Engster, Haesler und Schlaudt haben ihr von mir in diesem Blog kommentiertes Buch „Kleine Philosophie des Geldes im Augenblick seines Verschwindens“ (2024) betitelt. Aber dieser Titel ist irreführend. Er suggeriert, daß die digitale Technik dem Geld ein Ende bereitet. Obwohl natürlich mit Verschwinden auch gemeint sein könnte, daß es unsichtbar wird. Das entspräche dem, was tatsächlich gerade geschieht.
Das, was tatsächlich geschieht, ist die Überführung des Geldes in eine andere Gestalt: die KI. Engster hatte in seinem Buch „Das Geld als Maß, Mittel und Methode. Das Rechnen mit der Identität der Zeit“ (2014) das Geld als eine KI beschrieben, die uns in allen wirtschaftlichen Aktivitäten ‒ also letztlich unsere ganze Lebensführung betreffend ‒ das Rechnen abnimmt. Und Rechnen ist ja längst gleichbedeutend mit Denken.
Wenn also das Geld ,verschwindet‛, dann hat es nur seine Gestalt gewechselt. Alle seine Funktionen sind auf die KI übergegangen, als die es wie ein Phönix aufersteht.
Ich werde meine Kommentare zu Simmel mit Bemerkungen zum vierten Kapitel seiner „Philosophie des Geldes“ Anfang November fortsetzen. Dann wird es um das Verhältnis von Geld und Freiheit gehen.
Erkenntnisethik
„Wenn schon eine ganze Welt, auf Erkenntnis beruhend und ihrer ständig bedürftig, errichtet ist und ihren Gang geht, wie die der modernen Technik, wird der nach dem Grund ihrer Möglichkeit und nach ihren Sicherheitsgarantien Fragende zum Sokrates der Vergeblichkeit.“ (Blumenberg, Höhlenausgänge, S.169)
„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)
Samstag, 4. Oktober 2025
Freitag, 3. Oktober 2025
Zwei Anthropologien
Während Plessner seine Anthropologie an der Frage orientierte, wie sich der Mensch in der Welt verwirklicht, besteht Simmels Anthropologie darin, zu zeigen, wie der Mensch das Geld möglich machte und dann das Geld den Menschen vernichtete.
Donnerstag, 2. Oktober 2025
Begehrungen
Georg Simmel, Philosophie des Geldes (2009/1900)
Georg Simmel beginnt seine philosophische Analyse des Geldes mit einer Genese des Tauschwertes. Ein Tauschobjekt erhält seinen Wert allererst dadurch, daß jemand es haben will und jemand anderes es hat. Natürlich muß die Tauschpartnerin auch etwas haben, an dessem Besitz sie selbst kein so großes Interesse hat, das aber für den anderen wichtig genug ist, um den von ihr begehrten Gegenstand dagegen einzutauschen. Im Verhältnis zueinander erhalten jetzt also beide Tauschobjekte ihren Wert. Aber der Grund für diese Wertbestimmung liegt nicht in den beiden Tauschobjekten selbst, sondern im Begehren der beiden Tauschpartner. Deren Wille ist der eigentliche Grund für eine aus dem Tauschakt hervorgehende Wertbestimmung.
Der Wille bildet, so Simmel, das „Urphänomen“ der Genese des Werts (vgl. Simmel 2009, S.26): „Alle Deduktionen des Wertes machen nur die Bedingungen kenntlich, auf die hin er sich, schließlich ganz unvermittelt, einstellt, ohne jedoch aus ihnen hergestellt zu werden ‒ wie alle theoretischen Beweise nur die Bedingungen bereiten können, auf die hin jenes Gefühl der Bejahung oder des Daseins eintritt.“ (Simmel 2009, S.26)
Simmel setzt den Wert zunächst mit dem subjektiven Willen gleich. Die Werte spiegeln nur unser Begehren, das uns erfüllt, wenn wir das, was wir wollen, nicht unmittelbar realisieren können: „Wir begehren die Dinge erst jenseits ihrer unbedingten Hingabe an unseren Gebrauch und Genuß, d.h. indem sie eben diesem irgendeinen Widerstand entgegensetzen ... Das so zustande gekommene Objekt, charakterisiert durch den Abstand vom Subjekt, den dessen Begehrung ebenso feststellt wie zu überwinden sucht ‒ heißt uns ein Wert.“ (Simmel 2009, S.34)
Aus diesem Auseinandertreten von Subjekt und Objekt, den ich mit Plessner als Hiatuserfahrung bezeichne, geht allererst ein „Bewußtseinsprozeß“ hervor. (Vgl. Simmel 2009, S.33) Für diesen elementaren Prozeß brauchen wir keine Metaphysik. Es genügt, die Differenz („Abstand“) zu betonen, denn der Hiatus schließt sich nicht mehr. Erst hier beginnt die Möglichkeit des Wertens: als Differenz. Nicht der Wert steht am Anfang eines Bewußtwerdungsprozesses, sondern die Differenz. Und die Möglichkeit des Wertens bildet nur einen Teil des differenziellen Potenzials.
So weit kann man also Simmels Argumentation folgen. Aber Simmel zufolge entspringt das Selbstbewußtsein nicht einem Hiatus in der Welt, sondern einem Hiatus in uns selbst, also im Inneren unseres Bewußtseins. Er bezeichnet diesen Hiatus als eine „Urtatsache des Selbstbewußtseins“: „Unsere Seele besitzt keine substantielle Einheit, sondern nur diejenige, die sich aus der Wechselwirkung des Subjekts und des Objekts ergibt, in welche sie sich selbst teilt. Dies ist nicht eine zufällige Form des Geistes, die auch anders sein könnte, ohne unser Wesentliches zu ändern, sondern ist seine entscheidende Wesensform selbst. Geist haben, heißt nichts anderes als diese innere Trennung vornehmen, sich selbst zum Objekt machen, sich selbst wissen zu können.“ (Simmel 2009, S.132f.; Hervorhebungen ‒ DZ)
Simmel geht also allen Ernstes davon aus, daß wir nicht erst durch eine Erfahrung in der Welt, sondern schon vor aller Erfahrung uns in uns selbst als Objekt erkennen und so zu einem Selbstbewußtsein kommen. Da traut er unserem Bewußtsein doch etwas zu viel zu. Bewußtsein ist zunächst Intentionalität, und als solche reflektiert es sich nicht selbst, sondern es geht unmittelbar auf Objekte. Erst in der gebrochenen Unmittelbarkeit beginnt es, sich selbst zu reflektieren. Und selbst dann gelangen viele Menschen nicht zu einem Selbstbewußtsein.
Ein Bewußtsein, das sich in sich selbst begründet, ist immer zirkulär. Was war vor dem Bewußtsein, das sich in Subjekt und Objekt gespalten hat? Auf welcher Seite befindet sich das Bewußtsein nach dieser Spaltung: auf der Subjektseite oder auf der Objektseite? Die Fragen, die sich hier stellen, schweben im luftleeren Raum und kreisen um sich selbst. Es ist also kein Wunder, daß Simmel den aus einem inneren Hiatus hervorgehenden infiniten Regreß in eine „Kreisbewegung“ umbiegt und mit einem Zirkelschluß argumentiert: „Indem der Relativismus als Erkenntnisprinzip sich mit der Unterordnung unter sich selbst, die so vielen absolutistischen Prinzipien verderblich wird, gerade von vornherein selbst beweist, drückt er nur am reinsten aus, was er auch jenen anderen leistet: die Legitimierung des Geistes, über sich selbst zu urteilen, ohne durch das Ergebnis dieses Urteilsprozesses, wie es auch ausfalle, den Prozeß selbst illusorisch zu machen.“ (Simmel 2009, S.133)
Wir haben es bei der inneren Trennung (Hiatus) in Subjekt und Objekt mit einem in sich geschlossenen Zirkel zu tun, der sich auf keine Objekte in der Welt bezieht und deshalb auch nichts mehr begehrt. Er genügt sich selbst. Das ganze erste Kapitel der „Philosophie des Geldes“ besteht darin, dieses metaphysische Konstrukt auf die Geldwirtschaft zu übertragen, als „ideelles Reich“ mit seinem „zur Substanz erstarrte(n) Gelten, das Gelten der Dinge ohne diese Dinge selbst“, womit Simmel nichts anderes meint als das Geld. (Vgl. Simmel 2009, S.139)
Simmel selbst weiß um die Problematik eines solchen Reichs: „So ist das wirtschaftliche System allerdings auf eine Abstraktion gegründet, auf das Gegenseitigkeitsverhältnis des Tausches, die Balance zwischen Opfer und Gewinn, während es in dem wirklichen Prozeß, in dem es sich vollzieht, mit seinem Fundamente und seinem Ergebnis: den Begehrungen und Genüssen, untrennbar verbunden ist. Das Entscheidende für die Objektivität des wirtschaftlichen Wertes, die das Wirtschaftsgebiet als selbständiges abgrenzt, ist das prinzipielle Hinausgehen seiner Gültigkeit über das Einzelsubjekt.“ (Simmel 2009, S.62)
Mit dieser „Abstraktion“, dem ideellen Reich der Werte, verlassen wir also die Ebene des unmittelbaren Bezugs auf Tauschobjekte, mit denen wir unsere Bedürfnisse gleichermaßen unmittelbar wie gegenseitig befriedigen. Wo aber bei Simmel beschönigend von einer „Balance zwischen Opfer und Gewinn“ die Rede ist, wird hier zugleich auch ein Konkurrenzverhältnis grundgelegt, in dem die Tauschpartner ihren Gewinn auf Kosten des jeweils anderen zu maximieren versuchen. Die Gegenstände spiegeln nicht mehr unser individuelles Begehren, sondern der Gewinn der einen Tauschpartnerin spiegelt sich im Verlust des anderen. Mit anderen Worten: wir verlassen eine von Individuen bestimmte Praxis und betreten die durch Werte regulierte Praxis der Gesellschaft.
Mittwoch, 1. Oktober 2025
Wechselwirkungen
Georg Simmel, Philosophie des Geldes (2009/1900)
Kurt Röttigers, Tausch, in: HWdPh, Bd.10
Als ich letztens einige Stichwörter im Historischen Wörterbuch der Philosophie nachschlug, stieß ich unter dem Artikel zum „Tausch“ auf eine Textstelle, die mich irritierte und mich veranlaßte, mir Georg Simmels (1858-1918) Buch zur „Philosophie des Geldes“ (1900) in einer 2009 erschienenen Ausgabe zu kaufen. Ich zog diese Hardcoverausgabe der Softcoverversion der wissenschaftlich-kritischen Edition vor, weil sie beim von meinen Unterstreichungen und Randbemerkungen begleiteten Lesen leichter zu handhaben ist.
Ich habe jetzt die ersten 150 Seiten von insgesamt 832 Seiten gelesen, und das Ende des ersten Kapitels bietet mir die Gelegenheit, eine Zäsur zu setzen und, bevor ich die Lektüre fortsetze, einige grundlegende Einsichten festzuhalten. Die Textstelle in dem Wörterbuchartikel, die mich irritierte, besteht aus Zitaten von Simmel. Diese Zitate legen nahe, daß meine Formel zur freien und gleichen Wechselbeziehung zwischen zwei Menschen, Ich = Du, kompatibel ist mit dem Warentausch. Wenn nämlich jede von Zweien der anderen das gibt, was jene entbehren kann und diese braucht, bedeutet das Simmel zufolge, „daß jeder dem anderen mehr gibt als er selbst besessen hat“. (Vgl. K. Röttigers, in: HWdPh, Bd.10, Sp.922f.; vgl. auch Simmel 2009, S.64)
Weiter heißt es im Wörterbuch: „Simmel zieht daraus den verallgemeinernden Schluß, ,daß die Mehrzahl der Beziehungen untereinander als ein T. (Tausch ‒ DZ) gelten kann; er ist zugleich die reinste und gesteigertste Wechselwirkung, die ihrerseits das menschliche Leben ausmacht.‛ () Er konkretisiert das folgendermaßen: ,Jede Wechselwirkung ... ist als ein T. zu betrachten: jede Unterhaltung, jede Liebe ... jedes Spiel, jedes sich Anblicken‛ ().“ (Vgl. HWdPh, Sp.923; vgl. Simmel 2009, S.63)
Wenn das so ist, dann gibt es zwischen dem Warentausch, dem Geld und der Liebe keinen Unterschied.
Wenn ich meine Vorstellung von einer freien und gleichen Wechselbeziehung zwischen zwei Menschen aufrechterhalten will, darf sie aber keineswegs unter einen Begriff von Wechselwirkung fallen, im Sinne einer reinsten und gesteigertsten Wechselwirkung, der beinhaltet, daß alles seinen ,Preis‛ hat. Das aber heißt wiederum, daß der Begriff der Wechselwirkung eben nicht mit dem der Wechselbeziehung bedeutungsgleich sein kann. Ich halte deshalb dagegen, daß ,Wirkungen‛, also auch Wechselwirkungen, immer Ursachen haben, wobei wir es bei Wechselwirkungen eben mit wechselseitigen Verursachungen zu tun haben. Eine solche wechselseitige Verursachung läßt sich natürlich anders als in einem linearen Kausalverlauf nicht auf eine einzelne Ursache zurückverfolgen. Demnach haben wir es also bei der Wechselwirkung mit einer nicht-linearen Kausalität zu tun, wie sie zwischen den Teilen eines Ganzen stattfindet. In diesem Sinne argumentiert übrigens, wie wir noch sehen werden, auch Simmel.
Aber wir haben es dennoch auch bei dem Begriff der Wechselwirkung mit einem Kausalverhältnis zu tun, das auf die freie und gleiche Wechselbeziehung zwischen zwei Menschen, wie sie von Simmel mit einem Begriff wie „Liebe“ (siehe Zitat) angesprochen wird, nicht angewandt werden kann. Zwei Menschen sind füreinander ‚Du‛, ohne daß diese Wechselseitigkeit auf Kausalität, und sei sie auch eine nicht-lineare, zurückgeführt werden könnte. Das heißt nicht, daß es im Ich = Du keine Wechselwirkung gibt, sondern nur, daß die freie und gleiche Wechselbeziehung nicht durch Wechselwirkung konstituiert wird. Da aber die Differenz zwischen zwei Menschen in der Wechselbeziehung nicht aufgehoben wird, gibt es selbstverständlich auch eine Wechselwirkung zwischen ihnen.
Dieses Verhältnis zwischen Wechselbeziehung und Wechselwirkung wird noch einmal verkompliziert durch das der Ökonomie zuzuordnende Tauschverhältnis. Im Grunde bildet der Tausch ein referentielles Dreieck, in dem die Referenz der beteiligten Akteure nicht aus einem, sondern aus zwei Tauschobjekten besteht, die in einer je individuellen Beziehung zu dem einen und dem anderen der beiden Tauschpartner stehen, während zugleich die beiden Tauschpartner zueinander in einer Beziehung stehen, die durch das Interesse des einen an dem Gegenstand im Besitz des anderen, und umgekehrt, bestimmt ist.
Auch innerhalb einer freien und gleichen Wechselbeziehung hat die Referenz, die hier in der gemeinsamen Aufmerksamkeit auf bloß einen Gegenstand besteht, einen je individuellen Bezug zu jedem der beiden Partner, aber was diese miteinander ,tauschen‛, ist nicht das Objekt selbst ‒ es sei denn als Geschenk ‒, sondern ihre Perspektiven auf dieses Objekt. In einer freien und gleichen Wechselbeziehung bildet die Referenz eine Option, die die Wechselbeziehung zwischen zwei Menschen veranlassen und darüberhinaus eine vorhandene Zweierbeziehung, Freundschaft, Liebe, Interessengemeinschaft etc., stärken kann.
Wenn es aber nicht darum geht, einander zu diesem Dritten in eine gemeinsame Beziehung des wechselseitigen Gebens und Nehmens zu setzen, sondern zweierlei Drittes (Tauschobjekte) mit Hilfe einer Bestimmung des Werts eines jeden Objekts im Verhältnis zum anderen zu tauschen, verwandelt sich die freie und gleiche Wechselbeziehung in eine Konkurrenzbeziehung des Gebens, um zu nehmen. Die erste Beziehungsform möchte ich als Gabe bezeichnen, die zweite als Tausch. Der Tausch bildet dann eine Wechselwirkung in Form der ökonomischen Praxis.
Letztlich wirft Simmel zwei grundverschiedene Beziehungsebenen in einen Topf: die des Menschen zu Gegenständen der nicht-menschlichen Welt, zu denen auch noch Artefakte wie die Waren zu zählen wären, und die des Menschen zu seinem Mitmenschen. Bei der Gabe und beim Tausch haben wir es also mit Objekten zu tun, die zueinander kategorial verschieden sind. (Vgl. Simmel 2009, S.93)
Wenn ich hier von der ,Gabe‛ spreche, um eine Differenz zum Tausch aufzumachen, halte ich mich an eine bestimmte Bedeutung, ohne mich weiter um die verschiedenen, zum Teil widersprüchlichen Bedeutungen zu kümmern, die dieses Wort in der Ethnologie und Anthropologie außerdem noch hat. Ich halte den Gabentausch nicht für eine Frühform des Warentausches und werde deshalb auch gar nicht erst von einem Gaben-,Tausch‛ sprechen. Was zwei Menschen in einer freien und gleichen Wechselbeziehung einander ,geben‛, ist eine ,Gabe‛. Damit ist alles gesagt.
Auch Simmel hat eine Vorstellung von dieser Differenz zwischen Gabe und Tausch, wie sich in folgender Textstelle zeigt: „Wo wir Liebe um Liebe tauschen, wüßten wir mit der darin offenbarten inneren Energie sonst nichts anzufangen; indem wir sie hingeben, opfern wir ‒ von äußeren Betätigungsfolgen abgesehen ‒ keinerlei Nutzen auf; wenn wir in der Wechselrede geistige Inhalte mitteilen, so nehmen diese darum nicht ab; wenn wir unserer Umgebung das Bild unserer Persönlichkeit darbieten, indem wir das der anderen in uns aufnehmen, so vermindert dieser Austausch unseren Besitz in keiner Weise.“ (Simmel 2009, S.64)
Simmel beschreibt hier völlig korrekt den Unterschied zwischen einem Tausch, der unter dem Druck wirtschaftlicher Konkurrenz, von Gewinn und Verlust, geschieht, und der Kommunikation zwischen zwei Menschen, bleibt aber dabei, beides als Wechselwirkung zu bezeichnen, und spricht sogar weiterhin unterschiedslos vom Tausch. Hier fehlt es ihm an Arbeit am Begriff.
Dienstag, 23. September 2025
Wie lange noch?
Gerade habe ich eine Sendung des Philosophischen Radios von Jürgen Wiebicke mit Heino Falcke, einem Astrophysiker, der das Photo von einem schwarzen Loch gemacht hat, zur Geschichte unseres Planeten gehört. Darin bekennt Falcke sich dazu, an Gott zu glauben. Das will ich ihm nicht nehmen. Aber gegen Ende der Sendung sagt er noch, alles sei endlich, auch der Mensch. Aber man wisse ja nicht, wann sein Ende eintritt. Vielleicht gibt es ihn ja noch viele „Milliarden“ Jahre.
Kann ich noch seinen Glauben an Gott anerkennen, ohne an seinem Verstand zu zweifeln, so belegt dieses ,Milliarden Jahre‛ leider einen ‒ hoffentlich bloß momentanen ‒ Aussetzer seines Verstandes. Nehmen wir den Menschen, wie er uns im Anthropozän erscheint, so besteht seine hauptsächlichste Eigenschaft darin, Entwicklungsprozesse zu beschleunigen, so sehr, daß sich in den letzten zwanzig, dreißig Jahren das Antlitz des Planeten drastisch verändert hat. Sieht man sich das Entwicklungspotenzial allein der digitalen Technologien an, dann wird dieses Entwicklungstempo derart zunehmen, daß sich Jahrtausende der biologischen und kulturellen Evolution auf wenige Jahre und Monate verkürzen werden.
Sind eine Milliarde Jahre angesichts der bisherigen biologischen Evolution schon eine gewaltige Zahl, so muß diese eigentlich sogar, angesichts der technologischen Rasanz und um die damit zusammenhängenden schon eingetretenen und noch bevorstehenden Veränderungen verhältnismäßig zur biologischen Zeitebene deutlich zu machen, noch um mehrere Zehnerpotenzen erhöht werden. So viel bräuchte wohl die natürliche Evolution, um mit unserer künstlichen mithalten zu können. Die 13,8 Milliarden Jahre seit dem Urknall erscheinen dagegen als ein Klacks.
Aber wir haben natürlich weder die von Falcke anvisierten Milliarden Jahre noch überhaupt alle Zeit der Welt. Ich selbst gebe den Menschen nur noch wenige hundert Jahre. Eigentlich ist das schon zu viel gerechnet. An eine Zukunft jenseits der Erde, im Weltraum, glaube ich nicht. Da glaube ich schon eher an Gott.
Kann ich noch seinen Glauben an Gott anerkennen, ohne an seinem Verstand zu zweifeln, so belegt dieses ,Milliarden Jahre‛ leider einen ‒ hoffentlich bloß momentanen ‒ Aussetzer seines Verstandes. Nehmen wir den Menschen, wie er uns im Anthropozän erscheint, so besteht seine hauptsächlichste Eigenschaft darin, Entwicklungsprozesse zu beschleunigen, so sehr, daß sich in den letzten zwanzig, dreißig Jahren das Antlitz des Planeten drastisch verändert hat. Sieht man sich das Entwicklungspotenzial allein der digitalen Technologien an, dann wird dieses Entwicklungstempo derart zunehmen, daß sich Jahrtausende der biologischen und kulturellen Evolution auf wenige Jahre und Monate verkürzen werden.
Sind eine Milliarde Jahre angesichts der bisherigen biologischen Evolution schon eine gewaltige Zahl, so muß diese eigentlich sogar, angesichts der technologischen Rasanz und um die damit zusammenhängenden schon eingetretenen und noch bevorstehenden Veränderungen verhältnismäßig zur biologischen Zeitebene deutlich zu machen, noch um mehrere Zehnerpotenzen erhöht werden. So viel bräuchte wohl die natürliche Evolution, um mit unserer künstlichen mithalten zu können. Die 13,8 Milliarden Jahre seit dem Urknall erscheinen dagegen als ein Klacks.
Aber wir haben natürlich weder die von Falcke anvisierten Milliarden Jahre noch überhaupt alle Zeit der Welt. Ich selbst gebe den Menschen nur noch wenige hundert Jahre. Eigentlich ist das schon zu viel gerechnet. An eine Zukunft jenseits der Erde, im Weltraum, glaube ich nicht. Da glaube ich schon eher an Gott.
Montag, 1. September 2025
Pflicht & Zweifel
Anne Nuhn, Pflicht & Zweifel. Ein Regency-Märchen Roman, Buch 1, 2025
ISBN 978-1-0670534-2-0
https://annenuhn.com/
Hallo Anne,
endlich halte ich den ersten Band von „Pflicht & Zweifel“ in meinen Händen. Ich hatte ihn im Buchhandel bestellen wollen und mußte mich darüber aufklären lassen, daß dieses Buch trotz ISBN-Nummer nicht im Buchhandel erhältlich sei. Man kann es nur über Amazon beziehen, und ich bestelle nichts bei Amazon. Niemals. Meine Schwester half mir aus der Verlegenheit und überließ mir ihr Exemplar.
Endlich konnte ich erfahren, was aus dem Digiskript geworden ist, das Du mir vor sechs Jahren anvertraut hattest. Manches in dem fertigen Exemplar ist anders, als ich es in Erinnerung habe. Ich will es hier aber nicht Zeile für Zeile mit dem Digiskript vergleichen, sondern nur auf das eine und andere hinweisen, das mir besonders ins Auge fällt.
Das Erste, was mir auffällt, ist natürlich der geänderte Titel. Das Digiskript hatte noch den Arbeitstitel „Zorn & Zweifel“. Dieser Arbeitstitel spielt auf die beiden hauptsächlichen inneren Zustände von Carolena Seed/Bloom an, die den ersten Band der Trilogie dominieren. Der endgültige Titel ist weniger persönlich und hebt die moralisch-gesellschaftliche Dimension des Buches hervor. Er ändert nichts an der inneren Zerrissenheit von Carolena, deutet aber den Weg an, der vor ihr liegt und den sie noch zu gehen hat. Das vom Arbeitstitel angedeutete existenzielle Drama verschiebt sich mit „Pflicht & Zweifel“ in Richtung eines Bildungsromans und erinnert so an Jane Austen (1775-1817), von der wir ähnliche Gegenüberstellungen kennen: „Stolz und Vorurteil“ oder „Sinn und Sinnlichkeit“. Nicht umsonst nennst Du Deine Trilogie ein Regency-Märchen.
Dabei ist die Regency-Epoche, 1810 bis 1820, eine Umbruchzeit, in der traditionelle Lebensweisen neuen Technologien weichen mußten, und also keineswegs eine Zeit der Märchen; jedenfalls nicht im Sinne der Grimmschen Kinder- und Hausmärchen. Deine Trilogie ist eher eine gelungene Mischung aus Märchen, Fantasy und Bildungsroman. Dabei fällt vor allem eins auf: der Pflichtbegriff beschränkt sich eben nicht auf die Gentleman-und-Lady-Etikette der englischen Standesgesellschaft. Du gibst dem Pflichtbegriff zwei verschiedene Inhalte, zwischen denen Carolenas Bildungsweg verläuft, im ständigen Wechsel zwischen dem einen und dem anderen, tastend, irrend, im verzweifelten Versuch, den Klippen und Fallstricken beider Pflichten auszuweichen.
Tatsächlich handelt es sich nicht einfach um zwei Pflichten, sondern um zwei Welten, der Welt der Magie und der Welt der Vernunft. Aber nein! Auch das trifft es nicht ganz. Die Magie ist nicht vernunftlos, und die gesellschaftliche Vernunft ist nicht einfach nur vernünftig; heute nicht und eben auch nicht in der Regency-Epoche. Siehe Austens „Stolz und Vorurteil“.
Auf der Seite der Magie lernt Carolena die Grausamkeit kennen. Diese Magie gibt ihr die Mittel in die Hand, ihre Rache ins Werk zu setzen. Aber auf der Seite der Magie gibt es auch Vernunft. Eine Natur-Vernunft. Eine Vernunft des Geschehenlassens. Eine Vernunft der Akzeptanz. Eine kosmische Vernunft, die einerseits grausam über das persönliche Schicksal von Einzelnen hinweggeht, aber andererseits alles mit allem verbindet: eine große Harmonie. Eine Natur-Vernunft also, deren Magie kein fügsames Werkzeug ist für Carolenas Rache.
Die gesellschaftliche Vernunft steht hingegen für Regeln, für Ordnung, für Macht, für das Eingreifen, Zurichten und Planen. Nichts läßt sie geschehen, ohne es zu bewerten, es entweder einem Nutzen zuzuführen oder es zu vernichten, weil es schädlich ist.
Sowohl in der Natur wie auch in der Gesellschaft sind es Carolenas Mitleid und vor allem ihr Gerechtigkeitsempfinden, die sie dazu verleiten, durch ihr Eingreifen alles nur noch schlimmer zu machen. Das sind die zwei Dimensionen der Pflicht, mit denen sie sich zunächst als Lehrling in der Magie und dann als Debütantin im Dienst einer Lady konfrontiert sieht.
Das ist so etwa der erste Band Deiner Trilogie und natürlich wie alle Zusammenfassungen völlig unzulänglich. Aber dieses Buch ist Dir gelungen. Mal sehen, wie ich jetzt in den Besitz des zweiten Bandes komme. Vielleicht kann mir meine Schwester weiterhelfen.
Noch eins zum Schluß: Was den Zweifel betrifft, so ist es doch ein Magier, nämlich Borke, der der größte Zweifler im ersten Band von „Pflicht & Zweifel“ ist und dem Carolenas Gewißheiten ziemlich auf die Nerven gehen: „Wir können von Glück sagen, dass Sie kein Zepter in der Hand halten!“ (S.134) ‒ Was für eine wunderbare Ironie, wenn man an den Schluß der Trilogie denkt!
Liebe Grüße,
Detlef
ISBN 978-1-0670534-2-0
https://annenuhn.com/
Hallo Anne,
endlich halte ich den ersten Band von „Pflicht & Zweifel“ in meinen Händen. Ich hatte ihn im Buchhandel bestellen wollen und mußte mich darüber aufklären lassen, daß dieses Buch trotz ISBN-Nummer nicht im Buchhandel erhältlich sei. Man kann es nur über Amazon beziehen, und ich bestelle nichts bei Amazon. Niemals. Meine Schwester half mir aus der Verlegenheit und überließ mir ihr Exemplar.
Endlich konnte ich erfahren, was aus dem Digiskript geworden ist, das Du mir vor sechs Jahren anvertraut hattest. Manches in dem fertigen Exemplar ist anders, als ich es in Erinnerung habe. Ich will es hier aber nicht Zeile für Zeile mit dem Digiskript vergleichen, sondern nur auf das eine und andere hinweisen, das mir besonders ins Auge fällt.
Das Erste, was mir auffällt, ist natürlich der geänderte Titel. Das Digiskript hatte noch den Arbeitstitel „Zorn & Zweifel“. Dieser Arbeitstitel spielt auf die beiden hauptsächlichen inneren Zustände von Carolena Seed/Bloom an, die den ersten Band der Trilogie dominieren. Der endgültige Titel ist weniger persönlich und hebt die moralisch-gesellschaftliche Dimension des Buches hervor. Er ändert nichts an der inneren Zerrissenheit von Carolena, deutet aber den Weg an, der vor ihr liegt und den sie noch zu gehen hat. Das vom Arbeitstitel angedeutete existenzielle Drama verschiebt sich mit „Pflicht & Zweifel“ in Richtung eines Bildungsromans und erinnert so an Jane Austen (1775-1817), von der wir ähnliche Gegenüberstellungen kennen: „Stolz und Vorurteil“ oder „Sinn und Sinnlichkeit“. Nicht umsonst nennst Du Deine Trilogie ein Regency-Märchen.
Dabei ist die Regency-Epoche, 1810 bis 1820, eine Umbruchzeit, in der traditionelle Lebensweisen neuen Technologien weichen mußten, und also keineswegs eine Zeit der Märchen; jedenfalls nicht im Sinne der Grimmschen Kinder- und Hausmärchen. Deine Trilogie ist eher eine gelungene Mischung aus Märchen, Fantasy und Bildungsroman. Dabei fällt vor allem eins auf: der Pflichtbegriff beschränkt sich eben nicht auf die Gentleman-und-Lady-Etikette der englischen Standesgesellschaft. Du gibst dem Pflichtbegriff zwei verschiedene Inhalte, zwischen denen Carolenas Bildungsweg verläuft, im ständigen Wechsel zwischen dem einen und dem anderen, tastend, irrend, im verzweifelten Versuch, den Klippen und Fallstricken beider Pflichten auszuweichen.
Tatsächlich handelt es sich nicht einfach um zwei Pflichten, sondern um zwei Welten, der Welt der Magie und der Welt der Vernunft. Aber nein! Auch das trifft es nicht ganz. Die Magie ist nicht vernunftlos, und die gesellschaftliche Vernunft ist nicht einfach nur vernünftig; heute nicht und eben auch nicht in der Regency-Epoche. Siehe Austens „Stolz und Vorurteil“.
Auf der Seite der Magie lernt Carolena die Grausamkeit kennen. Diese Magie gibt ihr die Mittel in die Hand, ihre Rache ins Werk zu setzen. Aber auf der Seite der Magie gibt es auch Vernunft. Eine Natur-Vernunft. Eine Vernunft des Geschehenlassens. Eine Vernunft der Akzeptanz. Eine kosmische Vernunft, die einerseits grausam über das persönliche Schicksal von Einzelnen hinweggeht, aber andererseits alles mit allem verbindet: eine große Harmonie. Eine Natur-Vernunft also, deren Magie kein fügsames Werkzeug ist für Carolenas Rache.
Die gesellschaftliche Vernunft steht hingegen für Regeln, für Ordnung, für Macht, für das Eingreifen, Zurichten und Planen. Nichts läßt sie geschehen, ohne es zu bewerten, es entweder einem Nutzen zuzuführen oder es zu vernichten, weil es schädlich ist.
Sowohl in der Natur wie auch in der Gesellschaft sind es Carolenas Mitleid und vor allem ihr Gerechtigkeitsempfinden, die sie dazu verleiten, durch ihr Eingreifen alles nur noch schlimmer zu machen. Das sind die zwei Dimensionen der Pflicht, mit denen sie sich zunächst als Lehrling in der Magie und dann als Debütantin im Dienst einer Lady konfrontiert sieht.
Das ist so etwa der erste Band Deiner Trilogie und natürlich wie alle Zusammenfassungen völlig unzulänglich. Aber dieses Buch ist Dir gelungen. Mal sehen, wie ich jetzt in den Besitz des zweiten Bandes komme. Vielleicht kann mir meine Schwester weiterhelfen.
Noch eins zum Schluß: Was den Zweifel betrifft, so ist es doch ein Magier, nämlich Borke, der der größte Zweifler im ersten Band von „Pflicht & Zweifel“ ist und dem Carolenas Gewißheiten ziemlich auf die Nerven gehen: „Wir können von Glück sagen, dass Sie kein Zepter in der Hand halten!“ (S.134) ‒ Was für eine wunderbare Ironie, wenn man an den Schluß der Trilogie denkt!
Liebe Grüße,
Detlef
Freitag, 1. August 2025
Im Briefkasten
Ich fand in meinem Briefkasten zwei kleine Heftchen von Petra Klingl. Von Amazon versandt und ohne Begleitbrief. Auch keine Rechnung. Ein Heftchen über Haikus und ein Heftchen mit Haikus. Die Regeln in dem einen Heftchen, wie man Haikus schreibt, werden von den Haikus im anderen Heftchen nicht eingehalten. Das hat mir gefallen. Gefallen haben mir auch die Haikus. Aber diese Petra Klingl kenne ich nicht. Ich weiß nicht wer und warum mir die beiden Heftchen geschickt hat. Wer auch immer hat meiner Postanschrift „Blog Erkenntnisethik“ hinzugefügt. Es muß sich also um eine Besucherin oder einen Besucher meines Blogs handeln.
Im Briefkasten zwei
Umschläge von Amazon.
Einer mit Haiku.
Umschläge von Amazon.
Einer mit Haiku.
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