„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 12. Juli 2013

Marcus Knaup, Leib und Seele oder mind and brain? Zu einem Paradigmenwechsel im Menschenbild der Moderne, Freiburg/ München 2012

1. Neurowissenschaften und Philosophie
2. Embryonale Leiblichkeit
3. Das Mensch-Welt-Verhältnis
4. Supervenienz und Epiphänomenalismus
5. Plastizität und Korrelation
6. Damasios Monismus

‚Supervenienz‘ und ‚Epiphänomenalismus‘ sind zwei gleichermaßen seltsame Begriffsbildungen, die von der Bedeutung her auf dasselbe hinauslaufen, aber in einem unterschiedlichen Sinne gebraucht werden. Supervenienz als das ‚Hinzukommende‘ meint Bewußtseinsphänomene, die zu den neurophysiologischen Prozessen ‚hinzukommen‘. Sie machen deren Erlebnisqualität aus und sollen nicht auf diese Prozesse reduzierbar sein. (Vgl. Knaup 2012, S.191f.)

Es sind vor allem die nicht-reduktiven Physikalisten, die im Gegensatz zu den reduktiven Physikalisten und ihrem Epiphänomenalismus auf diesen Unterschied zwischen Bewußtseinsprozessen und neurophysiologischen Prozessen beharren. Da aber auch sie, wie die reduktiven Physikalisten, davon ausgehen, daß die Bewußtseinprozesse durch die neurophysiologischen Prozesse determiniert sind, ist eigentlich der Unterschied nur ein verbaler.

Man könnte aber auch Antonio Damasio als einen Supervenienztheoretiker bezeichnen. Schon der Titel seines letzten Buches, „Self Comes to Mind“ (2010), beinhaltet ja ein Hinzukommen des ‚Selbst‘ zum ‚Geist‘, wobei ‚Geist‘ bei ihm gleichbedeutend ist mit der gesamtorganischen Physiologie. (Vgl. meine Posts vom 15.08. bis zum 19.08.2012) Es ist  also nicht eigentlich das Bewußtsein, das zum Gehirn hinzukommt, sondern das Selbstbewußtsein, das zum Körperzellenbewußtsein hinzukommt; denn die Physiologie jeder Körperzelle beinhaltet Damasio zufolge ‚mind‘-Prozesse. Auf den Sonderfall einer Supervenienz, wie sie Damasio vertritt, werde ich nochmal im letzten Post eingehen.

Legt man also die Supervenienz darauf fest, daß zwar zu den neurophysiologischen Prozessen nicht reduzierbare Bewußtseinsqualitäten hinzukommen, diese aber jede für sich neurophysiologisch determiniert sind, so ist der Unterschied zum Epiphänomenalismus der reduktiven Physikalisten unerheblich. Das seltsame am Begriff des Epiphänomenalismus ist der kausale Zusammenhang, der angeblich zu den neurophysiologischen Prozessen besteht: Wie kann etwas kausal durch eine vorausgegangene Ursache bewirkt werden, selbst aber als Ursache für weitere Wirkungen nicht mehr in Betracht kommen? Das ist rein physikalisch gesehen unmöglich.

Wenn ich eine Billardkugel mit einem Queue anstoße, wird diese Kugel über den Tisch rollen und andere Kugeln anstoßen, die dann wiederum weitere Kugeln anstoßen. Keine der Kugeln, die in der Folge von der ersten Kugel angestoßen werden, wird einfach liegen bleiben und so tun, als wäre sie nicht angestoßen worden. Der erste Stoß durch den Queue war möglicherweise die Erstursache. Aber diese Erstursache ist kein bißchen gegenüber den von ihr bewirkten, nachfolgenden Ursachen in irgendeiner Weise qualitativ ausgezeichnet. Keine der in der Folge angestoßenen Kugeln bildet nur ein Epiphänomen!

Wie kann also das Bewußtsein bzw. wie können einzelne Bewußtseinsqualitäten, die von spezifischen neurophysiologischen Prozessen angestoßen werden, bloß Epiphänomene sein? Haben wir es hier vielleicht nur mit dem Klicken und Klacken beim Aufeinandertreffen von Queues und Billardkugeln zu tun, also mit das Geschehen auf dem Billardtisch begleitenden Geräuschen? Sind Epiphänomene vergleichbar mit Echos oder mit Schatten an der Wand? Auch Echos und Schatten sind eingebunden in eine komplexe physikalische Welt und haben ihre Kausalität. Sie verhallen oder verblassen nicht nur, sondern hinterlassen Spuren!

Es macht also keinen Sinn, Bewußtseinsqualitäten als bloße Epiphänomene zu beschreiben, wenn sie denn tatsächlich durch neurophysiologische Prozesse determiniert sind, also Momente eines gesetzmäßig verlaufenden Naturprozesses bilden sollen. Ursprünglich war mit dem Begriff des Epiphänomens auch etwas anderes gemeint: eben nicht ein determinierter, also kausal notwendig und deshalb gesetzmäßig verlaufender, selbst aber wirkungslos bleibender Prozeß, sondern eine zufällige, nicht notwendige Begleiterscheinung! Ein Epiphänomen kann nicht beides sein: einerseits determiniert, andererseits zufällig, also nicht-determiniert.

Das eigentliche Problem der Supervenienztheoretiker, die den reduktiven Physikalismus mit seinem Epiphänomenalismus nicht mitmachen wollen und die Nicht-Reduzierbarkeit von Bewußtseinsqualitäten behaupten, besteht darin, daß auch sie von einem strengen Determinismus ausgehen, der eine Zwei-Wege-Kausalität nicht vorsieht: „Läuft es auf eine Veränderung der mentalen Lebensäußerungen hinaus, dann muss hier auch eine Veränderung im physischen Bereich mitspielen. Die umgekehrte Wegrichtung gilt aber nicht.“ (Knaup 2012, S.192) – Wenn aber den Supervenienztheoretikern zufolge „unsere mentalen Lebensäußerungen voll und ganz von der subvenienten physischen Basis determiniert sind“ (vgl. Knaup 2012, S.194) und eine Rückwirkung der Bewußtseinskugel auf den anstoßenden Neuro-Queue mangels Masse nicht vorkommt, so haben wir es hier letztlich doch wieder nur mit folgenlos bleiben Epiphänomenen zu tun.

Diese Problematik mit der 1:1-Verursachung von Bewußtseinsqualitäten zeigt noch einmal in aller Deutlichkeit, daß ein für sich fortdauernder Bewußtseinsprozeß, in dem sich Motive und Gründe auf Willensakte und Handlungsentscheidungen auswirken, nicht in jedem einzelnen Akt determiniert sein kann! Wir müssen zwischen einer vertikalen und einer horizontalen Motivierung unterscheiden. Vertikal ‚motiviert‘ sind einzelne Bewußtseinsakte, denen ihre Inhalte aus dem lebendigen Gesamtorganismus zuwachsen. Das ist der Bereich der ‚Intuition‘. Horizontal motiviert sind umfassendere Bewußtseinsprozesse, in denen wir unsere Wahrnehmungen und Eingebungen analysieren, bewerten und einordnen.

Ich will an dieser Stelle nicht nochmal auf meine Differenzierung zwischen Bewußtem, Unterbewußtem und Unbewußtem eingehen. (Vgl. meinen Post vom 20.04.2012) Hier soll reichen, daß sich diese horizontalen, auf einer eigenen Ebene stattfindenden Klärungsprozesse selbstverständlich auch wieder auf die physiologische Ebene des Gesamtorganismus auswirken. Bewußtseinsakte haben also durchaus Wirkungen und bilden nicht einfach nur Epiphänomene, weder zufällige noch determinierte. Sie haben eine Wirksamkeit für sich, auf ihrer eigenen, von der physiologischen weitgehend unabhängigen Ebene, und sie haben eine Wirksamkeit auf die Physiologie.

Dieser Zusammenhang wird in Benjamin Libets Argumentation nicht berücksichtigt. Wenn Libet davon ausgeht, daß seine Experimente belegen, daß es die Möglichkeit eines „Veto“ gibt, daß wir also ein Zeitfenster von 150 Millisekunden haben, uns gegen die unterbewußt angebahnten Entscheidungsprozesse zu wenden (vgl. Knaup 2012, S.509), so ist diese Willensfreiheit im Grunde genau so unfrei wie ein durch und durch determinierter Entscheidungsprozeß, dem dieses Zeitfenster fehlt. Ein isolierter, punktueller Willensakt ist nur ein zufälliger Willkürakt. Zufälligkeit und Determination sind aber nur Zwillingsschwestern desselben Verhängniszusammenhangs: „Wie die Annahme eines starren Determinismus, so führt die einseitige Auffassung einer unbedingten menschlichen Freiheit auf die schiefe Bahn.“ (Knaup 2012, S.568)

Eine unbedingte menschliche Freiheit wäre nämlich gleichbedeutend mit Zufälligkeit und Willkür. Freiheit kann sinnvollerweise nur als ein Gesamtprozeß verstanden werden, in dem Ursachen und ihre Wirkungen mit Hilfe von Gründen und ihren Folgen in einen Sinnzusammenhang gebracht werden. Willensfreiheit bedarf also der Gedankenfreiheit, und die Gedankenfreiheit bedarf eines Bewegungsraumes, der weit über 150 Millisekunden hinausreicht.

Knaup zeigt das sehr schön am Beispiel des Schachspiels, mit dem ich diesen Post auch beenden will: „Es gibt strenge Regeln und Bedingungen, an denen sich die Kontrahenten orientieren müssen (besonders auch bei Turnierspielen), aber ‚unfrei‘ wird das Spiel dadurch nun wirklich ganz und gar nicht. Gerade diese Bedingungen sind es ... die einen Freiheitsraum auftun.“ (Knaup 2012, S.583) – „Menschliche Freiheit ist ein Zusammenspiel von Regeln (Bedingungen) und nicht vorgegebenen Spielzügen (Entscheidungen).()“ (Knaup 2012, S.584)

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