„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Dienstag, 5. Mai 2015

Maxwell R. Bennett/Peter M.S. Hacker, Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften, Darmstadt 3/2015 (2003)

(Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 585 Seiten mit einem Vorwort von Annemarie Gethmann-Siefert, brosch., 49,90 €)

1. Zusammenfassung
2. Fachsprachliche und nichtfachsprachliche Begriffe
3. Denken und Sprechen
4. Phänomenologie und Sprachanalytik
5. Bindungsproblem (Gestaltwahrnehmung)
6. Innen-Außen-Differenz als Kryptokartesianismus
7. Qualia, Seele und das Arrangieren von Dingen
8. Gibt es Willensakte?
9. sprachanalytischer Reduktionismus

Das „Verbalverhalten“ des Menschen bildet zwar  einerseits nur eine bestimmte Form seines Gesamtverhaltens – man kann Bennett/Hacker hier gewiß keinen Reduktionismus vorwerfen –, aber es bildet zugleich auch das Kriterium, das den Menschen vom Tier unterscheidet. Indem es zum ‚tierischen‘ Verhalten des Menschen gewissermaßen ‚hinzukommt‘, ermöglicht es ein über das auch den Tieren eigene Bewußtsein hinausgehendes, nur den Menschen auszeichnendes Selbstbewußtsein: „... sowohl Philosophen als auch Nichtphilosophen neigen dazu, das Selbstbewusstsein als Bewusstsein von einem Etwas auszulegen, das sie als ‚Selbst‘, ‚Ich‘ oder ‚Ego‘ bezeichnen. ... wie wir noch zeigen werden, ist das ‚Selbst‘ oder das ‚Ich‘ (so aufgefasst) eine auf Begriffskonfusionen zurückgehende Fiktion. Gewiss gibt es so etwas wie Selbstbewusstsein im philosophischen Sinne des Ausdrucks, dabei handelt es sich jedoch nicht um ein Bewusstsein von einem ‚Selbst‘, sondern um eine den Menschen allein auszeichnende Fähigkeit zu reflexivem Denken und Wissen, die mit dem Sprachbesitz steht und fällt.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.438)

Das letzte Zitat beinhaltet übrigens eine unbewußt-ironische Wendung, die sich gegen die von Bennett/Hacker vertretene Form der Sprachkritik richtet. Wenn nämlich „sowohl Philosophen als auch Nichtphilosophen“ dazu neigen, das ‚Selbst‘ als ein Etwas aufzufassen, so haben wir es hier doch wohl mit einem verbreiteten Sprachgebrauch, also mit einer „Standardverwendung“ von Worten zu tun. Und genau diese Standardverwendung ist es, die Bennett/Hacker angeblich ihrer Kritik zugrundelegen. Mit welchem Recht können sie dann also gerade diesen Sprachgebrauch kritisieren? Auf welches Wahrheitskriterium berufen sie sich hier?

Doch folgen wir weiter der Bennett/Hackerschen ‚Argumentation‘. Das Selbstbewußtsein, so Bennett/Hacker, resultiert als „Fähigkeit“, „darüber zu reflektieren, was man denkt oder fühlt“, aus der Fähigkeit, „zu sagen, was man denkt oder fühlt; folglich ist sie kein ‚Kunstgriff, mit dem die Natur aufwartete‘, sondern ein Begleitumstand des Besitzes einer entwickelten Sprache.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.118)

Mit dieser Qualifizierung von Selbstbewußtsein und Reflexionsfähigkeit als Begleitphänomenen der Sprache setzen Bennett/Hacker Denken und Sprechen gleich. Ein vorsprachliches Denken, etwa in Form eines bildhaften Denkens, das erst mühsam in die lineare Syntax des mündlichen Sprechens übertragen bzw. ‚übersetzt‘ werden muß, gibt es Bennett/Hacker zufolge nicht. Da stören sie auch gegenteilige Äußerungen von Einstein, Hadamard und Penrose nicht. (Bennett/Hacker 3/2015, S.466) Deren Verlautbarungen sind dann eben einfach nur Beispiele eines verworrenen Sprachgebrauchs.

Bennett/Hacker äußern sich eingehend zu der Vorstellung, man müsse ein inneres, bildhaft-vorsprachliches Denken erst mühsam in Worte ‚übersetzen‘. (Bennett/Hacker 3/2015, S.457ff.) Ihrer Ansicht nach handelt es sich bei der „Annahme, dass Sprache eine Übersetzung nichtsprachlichen Denkens ist“, um einen „fatalen Irrtum“. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.458) Sie argumentieren, daß diese Annahme impliziere, daß man seine „wortlose(n) Gedanken“ einer vergleichenden Prüfung unterziehen könne, so wie man zwei äußere Wahrnehmungsobjekte, etwa ein Portrait und die portraitierte Person, miteinander vergleichen könne. Nur dieser Vergleich könne einen dann in den Stand versetzen, festzustellen, ob man seine wortlosen Gedanken korrekt in gesprochene Sprache ‚übersetzt‘ habe.

Die Vorstellung eines Aspekt für Aspekt miteinander vergleichenden Vorgehens beim Übersetzen von wortlosen Gedanken in Sprache weisen Bennett/Hacker mit der rhetorischen Frage zurück, ob Gedanken überhaupt „Bestandteile“ haben, die man miteinander vergleichen könnte, und sie schließen ihre Überlegungen mit der Bemerkung ab, daß man „ebenso wenig ‚wortlose Gedanken‘ in Worte übersetzen“ könne, „wie man die Zimmermöbel in Worte übersetzen kann.()“ (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.463) – Der Übersetzer merkt hierzu übrigens an, daß es sich an dieser Stelle um ein Wortspiel handelt, weil im Englischen ‚translate‘ u.a. auch ‚verschieben‘ bedeutet. Bennett/Hacker vergleichen also Gedanken mit Möbelstücken.

Das ist in der Tat bezeichnend für das sprachanalytische Vorgehen. Bennett/Hacker kennen nur ‚Begriffe‘. Andere Wortbildungen ziehen sie nicht in Betracht, obwohl sie sie in ihre Rhetorik einbeziehen. Denn was ist das Gleichsetzen von Gedanken mit Möbelstücken anderes als eine Metapher? In diesem Fall steht diese Metapher für eine Gleichsetzung von Bedeutung mit Referentialität. Worte verweisen auf ihre Bedeutungen wie Wegweiser auf einen Ort verweisen. Wir haben es mit einer 1:1-Entsprechung von Begriffen und Bedeutungen zu tun: „Denn ein Gedanke ist genau das, was durch eine Äußerung oder eine andere symbolische Repräsentation bzw. Darstellung ausgedrückt werden kann.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.239)

Wie sehr Bennett/Hacker das Zeigen als die Grundform der Bedeutungsstiftung verstehen, ‚zeigt‘ sich z.B. bei ihrer Diskussion der subjektiven und objektiven Qualitäten von Farbwahrnehmungen. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.381ff.) Die subjektive Dimension der Farbwahrnehmung wird vollständig geleugnet, und zwar dadurch, daß Bennett/Hacker den einzig sinnvollen Gebrauch von Farbwörtern auf die Möglichkeit zurückführen, daß wir auf einen bestimmten Farbeindruck zeigen können, also etwa auf einen roten Farbfleck oder auf einen roten Apfel.

Wir müssen also Bennett/Hacker zufolge immer entweder auf einen Gegenstand oder auf ein bestimmtes Verhalten verweisen bzw. zeigen können, um Worten bzw. Begriffen eine Bedeutung verleihen zu können. Wären hingegen auch innere „Vorstellungsbilder“ bedeutungsstiftend, „wüssten wir nie, ob eine andere Person die Worte versteht, die wir gebrauchen, ohne sie zu fragen, welche Vorstellungsbilder sie beim Hören dieser Worte habe“. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.459) – Und selbst dann wenn wir nachfragen, können wir nie sicher sein, ob die Antwort zu einem endgültigen Verstehen führt; eine Vorstellung, die, wie Bennett/Hacker beteuern, „absurd“ wäre. (Vgl. ebenda)

Daß es so etwas wie eine Übersetzungsproblematik Bennett/Hacker zufolge nicht gibt, liegt also daran, daß sie von durch Zeigegesten sichergestellten 1:1-Entsprechungen von Begriffen und Bedeutungen bzw. Gedanken ausgehen. Damit fällt die ganze expressive Dimension von Sprache unter den Tisch. Darauf wird noch in den folgenden Posts zurückzukommen sein.

Letztlich reduzieren Bennett/Hacker das Denken auf eine bestimmte, engbegrenzte Form von Denken, die eigentlich eher ein Resultat des Denkens bildet als das Denken selbst: auf schlußfolgerndes Denken. Bennett-Hacker gestehen zu, daß es so etwas wie „heuristische Hilfsmittel“ des Denkens gibt, wie etwa Diagramme oder auf ein Blatt Papier hingekritzelte Skizzen. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.467) Das bedeute aber keineswegs, daß wir es hier mit einer Form des vorsprachlichen Denkens zu tun hätten: „Vorstellungsbilder können das Denken unterstützen, häufig sogar wesentlich – eine Beschreibung der Abfolge dieser Bilder, einschließlich der Bilder von Diagrammen und/oder algebraischen Symbolen, wäre jedoch weder eine Beschreibung des Denkens der Person (das als schnell, aufschlussreich und imponierend oder als langsam, schwerfällig und ineffektiv beschrieben werden kann) noch eine Darstellung dessen, was sie dachte. Und es gibt nichts dergleichen wie ein Übersetzen dieser Bilder in Sprache.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.467)

Weder Skizzen auf einem Blatt Papier noch innere Vorstellungsbilder können Bennett/Hacker zufolge sinnvoll als Denken bzw. als Ausdruck des Denkens bezeichnet werden. Diese Ehre können nur die Worte der gesprochenen Sprache für sich in Anspruch nehmen: „Die Worte, die wir beim Sprechen äußern, sind der Ausdruck unseres Denkens. Die Bilder, die wir während des Denkens heraufbeschwören, sind nicht der Ausdruck unseres Denkens, sondern sie unterstützen das Denken oder begleiten es.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.469)

Ich bin dagegen der Meinung daß die Apologeten des Sprachgebrauchs hier selbst wiedermal auf verworrene Weise die Dinge auf den Kopf stellen. Tatsächlich ist es ein abwegiger Sprachgebrauch, heuristisches Denken nicht als Denken bezeichnen zu wollen. Auf verworrene Weise stellen Bennett/Hacker das Endprodukt, das Resultat des Denkprozesses: die Schlußfolgerung, in der der Denkprozeß zu einem Ende kommt, als den eigentlichen Denkprozeß dar: „Man kann aufgrund der Evidenz e zu dem Schluss kommen, dass p, oder begreifen, dass c aus a und b folgt, ohne irgendetwas zu sich selbst zu sagen; notwendig ist allein, dass man von da an gewillt ist, unter sonst gleichen Bedingungen zu versichern, dass p aufgrund von e oder dass c aus dem Grund, dass a und b, oder willens ist zu handeln aus dem Grund, dass p, und in der Lage ist, die Tatsache, dass p, als den Grund für das eigene Handeln anzuführen.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.465)

Um zu diesen wunderbar gegliederten, der Reihe nach aufgeführten Schlußfolgerungen zu kommen, denen Bennett/Hacker als einzigen das Prädikat ‚Denken‘ zugestehen wollen, muß ich schon einen langen Denkprozeß hinter mich gebracht haben; und tatsächlich bin ich jetzt mit diesen Schlußfolgerungen mit meinem Denkprozeß zu einem Ende gekommen. Wo das Denken endet, kann man aber wohl kaum noch von einem Denken sprechen.

Wie man zu diesem Schluß gekommen ist – was ja das eigentliche Denken wäre –, interessiert Bennett/Hacker nicht; nur daß man es sagen kann, was sicher auch ein Denken ist, aber eben eine andere, nämlich sprachliche Form. Das vorsprachliche Denken besteht genau in dem, was Bennett/Hacker ein paar Sätze weiter so zum Ausdruck bringen: bevor man etwas auf Deutsch oder Englisch sagen kann, muß man „überhaupt erst einmal entscheiden ..., was man sagen will“. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.465) Es gibt also einen vorsprachlichen Denkprozeß vor dem Sprechen, um so mehr, als Denken, wie Bennett/Hacker selber hervorheben, nicht darin besteht, etwas zu sich selbst zu sagen.

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2 Kommentare:

  1. Ich gebe zu bedenken, dass sich das Denken in die Sprache verdichtet (sich auskristallisiert) und nicht in die Sprache übersetzt wird.

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  2. Das ist ein interessanter Gedanke. Allerdings paßt 'kristallisiert' besser, als 'verdichtet'. Letzteres beinhaltet die Annahme, daß die 'Essenz' des vorsprachlichen Denkens in der gegliederten Artikulation der gesprochenen Sprache vollständig enthalten sei.

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