eigentlichen Kern dessen, was es heißt, Mensch zu sein, buchstäblich aushöhlt“. (Vgl. Žižek 2018, S.39) Aber sein eigener Subjektbegriff enthält keine Momente, die dieser Vision Widerstand böten. Im Gegenteil unterstützt Žižeks zentrale These von der Substanzlosigkeit und der „unstofflichen Leere“ des Subjekts und der Subjektivität (vgl. Žižek 2018, S.99f.) transhumanistische Vorstellungen von der Substratlosigkeit des menschlichen Bewußtseins. (Vgl. meine Blogposts zu Max Tegmark vom 01.11.-05.11.2018)

Nichts spricht dagegen, daß ein menschliches Subjekt, das nicht wesensmäßig körperlich eingebettet sein muß, um als Subjekt zu funktionieren, und das als bloße Erscheinung „sich selbst autonomisiert und zu einem Akteur gegen ihre eigene Substanzialität wird“ (vgl. Žižek 2018, S.56), nicht genauso gut aus einem technologischen Konstrukt, wenn es nur komplex genug ist, emergieren könnte. Gegen eine derartige Nivellierung des Menschlichen auf Maschinenniveau erhebe ich Einspruch! Eine Philosophie, die der Menschlichkeit nicht in ihrer ganzen, also auch empirischen Fülle Raum zu geben vermag, hat kein Recht, einem Humanismus, der den Menschen nicht als Maschine zu denken vermag, vorzuwerfen, zu begrenzt zu sein.

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