„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Mittwoch, 1. August 2018

Begriffe statt Recherchen

An meiner letzten Rezension zu Adam Alter (01.07.-06.07.2018) kritisierte eine befreundete Bloggerin unter anderem eine Stelle zu heroinsüchtigen Vietnamveteranen, die ihr unglaubwürdig vorkam. Sie bat mich, da nochmal nachzurecherchieren. Mit dieser Bitte traf die Bloggerin einen Schwachpunkt meines gesamten Blogs. Die inzwischen insgesamt 927 Blogposts bestehen in ihrer überwiegenden Mehrzahl aus Rezensionen. Und nie habe ich in diesen Rezensionen die Quellen der besprochenen Bücher nachgeprüft.

Das ist zunächst einer Notlage geschuldet, in der wir uns alle befinden, wenn wir uns mit ‚Informationen‘ auseinandersetzen, die aus zweiter Hand sind, was bei Sachbüchern eigentlich immer der Fall ist. Informationen aus zweiter Hand haben immer ein Glaubwürdigkeitsproblem und müßten deshalb solange unter Vorbehalt zur Kenntnis genommen werden, wie sie nicht durch eigenen Augenschein bestätigt worden sind. Allerdings gibt es da unterschiedliche Plausibilitätsgrade. Im Vergleich zu anderen Medien haben Bücher einen entscheidenden Vorteil: Welche andere Quelle läßt eine vergleichbar gründliche Auseinandersetzung mit dem Standpunkt eines Menschen zu? Anders als beim direkten Gespräch, das oft genug unter Zeitdruck steht, hat man hier Zeit und Muße, sich mit den Argumenten des Autors in aller Ruhe auseinanderzusetzen. Und anhand der Systematik der Argumentation und mit Hilfe der vom Autor aufgeführten Quellen ist ein Urteil über dessen Redlichkeit allemal besser fundiert, als alles, was Fernsehen oder Internet zu bieten haben.

Trotzdem stellt sich die Frage nach dem sachlichen Gehalt meiner Rezensionen, um so mehr als ich den Blog in den nächsten zwei Jahren nach und nach ausklingen lassen und beenden will. Eine zumindest vorläufige Rechtfertigung dessen, was ich hier die letzten acht Jahre so gemacht habe, scheint mir angebracht zu sein.

Ursprünglich hatte ich mit diesem Blog die Erwartung verbunden, daß er ein Diskussionsforum zu meinen Texten bildet. Das hat sich nicht erfüllt. Die Leute sind anscheinend damit zufrieden, zu kommen und zu gehen und die Texte, so weit sie sie zur Kenntnis nehmen, so zu nehmen, wie sie sind. Aber was ist eigentlich der objektive Gehalt dieser Texte? Ich lese Bücher und rezensiere sie und vertraue zunächstmal den Quellen, auf die sich die Autoren beziehen. Das ist ein Problem der Zeitökonomie. Eigene Recherchen wären so aufwendig, daß ich kaum noch dazu käme, Bücher zu anderen Themen zu lesen. Eigentlich dürfte ich dabei nicht stehen bleiben, denn auch die Quellen selbst bieten ja zumeist nur Informationen aus zweiter Hand, so daß ich strenggenommen auch deren Quellenlage wieder prüfen müßte. Meine Interessen sind aber so weit gestreut, daß ich beim längeren Verharren bei einem Thema leicht ungeduldig werde. Jetzt, zum absehbaren Ende des Blogs, kommt hinzu, daß ich eigentlich weniger vorm Monitor hocken will; Recherchen aber würden mich dazu zwingen, noch mehr durchs Internet zu surfen. Die nächste Bibliothek ist weit weg, und außerdem bin ich berufstätig.

Ich beurteile Bücher vor allem nach ihrer Systematik. Es stehen also die Begriffe im Zentrum. Wenn die Autoren bei den Begriffen unsauber arbeiten, ist auch alles Fachwissen, das sie einbringen, nichts mehr wert. Ich beurteile also nie das Fachwissen – es sei denn ich kann auf eigenes Fachwissen zurückgreifen –, sondern immer nur die Begriffe und die Methoden.

Christina von Braun hat mal mir gegenüber ihre Anerkennung für die „Genauigkeit“ meiner „Lektüre“ zum Ausdruck gebracht. Genau darin liegt mein Ehrgeiz.

Das weitgehend fehlende Fachwissen – ich trete immer als Laie auf – ist vor allem bei den Sachbüchern problematisch. Bei rein philosophischen Texten kommt es eigentlich nie auf das Fachwissen, sondern nur auf die Begriffe an. Wenn ich also philosophische Bücher rezensiere, bin ich ganz in meinem Element. Hier kann ich nach Herzenslust rumkritisieren. Ein paar Orientierungsmarken wie Humanismus und Verstandesautonomie reichen, um mit jedem Philosophen auf Augenhöhe zu sein.

Ich kann Leserinnen und Lesern meines Blogs also nur empfehlen, daß sie sich meinen Texten gegenüber genauso verhalten wie bei überhaupt allen Texten, die sie lesen: nicht zu versuchen, am Ende der Lektüre das Gelesene als ein Inventar von Fakten dem eigenen meist eher unzuverlässigen Gedächtnis einzuverleiben, sondern stets, auch dem eigenen naiven Weltglauben gegenüber, dafür offen zu bleiben, daß alles – wenn vielleicht auch nicht ganz, so doch irgendwie – anders sein könnte.

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2 Kommentare:

  1. Ihr blog ist exzellent und Ihre fachlich-kritische Haltung erfreulich. Ich lese gerne Ihre Rezensionen! Die Quellen der von Ihnen besprochenen Bücher zu prüfen wäre eine feine Sache, kann aber leider nicht von uns Lesern erwartet werden – wir denken aber mit! Ich hoffe Sie machen noch lange weiter. Und was ich schon lange mal sagen wollte: Herzlichen Dank!

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