„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 27. Februar 2021

Sprache und Identitätspolitik (Gender)

Die feministische Kritik am Phallogozentrismus der deutschen Sprache hat eigentlich weniger etwas mit der deutschen Sprache als Lexikon (bezüglich bestimmter ‚diskriminierender‘ Wörter) und als Grammatik (bezüglich des generischen Maskulinums) zu tun und ist eigentlich weniger eine Kritik der deutschen Sprache als vielmehr eine Kritik des Gebrauchs der deutschen Sprache; oder genauer: eine Kritik des Bewußtseins beim Gebrauch der deutschen Sprache. Wenn wir z.B. die Wörter ‚Mann‘ und ‚Mensch‘ nehmen, so sind sie nur dann diskriminierend in dem Sinne, daß die Frau in dem Begriff des Menschen nicht mitgedacht sei; weil ‚wir‘, also wir ‚Männer‘, eben beim Gebrauch der Wörter ‚Mann‘ und ‚Mensch‘ so denken.

Die Gleichsetzung von ‚Mann‘ und ‚Mensch‘, die tatsächlich eine gemeinsame etymologische Herkunft haben, ist in erster Linie einem falschen Bewußtsein zu verdanken. Nehmen wir zunächst das Wort ‚Frau‘. ‚Frau‘ ist etymologisch mit ‚Fürst‘ verwandt. Auch das englische ‚first‘ gehört in diese Bedeutungslinie, so daß ‚Frau‘ also so viel wie ‚die Erste‘ meint. Wir können hier also der deutschen Sprache attestieren, daß sie wesentlich ‚fortschrittlicher‘ ist als der Schöpfungsbericht der Bibel, wo die Frau nur als zweite in dieser Welt erscheint, herausgeschnitten aus der Rippe Adams. Das Wort ‚Frau‘ stellt klar: bevor der Mann war, hatte es eine Frau gegeben, die ihn zur Welt gebracht hatte.

So könnte man denken. Man kann sich aber auch ganz einfach darauf einigen, daß die ‚Frau‘ in einem soziologischen Sinne uns allen, als Gesellschaft, voranschreitet, als Fürstin, die uns den Weg weist. Und dann würde ich dafür plädieren, dies nicht als geschlechtsbedingte Eigenschaft zu verstehen, sondern als ein anthropologisches Merkmal, das allen Menschen gemeinsam ist: alle Menschen sind gleichermaßen Handlungssubjekte und verändern als solche die Welt.

Nehmen wir nochmal den ‚Mann‘. Der ‚Mann‘ ist nicht einfach der ‚Mensch‘, weil dieser Begriff für ein bestimmtes Geschlecht reserviert ist. Das Wort ‚Mensch‘ ist mit dem lateinischen ‚mens‘ verwandt und bedeutet nichts anderes als ‚Bewußtsein‘. Der Mensch ist also das mit Bewußtsein, oder spezifischer: mit Selbst-Bewußtsein begabte Lebewesen. Auch das ist ein anthropologisches Kriterium und gilt selbstverständlich für alle Geschlechter, von wie vielen wir hier auch immer aus gehen wollen.

Letztlich bedeuten also Mann und Frau dasselbe. Menschen sind mit Bewußtsein begabte Lebewesen, also Handlungssubjekte. So zu denken und sie so zu verwenden, entspricht ihrem Wortsinn.

Schon länger beunruhigt mich das Gefühl, daß da jemand (oder ‚jemande‘ oder auch einfach ‚welche‘) versucht, mein Sprechen und Schreiben zu zensieren. Ich habe schon die letzte Rechtschreibreform nicht mitgemacht. Warum sollte ich jetzt also plötzlich anfangen zu gendern? Dann habe ich vor ein paar Tagen ein altes Buch aus meinem Bücherregal herausgekramt, das dort schon einige Jahrzehnte vor sich hin schlummerte: „Das Deutsche als Männersprache“ (1984) von Luise F. Pusch. Und ich war angetan!

Ich habe zum ersten Mal den Eindruck gewonnen, daß dieses feministische Anliegen sich zumindestens teilweise mit meiner eigenen Sprachphilosophie deckt. Dabei geht es vor allem um die Unterscheidung zwischen einer Referentialsemantik, also dem Verhältnis von Meinen und Sagen, und einer funktional-strukturellen bzw. differentiellen Semantik.

Ich habe mich schon immer gegen die strukturelle Auffassung gewandt, die Sprache würde Bedeutung durch eine Binnendifferenzierung von Sprachzeichen generieren. Eine solche Binnendifferenzierung läuft immer auf eine binäre, also dualistische Weltanschauung hinaus: Tag/Nacht, Mann/Frau, gut/böse, in/out etc. Diese binäre Differenzierung, ein Mann ist keine Frau, eine Frau ist kein Mann, A ist ungleich B, generiert zwar auch Bedeutungen; diese sind aber ethisch problematisch, weil sie mit der Wirklichkeit, die niemals binär, sondern immer komplex ist, nichts zu tun haben. Letztlich generieren sie ideologische Systeme.

Stattdessen lege ich Wert darauf, daß das eigentlich sprachliche Fundament in der Referenz liegt, also im Verweis auf einen natürlichen oder gedanklichen Gegenstand. Der bedeutungsstiftende Bezug ist also außersprachlich, und die binnensprachliche Differenzierung von Sprachzeichen kommt erst im nachhinein zu diesem außersprachlichen Bezug hinzu.

Luise F. Pusch hebt nun den referentialsemantischen Ansatz der feministischen Sprachkritik hervor. Es geht dabei vor allem um eine Ethik des Gemeintseins: Frauen befinden sich außerhalb der männlich dominierten Sprache. Sie werden allenfalls mit-gemeint; aber sie werden nicht gemeint, weil die Grammatik der deutschen Sprache und auch viele Wörter bzw. Lexeme um das männliche Geschlecht herum organisiert sind. Frauen erscheinen hier nur als Abweichungen von der grundlegenden männlichen Form. Sie werden in Form eines -in-Suffixes an die männliche Form angehängt.

Pusch geht deshalb sogar so weit, das weibliche -in-Suffix selbst als diskriminierend zu bezeichnen. Irgendwann hatte man, so Pusch, die deutschen Archilexeme, also die grundlegenden Bedeutungsträger der deutschen Sprache, die ursprünglich, so ihre These, geschlechtsneutral waren, maskuliniert. Gemeint sind hier vor allem Personen- und Funktionsbezeichnungen, die nun zunächst immer männlich konnotiert waren und zur Bestimmung weiblicher Funktionsträger, oder wenn wir einen Pleonasmus verwenden wollen: weiblicher Funktionsträgerinnen, eines eigenen angehängten Suffixes bedurften. Pusch verweist auf das Gotische, das noch nicht zwischen Männern und Frauen diskriminiert hatte.

Bei tierischen Archilexemen ist die Konzentration auf das Männliche nicht so ausgeprägt. Bei Nutztieren z.B. wird das nützlichere Geschlecht zum Archilexem: Huhn, statt Hahn; Ente, statt Enterich; Kuh, statt Stier; Ziege, statt Ziegenbock. Wenn es dann eines spezifischen Suffixes bedarf, um das Geschlecht zu bezeichnen, also -rich oder -bock, ist das beim männlichen Tier der Fall.

Wenn also der weibliche Suffix selbst schon diskriminiert, so wäre eine Sprachreform denkbar, die als Alternative auf die geschlechtsneutrale Form zurückgreift und alle Archilexeme von menschlichen Personen- und Funktionsbezeichungen versächlicht. Früher war das durchaus gängig, etwa wenn ‚Jungen‘ und Mädchen jeweils als ‚das Junge‘ bezeichnet wurden. Erst später konnte man dann nur noch ‚der Junge‘ sagen. Nach so einer Sprachreform hieße es dann ‚das Professor‘ oder ‚das Lehrer‘, und wenn eine Frau gemeint ist, heißt es ‚die Professor‘ und ‚die Lehrer‘ und bei einem Mann entsprechend ‚der Professor‘ oder ‚der Lehrer‘. Dann hätte man auch keine Probleme mehr mit der männlichen Konnotation von Eigenschaften wie ‚ärztlich‘ oder ‚künstlerisch‘, weil man dann eben nicht mehr automatisch an einen männlichen Arzt oder einen männlichen Künstler denkt.

Allerdings plädiert Pusch dennoch für eine Forcierung des -in-Suffixes, also mit dem üblichen Gendersternchen oder beim Sprechen mit der Pause an der Stelle, wo sonst das Sternchen eingefügt wird. Zwar habe man es hier, wie schon erwähnt, ursprünglich mit einer Diskriminierung der weiblichen Perspektive zu tun, weil frau, um sich gemeint fühlen zu können, in Form eines -in-Suffixes an ein männliches Archilexem angehängt werden muß. Aber auch in anderen Fällen seien diskriminierend gemeinte Bezeichnungen im nachhinein aufgewertet worden, z.B. ‚Proletarier‘ oder ‚Schwule‘ und ‚Lesben‘.

Letztlich geht es bei aller feministischen Sprachkritik vor allem um eine Kritik des Bewußtseins, und weniger um eine Kritik der Sprache. Denn die „Fehlidentifikation“ von diskriminierten Menschengruppen, also ihr schlichtes Nicht-Gemeintsein, ist vor allem ein sich nicht gemeint Fühlen, also eine Frage des Bewußtseins. Und insofern eben auch ein Problem von Männern, da sie ja gerne immer nur sich selbst meinen.

Insofern die feministische Sprachkritik referentialsemantisch orientiert ist, ist es kein Wunder, daß sich daraus in der gesellschaftlichen Praxis, in der Öffentlichkeit, eine Identitätspolitik ergibt. In ihrer radikalen Konsequenz führt das zu einer „cancel-culture“, die nicht nur das aktuelle Sprechen und Schreiben, sondern auch das vergangene Sprechen und Schreiben bis hin zu Philosophie und literarischen Werken einer Zensur unterwirft, so daß, was einmal geschrieben worden ist, heute nicht mehr gelesen oder auch nur neu aufgelegt werden darf, ohne daß in die Texte entsprechend der aktuellen politisch korrekten Ausdrucksweise korrigierend eingegriffen wird.

Unsere Vergangenheit nicht zu kennen, bedeutet, unsere Gegenwart und Zukunft nicht mehr bewerten zu können. Wo wir unsere Gegenwart nur noch von unserer Zukunft her bewerten, von dem her, was wir uns wünschen, werden wir blind für die Anteile in uns, die dieser Zukunft im Weg stehen; und blind für noch Schlimmeres.

Das Problem einer politischen Anwendung referentialsemantischer Einsichten besteht letztlich in der subjektiven Relevanz der Differenz zwischen Meinen und Sagen. Nur individuelle Subjekte können legitimerweise zwischen Meinen  und Sagen differenzieren. Diese Differenz ist durch keine Gruppe usurpierbar. Gruppen können sich immer nur auf Gesagtes beziehen, also auf die Struktur von Texten, und sie können niemals die subjektive Bedeutung des Gesagten beurteilen. Die Grundlage der Differenz zwischen Meinen und Sagen liegt in der prinzipiellen Nicht-Identität von Meinen und Sagen. Sprache lebt von der Ambiguität, von der sprachlichen Unschärfe, von Bedeutungshöfen. Wo Wörter auf eine einzige Bedeutung festgelegt werden, haben wir es nicht mehr mit Sprache zu tun, sondern mit Mathematik.

Insofern also eine Sprachkritik Identitätspolitik im Sinne von cancel culture betreibt, beendet sie die Kommunikation und schließt den Raum für Inter-Subjektivität. Wie auch immer ein Sprachreformprozeß aussehen mag: er wird sich notwendigerweise mit Hilfe von Sprechakten vollziehen. Und wer sprechen will, muß ambiguitätstolerant sein.

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