„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Sonntag, 6. August 2023

Zur Logik von Groß- und Kleinschreibung in Ich = Du

In meinem logischen Gedicht „Ich = Du“ verbinde ich mit der Groß- und Kleinschreibung der Personalpronomina unterschiedliche Codes, die über die einfache binäre Differenz von groß und klein hinausgehen. Ich möchte diese Differenzierung deshalb in diesem Blogpost offenlegen.

In der Einführungsstrophe setze ich die Personalpronomina in den Kontext einer „Menschheit“, die wir für gewöhnlich mit der Gattung gleichsetzen, so daß wir uns als Menschen von allem anderen Leben auf diesem Planeten abgrenzen. In dieser Strophe schreibe ich die erste und zweite Person Singular und Plural groß und die dritte Person Singular und Plural klein. Diese Differenz zielt auf eine Menschheit, die sich nicht mehr als Gattung versteht. Ich = Du transzendiert alle Gruppenkategorien.

Die Großschreibung der ersten und zweiten Person Singular und Plural meint zunächst Formen personaler Identität, während sich die dritte Person Singular und Plural kleingeschrieben nicht auf Identitäten, sondern auf Dinge bezieht. Auch über Menschen reden wir in der dritten Person, als wären sie Dinge. In der ersten und zweiten Person hingegen sprechen wir die Menschen (und uns) und überhaupt alles Leben, zu dem wir Du sagen, als Personen an.

Aber die Großschreibung der ersten und zweiten Person Singular und Plural hat noch eine weitere Bedeutung. Die erste und zweite Person Singular (Ich/Du) meint auch die Transzendentalität der Selbst- (als Ich) und Fremdzuschreibung (als Du), mit der nicht exkludiert wird: jede und jeder, ohne Unterschied, wird in seiner Einzigartigkeit als Ich ausgesagt und als Du angesprochen, und in dieser Einzigartigkeit, die für jede und jeden gilt, die Ich sagen und als Du angesprochen werden, besteht die transzendentale Funktion der ersten und zweiten Person.

Davon unterscheidet sich die Großschreibung der ersten und zweiten Person Plural, die vor allem eine identitätspolitische Funktion haben. Mit den Personalpronomen Wir und Ihr wird immer exkludiert. Wir und Ihr exkludieren alle und alles, was nicht zum Wir gehört. Die Zuordnung zu einem Wir und die Entgegensetzung eines Ihr stiftet Identität.

Ich habe kurz mit dem Gedanken gespielt, ob ich diese Differenz zur Großschreibung der ersten und zweiten Person Singular vielleicht mit einem Sternchen kennzeichnen könnte, also Wir* und Ihr*. Aber das hätte die Gruppendifferenz von Wir ≠ Ihr auf die Genderproblematik verengt.

Die Kleinschreibung der ersten Person Singular meint das jeweils aktuelle ,ich‛, das sich in seiner Einzigkeit zum Ausdruck bringt, obwohl alle in ihrer Einzigkeit Ich sind. ,du‛ hingegen schreibe ich an der Stelle klein, wo ich, so angesprochen, in meiner Einzigkeit gerade nicht gemeint bin; also wenn ich nur als Teil einer Gruppe (Wir) gemeint bin. Die Kleinschreibung der ersten und zweiten Person Singular hat hier also eine andere Funktion als die Kleinschreibung der dritten Person Singular und Plural.

Die erste und zweite Person Plural (Wir/Ihr) schreibe ich immer groß, denn hier liegt immer nur eine Funktion vor: Wir und Ihr können nur exkludieren.

Hier noch einmal das Gedicht:

Ich = Du ...

... ist die Menschheit.
Nicht er/sie/es,
nicht Wir,
nicht Ihr,
nicht sie,
sondern Ich = Du.

er/sie/es ist kein Ich,
weil ich es sage, statt Du zu sagen.

Wer Ich sagt und Wir meint,
kann mich nicht meinen, wenn er du sagt,
weil Wir nicht Ich ist
und ich Wir nicht bin.

Zu uns sage ich nicht Du,
weil Wir nicht Ich ist.

Zu euch sage ich nicht Du,
weil Ihr Ihr zu mir sagt
und ich Ihr nicht bin.

Zu ihnen sage ich nicht Du,
Weil sie Wir sagen
und ich Ihr zu ihnen.

Nur zu Ich sage ich Du,
weil ich Du bin für den,
der Ich ist und Du zu mir sagt.

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