„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Mittwoch, 17. Januar 2024

Die AfD und der Nihilismus

Es ist natürlich zu einfach, die AfD mit dem Nihilismus gleichzusetzen. Natürlich ist alles etwas komplizierter.

Zunächst aber ist diese Partei ein guter Aufhänger dafür, um zu erklären, was Ludger Lütkehaus in „Nichts“ (1999) den Annihilismus nennt, im Unterschied zum Nihilismus. Die AfD ist auf Vernichtung aus (Annihilation), während das eigentliche Nichts nur der Gegensatz zum Sein ist und weder selbst als etwas Böses bewertbar ist, noch anderes als etwas bewertet, das vernichtet werden müßte. Das Nichts ist nicht gegen das Sein. Und das Sein ist auch nicht besser als das Nichts. Das Nichts ist einfach nur nichts.

Die AfD ist also auf Vernichtung aus, behaupte ich, und ist deshalb annihilistisch im Sinne von Lütkehaus. Nehmen wir die neueste Etappe in ihrer zunehmend Fahrt aufnehmenden Drift in den Faschismus: die ,Remigration‛, um die es in einem Geheimtreffen von Rechtsextremisten unter Beisein von AfD-Politikern ging. Schon der Gedanke einer Unterscheidung zwischen ,Deutschen‛, die nach Deutschland gehören, und ,Deutschen‛, die hier nicht hingehören und in ein phantasiertes ,Nichts‛ zurückwandern sollen, birgt ein solches annhihilistisches Potential, eine solche Vernichtungswut, daß allein dies schon den Annihilismus der AfD belegt.

Natürlich weisen Vertreterinnen und Vertreter der AfD diese ,Unterstellung‛ empört zurück, indem sie auf die Verfassungskomformität ihres Parteiprogramms verweisen. Das ist eine weitere Ebene, auf der sich der Annihilismus der AfD betätigt. Die Vernichtungswut dieser Partei richtet sich auch auf die Sprache, wie ja schon das Wort ,Remigration‛ belegt, das es jetzt zum Unwort des Jahres 2023 geschafft hat. Die AfD-Demagogen scheren sich einen Dreck darum, ob ihre Worte ihren Taten und umgekehrt ihre Taten ihren Worten entsprechen. Da ist keine Integrität, die für die ausgesprochenen, die niedergeschriebenen Wörter einstünde. Sie sind allesamt Wortverdreher und Lügner. Was sie sagen, hat Null-Bedeutung. Was sie sagen ist nichtig. Nicht einfach nur nichtig im Sinne des unschuldigen Nichts, sondern als eine Form der Vernichtung von Sprache und Kommunikation. Ihr Parteiprogramm? Es taugt nicht mal mehr als Lachnummer.

Deshalb also ist die AfD annihilistisch. Wer sie wählt, wählt die Vernichtung und wird vermutlich selbst zu einem ihrer Opfer.

So einfach zunächst. Aber dann eben doch etwas komplizierter. Wenn Lütkehaus vom Annihilismus spricht, denkt er weit zurück. Er denkt zurück bis zur Erschaffung der Welt durch einen Gott, der diese aus dem Nichts heraus erschafft und dann wegen eines konstruierten Sündenfalls seinen Ebenbildern, den Menschen, die Unsterblichkeit, die ihnen zugleich mit ihrer Erschaffung zueigen war, wieder nimmt. Unter dem Vorwand der Erbsünde hat er sie dem Tod ausgeliefert, der Vernichtung. Sie wurden sozusagen mit dem Nichts geimpft. Sie sind zwar, aber sie sind zugleich auch nicht. Seiend sind sie nichtig. Das ihnen von ihrem Gott geschenkte Sein ist, so Lütkehaus, als ein Nicht-Nichts zu kennzeichnen.

Der Nichtigkeit des Menschen stand das ewige Sein Gottes gegenüber. Auf Seiten des Menschen stand nur der Fortpflanzungsersatz: in seinen Kindern weiterzuleben. Oder auch in seinen Werken weiterzuleben. Oder zuletzt: möglicherweise nach dem Tod weiterzuleben, wenn man sich denn darauf verlassen wollte, daß es diesen ewig seienden Gott auch gibt und der einen nach dem Tod nicht einfach fallen läßt.

Was das Diesseits betrifft, wissen wir ja, worauf alles hinausläuft. Auf Fortpflanzung und auf Schaffensfreude. Neues Sein, neue Dinge in die Welt zu bringen, war für den nichtigen Menschen zur einzigen Sinnerfüllung geworden, vom Verbot der Abtreibung bis hin zur fortgesetzten Steigerung von Wohlstand und unbegrenztem Wirtschaftswachstum.

Wohin das alles letztlich führen mußte, wissen wir heute. Wir leben auf einem begrenzten Planeten mit nahezu vollständig vernichteten Ressourcen und grassierendem Artenschwund. Diese pathologische Fixierung auf das (menschlich-übermenschliche) Sein war vor allem Sache des christlichen Abendlands, während fernöstliche Weisheitslehren nicht vergessen hatten, woher wir kommen und wohin wir gehen, nämlich aus dem Nichts und in das Nichts. Allerdings gibt es da auch diese Wiedergeburtslehren, wie man sie u.a. aus dem Hinduismus kennt, deren wiederum pathologische Fixierung aufs Sein in Form des Kastenunwesens ebenfalls annihilistisch ist.

Mit anderen Worten: Der westliche Kapitalismus mit seiner Technologieorientierung, unsere ach so fortschrittliche Lebensführung, ist gleichbedeutend mit Vernichtung, mit der Vergiftung von Böden und Wasser, mit dem Anhäufen von Müllbergen, mit der Verwüstung des Planeten.

Täuschen wir uns also nicht: die AfD ist Fleisch von unserem Fleische.

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