„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Donnerstag, 2. Mai 2019

Jason W. Moore/Raj Patel, Entwertung. Eine Geschichte der Welt in sieben billigen Dingen, Berlin 2018

1. Strategien der Entwertung
2. Entwertung und Mehrwert
3. Fußabdrücke

Bei fast allen billigen Dingen, die Moore/Patel in ihrem Buch aufzählen, handelt es sich um Allmenden, um lebenswichtige Ressourcen, die die Existenz des Menschen auf diesem Planeten ermöglichen: um Natur, Arbeitskraft, Fürsorge, Nahrung, Energie und, in gewisser Verdopplung zur Natur, um ‚Leben‘, womit im betreffenden Kapitel vor allem das Eigentum an sich selbst und die damit verbundene Würde gemeint ist (vgl. Moore/Patel 2018, S.239ff.). Nur eins fällt aus diesen Dingen heraus: das Geld, das Moore/Patel in Form billiger Kredite ebenfalls zu den billigen Dingen zählen. Dabei entgeht dem Autorenpaar allerdings, daß es sich beim Geld keineswegs um eine Ressource handelt, die man durch Verbilligung entwerten kann. Tatsächlich bildet das Geld, nämlich als Kapital, den Kern der umfassenden Entwertung alles dessen, was das Leben und unsere Menschlichkeit ausmacht.

Zwar weisen Moore/Patel durchaus auf die Differenz des Kapitals hin, die aus Geld mehr macht als bloß ein Zahlungsmittel:
„Geld ist nicht gleich Kapital. Journalisten reden gern von Kapital, obwohl sie Geld meinen, oder, schlimmer noch, sie verstehen unter Kapital etwas, das in etwas anderes umgewandelt werden kann. Von ‚natürlichem Kapital‘ oder ‚sozialem Kapital‘ zu sprechen führt zu einer großen Begriffsverwirrung.() Nicht gefällte Bäume oder noch nicht genutzte Fähigkeiten sind kein Kapital.“ (Moore/Patel 2018, S.40)
Moore/Patel halten fest, daß erst die Zirkulation, die Verwandlung von Geld in Gütern und von Gütern in Geld aus Geld Kapital macht. (Vgl. Moore/Patel 2018, S.40) Aber zwei Momente werden bei diesem Verwandlungsprozeß nicht berücksichtigt: der damit verbundene Metamorphismus und der Mehrwert. Was den Mehrwert betrifft, ist er vor allem ein Betrug an der menschlichen Arbeitskraft, die nicht vollständig bezahlt wird. Der Arbeiter wird nur für einen Teil seiner Arbeit bezahlt, den Rest steckt der Kapitalist als ‚Mehrwert‘ ein. Dieses Prinzip der ‚billigen Arbeit‘ wird auch auf all die anderen billigen Dinge angewandt. Der Kapitalismus ist nur profitabel, weil er auf Ressourcen zurückgreift, für deren Kosten er nicht aufkommen muß. Das ist das ganze Geheimnis des Mehrwerts.

Das Problem mit dem Geld reicht aber noch tiefer. Es fungiert als Wertspeicher, der den Wert der bezahlten Ware in sich aufnimmt und bewahrt. In ökonomischer Hinsicht bedeutet das, daß die Ware nur Tauschwert hat. Ihr Gebrauchswert ist gleich null. Sobald sie bezahlt worden ist, hat sie keinen Wert mehr. Man kennt das vom Wertverlust, dem neue Autos auf geheimnisvolle Weise unterliegen: kaum gekauft, sinkt ihr Wiederverkaufswert. Ihr Wert überträgt sich auf das Geld, das wir für sie ausgegeben haben. Das Geld ist wie ein Vampir: es saugt den Wert der Dinge auf wie Vampire das Blut von Menschen. Deshalb müssen ständig neue Dinge gekauft werden, denn nur im Kaufakt haben sie Wert. Sobald sie gekauft wurden, sind sie Müll. Das nennt man dann Konsum. Wir ‚verzehren‘ nicht etwa die Dinge selbst, was einen wirklichen Stoffwechsel beinhalten würde, sondern wir vernichten ihren Wert.

Damit kommen wir nun zum Problem der Zirkulation. Auch Geld bewirkt Transformationen, wie der Stoffwechsel. Es verwandelt Stoffe, nämlich Rohstoffe, in andere Stoffe um, nämlich in Gebrauchsgüter. Diese Gebrauchsgüter haben aber nur als Waren einen Wert, nämlich Tauschwert. An dieser Stelle wird also der Stoffwechselprozeß unterbrochen. Anstatt im Gebrauch der produzierten Güter zur Ruhe zu kommen, was das Ziel eines echten Stoffwechselprozesses wäre, muß das Geld immer weiter Güter produzieren; denn es geht nicht um die Güter, sondern um die Vermehrung des Geldes selbst, um Zins und Zinseszins.

Moore/Patel haben das nicht verstanden, wenn sie das billige Geld auf eine Stufe mit den anderen sechs billigen Dingen stellen. Das zeigt sich z.B. darin, daß sie Geld bloß als ein „Medium“ bezeichnen, „mit dem der Kapitalismus operiert“. (Vgl. Moore/Patel 2018, S.38) Geld ist durchaus ein Medium, aber eben keins, ‚mit dem‘ der Kapitalismus ‚operiert‘! Es ist für den Kapitalismus das, was für den Fisch das Wasser ist. Ohne Wasser kein Fisch, ohne Geld kein Kapitalismus. Alle die anderen billigen Dinge, die Moore/Patel aufzählen, sind notwendig für den Kapitalismus, aber sie bilden nicht sein Medium. Die Fürsorge ist nicht der Kapitalismus, so wenig wie Natur, Nahrung, Energie etc. der Kapitalismus sind! Das Geld aber, nämlich das nominalistische Geld, ist der Kaptalismus. Er operiert nicht einfach nur mit ihm, wie er mit den billigen Ressourcen operiert.

Deshalb gehen auch Moore/Patels Analysen zur Gender-Problematik am Kern des Problems vorbei. Es ist irgendwie niedlich, wenn das Autorenpaar die Einführung des Pflugs in die Landwirtschaft für die Ungleichheit der Geschlechter verantwortlich macht. (Vgl. Moore/Patel 2018, S.156f.) Der Pflug ist ein Moment in der menschlichen Kulturgeschichte, wie viele andere Momente, unter denen man neben dem Pflug sicher weitere ‚Schlüsselfaktoren‘ für die Entwertung der Frauen ausmachen kann. Aber was den Kapitalismus betrifft, kratzt der Hinweis auf den Pflug lediglich an der Oberfläche.

Das gilt übrigens auch für die Genderproblematik selbst. Denn wenn wir von ‚Gender‘ reden, blenden wir für gewöhnlich das Begehren aus, das ihm innewohnt. Sicherlich gehört die Grenzziehung zwischen Mann und Frau zu den Verbilligungsstrategien des ökologischen Kapitalismusses. Aber der eigentlich Eingriff richtet sich nicht auf die Manipulation von Geschlechterdifferenzen, sondern auf die Natur unseres Begehrens. Christina von Braun beschreibt diese Transformation in ihrem Buch „Der Preis des Geldes“ (2012). Das nominalistische Geld usurpiert insbesondere die männliche Fruchtbarkeit, indem es den Mann kastriert. Es nimmt seine Fruchtbarkeit vollständig in den Dienst der Geldvermehrung, von Zins und Zinseszins, die an die Stelle von Kind und Kindeskind treten. Im Finanzkapitalismus erreicht diese Entkörperlichung ihren Höhepunkt, wo sich das Geld durch sich selbst vermehrt und nicht mehr auf die Güterproduktion angewiesen ist.

Die weibliche Fruchtbarkeit, ihre biologische Reproduktionsfähigkeit, wird ebenfalls usurpiert. An ihre Stelle treten Reproduktionstechnologien, die darauf abzielen, das Leben technologisch zu manipulieren und möglicherweise sogar zu produzieren. Das Vorbild für diese Reproduktionstechnologien liegt in der Selbstproduktion des Geldes.

Letztlich ist das nominalistische Geld der Stein der Weisen, den die Alchimisten einst gesucht hatten. Es ist das Geld, das alles in alles verwandelt und aus Nichts heraus Werte schafft. Diese Werte sind aber nichtig, Unwerte, vernichtete Werte. Im nominalistischen Geld gibt es keine Grenze der Wertvernichtung, was auch darin zum Ausdruck kommt, daß es keine Obergrenze für Schulden gibt. Darauf basiert die Vorstellung von der Notwendigkeit eines unendlichen Wirtschaftswachstums.

Wollen wir uns davon freimachen, müssen wir uns wieder der Natur unseres Begehrens zuwenden. Wir müssen den Schleier des Geldes lüften und unsere eigentlichen Bedürfnisse neu entdecken. Bis zu dieser Einsicht aber dringen Moore/Patels Analysen nicht vor.

Download

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen