„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 13. Juni 2014

Entwicklungslogiken (Nachtrag)

In meinem Post vom 21.04.2010 habe ich die drei Entwicklungslinien der Biologie, der Kultur und des Individuums im ersten Falle als bloß beschreibbar, im zweiten Falle als nicht nur beschreibbar, sondern auch als interpretierbar und im dritten Falle schließlich als nicht nur beschreibbar und interpretierbar, sondern auch als erlebbar gekennzeichnet. Jeder dieser erkenntnistheoretischen, sich stufenweise zum Subjekt hin öffnenden Wissensgrenzen läßt sich auch eine spezielle Epistemologie zuordnen. Für die individuelle Entwicklungslinie interessiert sich insbesondere die Phänomenologie. Für die kulturelle Entwicklungslinie interessiert sich vor allem die Hermeneutik bzw. die phänomenale Strukturanalyse (vgl. meine Posts vom 02.11.2013, 03.11.2013, 24.03.201408.05. & 09.05.2014). Kultureller Sinn hat immer die Struktur von Text und Kontext, die der Interpretation (Assmann: ‚Wiederholung‘; vgl. meinen Post vom 10.02.2011) bedürfen. Die Interpretierbarkeit und Interpretationsbedürftigkeit kulturellen Sinns ist der Grund für die Bewußtseinsaffinität des kulturellen Sinns.

Für die ‚biologische‘ Entwicklungslinie interessiert sich schließlich ein die sichtbaren und erlebbaren Phänomene auf verborgene Gesetzmäßigkeiten zurückführender Strukturalismus, der dabei aber zugleich auch das Problem hat, das Biologische nur als etwas Materielles in den Blick zu bekommen, dem die Grenze des Übergangs vom Toten zum Lebendigen entgeht. Hier bedarf es noch einmal einer Ergänzung des formelhaft Strukturellen durch eine Phänomenologie, die das Typische, Gestalthafte, Ganzheitliche des Lebens thematisiert, also einer figurativen Strukturanalyse, ähnlich der von mir schon angesprochenen phänomenalen Strukturanalyse. Ein Beispiel für eine solche figurative Strukturanalyse ist Plessners Buch über die „Stufen des Organischen“.

Die Nicht-Verstehbarkeit der biologischen Entwicklungslinie bezieht sich vor allem darauf, daß sich evolutionäre Prozesse immer nur im nachhinein rekonstruieren lassen. Aber diese Rekonstruktion evolutionärer Prozesse beruht auf Intuitionen der Gestaltwahrnehmung. Ohne diese Intuitionen wären sie nicht einmal rekonstruierbar. Diese Intuitionen sind mit dem Figurativen in der ,figurativen‘ Strukturanalyse gemeint. Der Strukturalismus meint aber auf diese Intuitionen verzichten und die ganze Biologie auf genetische Strukturen zurückführen zu können. Es gibt z.B. auch einen Streit bei der Artbestimmung, wo die einen nach wie vor darauf bestehen, vor allem morphologisch vorzugehen, während sich die Genetiker ganz auf die Bestimmung von Gensequenzen verlassen wollen.

Erst wenn wir den Strukturalismus durch eine phänomenale Strukturanalyse (kulturelle Entwicklungslinie) und durch eine figurative Strukturanalyse (biologische Entwicklungslinie) ersetzen, sind die beiden Entwicklungslinien in einer individuellen Entwicklungslinie integrierbar und ein umfassender, nicht-reduktiver Blick auf den Menschen wird möglich.

Download

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen