„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Sonntag, 8. Juni 2014

Andreas Bernard, Kinder Machen – Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie. Samenspender, Leihmütter, künstliche Befruchtung, Frankfurt a.M. 2014

(S. Fischer Verlag, 543 S., 24.99 €)

1. Halbierte Kopulation
2. Zum biologischen Ursprung der klassischen Bildungstheorie
3. Der Einfluß des Individuums
4. Konkurrenz oder Symmetrie der Geschlechter?
5. Der Samenspender als Kulturstifter?
6. Selbsteugenisierung
7. Bedrohte Menschlichkeit?

In Deutschland ist die Debatte zur Reproduktionstechnologie von den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus und seinen Eugenikprogrammen geprägt. Bernard zeigt, daß das einerseits auf einem begrifflichen Mißverständnis beruht (Vgl. Bernard 2014, S.120) und andererseits auf die tatsächliche Einstellung vieler hochrangiger Nationalsozialisten zur Reproduktionstechnologie nicht zutrifft (vgl. Bernard, 2014, S.238f.).

Auf einem begrifflichen Mißverständnis beruht die Verbindung von Eugenik und Reproduktionstechnologie, weil sich die Eugenik gar nicht für die Individuen und ihre Bedürfnisse, die von den Reproduktionsmedizinern ganz gezielt angesprochen werden, interessiert: „Gerade die restlose Individualisierung von Fertilität und Elternschaft aber steht in Kontrast zu den Konzepten der Eugenik, die immer vom Kollektiv, von der Population her gedacht waren. ... Für die Reproduktionsmediziner ist nur das gegenwärtige Paar von Belang; die Vernachlässigung künftiger Generationen lässt sich bereits dadurch erkennen, dass Spenderkinder selbst niemals die Kriterien einer Samenbank erfüllen könnten ...“ (Bernard 2014, S.120)

Spenderkinder können deshalb nicht die Kriterien einer Samenbank erfüllen, weil der eine Elternteil, der Samenspender, üblicherweise geheimgehalten wird. Von den Samenspendern werden aber möglichst genaue und lückenlose Angaben zu ihren weiblichen und männlichen Vorfahren erwartet, um die Qualität des ‚gespendeten‘ Erbguts dokumentieren zu können. Wie sich die weitere Fortpflanzung der Spenderkinder gestaltet – eine Frage, die für die bevölkerungspolitische Ausrichtung einer Eugenik unverzichtbar wäre – interessiert die Reproduktionsmediziner nicht. Schon aus diesem Grund kann die Reproduktionsmedizin also nicht in den Kontext der Eugenik gestellt werden.

Was die Nationalsozialisten betrifft, ist es nun erstaunlicherweise so, daß sich viele von ihnen trotz all ihrer Affinität zu den neuesten Technologien der Massenkommunikation und der Massenvernichtung vor der Reproduktionstechnologie geradezu ekelten: „Die Feier des ‚Natürlichen‘, im Nationalsozialismus ein nach Belieben aktivierter oder deaktivierter Bestandteil des Welt- und Menschenbildes, wird zum wichtigsten Argument gegen die Technologisierung der Fortpflanzung.“ (Bernard 2014, S.238)

Dennoch läßt sich eine Verbindungslinie zwischen Eugenik und Reproduktionsmedizin ziehen, und zwar von seiten der Klientel, den fortpflanzungswilligen Eltern. Trotz all ihrer Bereitschaft, auf einen Teil der für die traditionelle Familie unerläßlichen Blutslinie zu verzichten und die Dienste eines Samenspenders oder einer Eizellspenderin in Anspruch zu nehmen, legen diese modernen Eltern großen Wert auf Ähnlichkeit: ganz der Papa bzw. ganz die Mama! Ein weißes us-amerikanisches oder europäisches Mittelschichtspaar würde sich niemals einen schwarzen Samenspender auswählen. Und es bleibt auch nicht bei der bloßen Ähnlichkeit. Die soziale Aufstiegsorientierung solcher Paare verlangt nach einer größtmöglichen Optimierung der eigenen Fortpflanzungsbemühungen. Fortpflanzungswillige Paare, die sich nach reproduktionsmedizinischer Unterstützung umsehen, verhalten sich also genau so, wie es Eugeniker einst forderten: „In historischer Perspektive hat es ein wenig den Anschein, als würde die eugenische Doktrin, im gesellschaftlichen Diskurs komplett verschwunden, von den Menschen inzwischen freiwillig beherzigt werden.“ (Bernard 2014, S.121) – Bernard spricht deshalb von einem Trend zur „Selbsteugenisierung“. (Vgl. Bernard 2014, S.120)

Die Samenbanken haben sich darauf eingerichtet und bieten umfassende Profile von ihren Samenspendern und Eizellspenderinnen an. Dabei werden Samenspender und Eizellspenderinnen ganz unterschiedlich beworben. Die Samenspender bleiben prinzipiell anonym. Das Aussehen des anonymen Samenspenders wird stellvertretend über Bilder von Prominenten vermittelt (sieht aus wie Brad Pitt). Ansonsten beinhaltet das Profil eines Samenspenders einen Essay über seine Motive zur Samenspende, einen Lebenslauf, eine graphologische Analyse, ein Tondokument, ein Phantombild, ein Persönlichkeitsprofil, vom Personal der Samenbank beigesteuerte Sympathiewerte und eine Selbstdarstellung. (Vgl. Bernard 2014, S.112ff.) Bevorzugte Eigenschaften der Samenspender sind beruflicher Erfolg und Intelligenz. – Bei einem ‚Familientreffen‘ von verschiedenen Paaren, die die Dienste desselben Samenspenders in Anspruch genommen haben, kann das dann schon mal zu recht beunruhigenden Eindrücken führen. Eine Mutter äußert sich irritiert über das „Dutzend“ durch die „Hotelanlage“ laufender, „ähnlich aussehender Kleinkinder, alle im gleichen Alter“; und die sind dann möglicherweise auch noch mit „blonde(n) Haaren“ und „typischen blauen Augen“ ausgestattet. (Vgl. Bernard 2014, S.155)

Von Eizellspenderinnen werden ganz andere Eigenschaften als vom Samenspender erwartet; und sie werden interessanterweise auch nicht anonymisiert: „Ihre Profile enthalten in sämtlichen Agenturen eine Galerie aktueller Porträts und Ganzkörper-Aufnahmen ...“ (Bernard, 2014, S.345) – Die Präsentation des eigenen Körpers erinnert hier wohl nicht von ungefähr an Prostitution. Aber das Gespür dafür ist in einer Zeit, in der Castingshows so beliebt sind, wohl nicht sehr ausgeprägt.

Noch interessanter ist aber, daß Eizellspenderinnen nicht ‚biologisch‘, sondern, wie Bernard sich ausdrückt, ‚semiotisch‘ beworben werden. Nicht ihre Abstammungslinie ist von Interesse, wie beim Samenspender, sondern die Fähigkeit des weiblichen Körpers, das ‚Leben‘ zu ‚geben‘. Die Eizellspende, so Bernard, „ist keine konservierbare Absonderung von Zeugungsmaterial, sondern das Leben selbst, ‚a gift of life‘ ...“ (Vgl. Bernard 2014, 344) An dieser Stelle ist es dann doch immerhin bemerkenswert, daß es offensichtlich ein verbreitetes unterschwelliges Bewußtsein für die von den Samenzellen sich unterscheidende Qualität der Eizelle gibt.

Die für die Bewerbung der weiblichen Eizellspenderin verwendeten Begriffe heben deshalb vor allem auf diesen Spendencharakter ab. Mehr noch als beim Samenspender kommt es bei der Eizellspenderin darauf an, daß sie nicht in erster Linie Geld verdienen, sondern vor allem notleidenden Paaren zur Fruchtbarkeit verhelfen will. (Vgl. Bernard 2014, 344)

Obwohl aber die „geläufigen Begriffe der Reproduktionsmedizin“ aus dem „Umfeld altruistischer Gaben“ stammen, kann das nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir es hier in erster Linie mit einem Geschäft zu tun haben (vgl. Bernard 2014, S.22), und die fortpflanzungswillige Klientel, die sich hilfesuchend an die Reproduktionsindustrie wendet, verhält sich letztlich auch nicht anders als Konsumenten beim Internetshopping: „Sperma oder Schuhe im Internet kaufen“, das ist „gar kein besonderer Unterschied“, schreibt eine Kundin über ihre Erfahrungen mit dem Metier. (Vgl. Bernard 2014, S.445)

Was die ‚Produkte‘ betrifft, führt das auch zum selben Ergebnis: mehr vom Gleichen! Der französische Reproduktionsmediziner, Jacques Testart, der sich noch dem ärztlichen Ethos verpflichtet fühlt, das Leiden der Patienten zu lindern, kommt in seinem neuesten Buch „Wie morgen Kinder gemacht werden“ zu dem Ergebnis, daß es längst nur noch um die Produktion von „Wunschkindern à la carte“ geht. (Vgl. DLF vom 21.05.2014) Da wir es bei der Reproduktionsmedizin also nur noch mit einer teuren Luxusleistung zu tun haben, glaubt Testart, daß die wirklichen Probleme wie etwa der Klimawandel dazu führen werden, daß wir uns demnächst eine „Spitzenmedizin“, die „extrem teuer und nicht wirklich erforderlich“ ist, nicht mehr werden leisten können. Das wäre dann das nüchterne Ende eines „Erregungsdiskurses“, der, wie Bernard meint, das Reden über die assistierte Empfängnis in der Öffentlichkeit bestimmt. (Vgl. Bernard 2014, S.150)

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