„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Sonntag, 14. Juli 2013

Marcus Knaup, Leib und Seele oder mind and brain? Zu einem Paradigmenwechsel im Menschenbild der Moderne, Freiburg/ München 2012

1. Neurowissenschaften und Philosophie
2. Embryonale Leiblichkeit
3. Das Mensch-Welt-Verhältnis
4. Supervenienz und Epiphänomenalismus
5. Plastizität und Korrelation
6. Damasios Monismus

Es ist selten genug, wenn man einem Neurobiologen begegnet, der das subjektive Erleben des Menschen in seinen Studien ernstnimmt und in seiner organischen und kulturellen Ganzheit zu verstehen versucht, anstatt es auf seine neurologischen Schaltkreise zu reduzieren. So wird auch Antonio Damasio immer wieder zum Kronzeugen einer nicht-reduktiven Perspektive auf das Gehirn. Auch Marcus Knaup hebt Damasios Bedeutung für ein entsprechend ganzheitlich angelegtes Forschungsprogramm hervor: „Damasio kommt auch nicht auf die Idee, sich in diesem oder jenem Hirnareal auf die Jagd nach bewussten Lebensäußerungen zu machen. Bewusstsein sei ja schließlich keine Eigenschaft von Gehirnen. ... Die herausragende Rolle schreibt Damasio der Leiblichkeit zu. Dass wir unseren Leib erleben, wie wir im letzten Kapitel gesagt haben, wird von Damasio ernst genommen.“ (Knaup 2012, S.410)

So verführerisch es ist, Damasio für einen nicht-reduktiven Hylemorphismus in Anspruch zu nehmen, so kann man dennoch nicht einfach über seine Nähe zu den von Knaup beschriebenen verschiedenen Versionen monistischer Theorieansätze hinwegsehen. Knaup selbst verweist ausführlich auf Damasios Vorliebe für Spinozas Substanzmonismus. (Vgl. Knaup 2012, S.122f.) Letztlich bleibt Knaup auch eine nähere Erläuterung dazu schuldig, inwiefern der Hylemorphismus eine Alternative zu substanzdualistischen Ansätzen wie dem Kartesianismus und zu den reduktionistischen Ansätzen idealistischer und materialistischer Prägung darstellt, dabei aber selbst kein Monismus sein soll. Denn Form (morphê) und Stoff (hylê) bilden ja eine untrennbare, nur begrifflich unterscheidbare Einheit. (Vgl. Knaup 2012, S.246)

Wenn es um eine echte, nicht-metaphysische Alternative zum Physikalismus und Naturalismus geht, sollte man sich meiner Ansicht nach nicht dazu verleiten lassen, sich pauschal gegen jede Form des Monismus zu wenden. Konsequent diesseitige Menschlichkeit kann ohne jeden Jenseitsbezug auskommen. Oder anders: auch der Jenseitsbezug läßt sich innerhalb unserer leiblichen Diesseitigkeit ausdifferenzieren, etwa im Sinne der Plessnerschen Doppelaspektivität: einem Perspektivendualismus auf der Grenze von Innen und Außen. Dieser Perspektivendualismus beinhaltet beides: einen materiellen Monismus und eine geistige und seelische Differenz.

Wichtig ist dabei vor allem, nicht der Versuchung zu erliegen, diesen Perspektivendualismus auf eine einheitliche, formelhafte Begrifflichkeit zu bringen. Wenn wir nicht mehr begrifflich zwischen Leib und Seele bzw. Geist unterscheiden, verschwindet auch die Differenz und spielt dann auch in unserem Erleben und Handeln keine Rolle mehr. Das Miteinander der Menschen wird nur noch durch ihre Maschinenebenbildlichkeit geprägt.

Genau diesen Kategorienfehler macht Damasio in seinem neuesten Buch „Self Comes to Mind“ (2010). (Vgl. auch meinen Post vom 15.08.2012) Er verzichtet bewußt darauf, die Innenperspektive, also das subjektive Erleben, in anderen als physiologischen Begriffen zu beschreiben und setzt den biologischen Wert mit moralischen Kriterien und kulturellen Präferenzen gleich. Insofern bleibt auch ihm der Vorwurf eines reduktiven Physikalismus nicht erspart.

Aber zu diesem Reduktionismus gehört eben nicht sein Konzept vom Selbst als einem Prozeß, der zu den biologischen, von ihm als Geistprozeß beschriebenen Prozessen hinzukommt. Damasio ist eben kein reduktiver Supervenienztheoretiker wie die von Knaup beschriebenen Neurowissenschaftler, die ihren Ansatz zwar auch als nicht-reduktionistisch verstehen, dabei aber dennoch die zur Neurophysiologie hinzukommende geistige bzw. seelische Ebene als einseitig durch die Neurophysiologie bedingt darstellen. (Vgl. Knaup 2012, S.191f.)

Ob ein Supervenienztheoretiker einen reduktiven Ansatz verfolgt oder nicht, entscheidet sich vor allem an der Frage, ob der hinzukommenden geistigen bzw. seelischen Ebene gegenüber der neurophysiologischen Ebene ein eigener Bewegungsraum zugestanden wird, etwa als exzentrische Positionalität (Plessner). Bildet also die Bewußtseinsebene einen eigenen an Sinn und Wahrheit orientierten Bewegungsraum (vgl. Knaup 2012, S.181) oder ist sie in jedem einzelnen, isolierten Erlebnisakt durch die Ebene physiologischer Prozesse bedingt?

Damasio tritt eben genau für diese Bewegungsfreiheit des erweiterten Bewußtseins ein, wie ich es auch mit einem Sphärenmodell versucht habe zu veranschaulichen. (Vgl. meinen Post vom 19.08.2012) Das Sphärenmodell stellt in seinen verschiedenen Ebenen nichts anderes dar, als verschiedene Bewußtseinsstufen, die Schicht für Schicht zur gesamtkörperlichen Physiologie hinzukommen und dabei miteinander wechselwirken. Es handelt sich also bei den einzelnen Sphären nicht um Epiphänomene.

Damasio findet für dieses Bewußtseinsmodell das schöne Bild des unsichtbaren Dirigenten, der zu einer Orchesteraufführung ‚hinzukommt‘ und von dem man nicht weiß, wo er vorher gewesen ist und wo er nachher sein wird, ohne den aber das ganze Spektakel keine Symphonie ergeben würde.

Entscheidend ist also, daß die einzelnen Sphären ihre eigenen Bewegungsspielräume haben und dennoch miteinander wechselwirken. Dabei sind aber die ‚höheren‘ Sphären einseitig in den ‚niederen‘ Sphären fundiert. Wenn erweiterte Bewußtseinsfunktionen ausfallen, können die ‚darunter‘ liegenden physiologischen Funktionen dennoch weiter aufrechterhalten werden. Dasselbe gilt umgekehrt nicht. Wenn die biologischen Funktionen ausfallen, fällt auch das Bewußtsein aus. Das ist der Grund, warum wir es hier mit einem materialistischen Monismus zu tun haben. Von ihm aus führt kein Weg zu einer Metaphysik.

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