„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Montag, 3. Februar 2014

Konventionen, Standards und Stile

In meinem Post vom 30.04.2012 hatte ich schon darauf hingewiesen, daß Kittler zwischen Standards und Stilen differenziert. Standards bezieht Kittler auf Technologien, insbesondere die Medien, deren Zweck, so Kittler, darin besteht, die menschlichen Sinnesorgane zu täuschen und zu ersetzen. Die Kinoleinwand oder wahlweise der Bildschirm bzw. Monitor stellt eine nach außen gestülpte Netzhaut dar, für die die vor HD und Super-HD üblichen 24 Bilder pro Sekunde einen ununterbrochenen Ereignisverlauf darstellten. Diese 24 Bilder stellten einen Standard dar, der, wie wir inzwischen wissen, durch High-Definition-Standards und 3-D-Projektionen übertroffen wird. Kurz gesagt: Standards übertreffen und verdrängen die menschliche Sinneswahrnehmung.

Stile hingegen sind Kittler zufolge eng mit der menschlichen Persönlichkeit verbunden. Kunstwerke kann man über ihren Stil einem bestimmten Künstler zuordnen. Stile stehen also für Individualität. – Das sagt übrigens alles über ‚Bildungsstandards‘! – Deshalb bilden Künste und Medien für Kittler unüberbrückbare Gegensätze, auch wenn das manche Medienkünstler durchaus anders sehen mögen.

Aus gegebenem Anlaß (Kommentare in Dharani – „Without Rhyme and Reason“) möchte ich dem Begriffspaar ‚Standards und Stile‘ einen weiteren Begriff hinzufügen: Konventionen. Konventionen möchte ich auf gesellschaftliche Praktiken beziehen, die der Perfektion des Menschen dienen. Natürlich beinhaltet der Begriff auch immer etwas Verstaubtes und Abgelebtes, im Sinne von ‚konventionell‘. Aber ich vermute, daß solchen ‚Konventionen‘ ursprünglich mal etwas Herausforderndes zugrundegelegen hatte.

Ich denke z.B. an bestimmte asiatische Zeremonien und an Techniken des Zen-Buddhismus, etwa die Teezeremonie oder das Blumenbinden, die Kalligraphie, und nicht zuletzt die verschiedenen Kampfkünste. Was mich an diesen fernöstlichen Traditionen immer so frappiert, ist der mit allen täglichen Verrichtungen verbundene Drang zur individuellen Perfektion.

Dieses Streben nach Perfektion wird von Konventionen unterstützt. Damit unterscheiden sich Konventionen von Standards dadurch, daß es hier nicht um die Perfektionierung von Technologien geht, sondern um die Perfektionierung von Menschen. Und von Stilen unterscheiden sich Konventionen, als es hier nicht um ‚Subjektivierung‘ geht, sondern um ‚Objektivierung‘, d.h. nicht darum, die eigene Person ins Zentrum zu stellen, sondern den Gegenstand und den Kontext.

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