„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 8. Februar 2014

Matthew B. Crawford, Ich schraube, also bin ich. Vom Glück, etwas zu schaffen, Berlin 2010

1. Trennung von Denken und Tun
2. Anthropologie
3. Einheit von Denken und Tun
4. Bildungssystem
5. Phänomenologie

Matthew B. Crawford führt in seinem Buch mit dem unschön verdeutschten Titel „Ich schraube, also bin ich“ (2010) die gegenwärtige gesellschaftliche Verfassung auf die Trennung von Denken und Tun zurück, wie sie von Frederick Winslow Taylor  (1856-1915) theoretisch durchdacht und von Henry Ford (1863-1947) in Form der Fließbandproduktion erstmals praktisch umgesetzt worden ist. (Vgl. Crawford 2010, S.47 und S.55ff.) Diese Trennung von Denken und Tun erinnert an die von Karl Marx beschriebene gesellschaftliche Arbeitsteilung, wie sie schon in den noch handwerklich organisierten, frühneuzeitlichen Manufakturen vorweggenommen wurde. Allerdings setzt Crawfords Trennung von Denken und Tun auf einer analytisch tieferen Ebene an als Marxens Arbeitsteilung. Wo Marx mit der berühmten Formel „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“ den arbeitsteiligen Produktionsprozeß ins Zentrum stellt und diesen damit aufwertet, verweist Crawford auf die noch grundlegendere Entwertung des Tuns selbst durch seine Trennung vom Denken: „... wo immer es gelungen ist, das Denken vom Tun zu trennen, hat diese Trennung zur Entwertung der Arbeit geführt.“ (Crawford 2010, S.55)

Indem Marx den Arbeitsprozeß zum eigentlichen Sein aufwertet, trennt er ihn zugleich vom Bewußtsein und setzt dieses so zum bloßen Schein herab. Durch Taylor und Ford wird dann aber die marxistische Bewertung von Bewußtsein und Sein, von Denken und Tun umgekehrt: das Denken wird als wissenschaftliches Prinzip, als Rationalitätsprinzip, das die Technologien der Arbeitsteilung überhaupt erst ermöglicht, aufgewertet, und das Tun, also die Produktion, wird automatisiert und seines humanen Potentials beraubt. Es ist nicht etwa einfach nur die Inbesitznahme der Produktionsmittel durch den Kapitalisten, die den eigentlichen Produzenten, den Arbeiter, als ‚Arbeitnehmer‘, vom sogenannten ‚Arbeitgeber‘ abhängig macht. Es ist vielmehr die Trennung zwischen einem Management, dem das Planen und Denken übertragen wird, und dem Produzenten, dem Arbeiter, der nur noch als ausführendes Organ bzw. Werkzeug wahrgenommen wird, die diesen Arbeiter seiner Souveränität beraubt: „Der Arbeitgeber sammelt also das verstreute handwerkliche Können und gibt es in Form detaillierter Instruktionen, die benötigt werden, um einen Teil dessen zu bewerkstelligen, was nun ein Arbeitsprozess ist, wieder an die Arbeiter weiter. ... Taylor verlangte, die Arbeiter sollten ‚von aller geistigen und Schreibarbeit befreit werden und nur für die Ausführung‘ sorgen, während ‚jegliche Leitungs- und Überlegungsarbeit‘ in einer Planungs- oder Entwurfsabteilung gebündelt werden solle.“ (Crawford 2010, S.57f.)


Überblickten die vorindustriellen Handwerker noch einen Arbeitsverlauf von Anfang bis Ende und legten sie in der Auseinandersetzung mit den widerspenstigen Materialien Erfindungsgeist und Geschicklichkeit an den Tag, wurden sowohl die Materialien (Holz, Leder, Metall etc.) wie auch die Handwerker mittels der neuen wissenschaftsbasierten Technologien ihrer Geschichte und ihrer Individualität beraubt und in rationalisierten Arbeitsprozessen ‚abstrahiert‘, d.h. einer zentralen Planung durch ein wissenschaftlich geschultes Management verfügbar gemacht. Als Henry Ford die Taylorschen Ideen in seinen Fabriken umsetzte, hatte er deshalb ein Problem: die Handwerker, die es gewohnt waren, sich im Umgang mit den widerspenstigen Materialien zu bewähren, fühlten sich weniger durch die Enteignung der Produktionsmittel, als vielmehr durch die Enteignung des Denkens als inhärentem Bestandteil ihrer Arbeit gedemütigt.

Sie verließen massenhaft die neuen Fabriken. Nur hundert von tausend eingestellten Arbeitern ertrugen die Monotonie des Fließbands: „Was für Menschen waren jene 100 Arbeiter, die es in der neuen Fertigungsstraße aushielten? Vielleicht spürten diese Arbeiter weniger Abneigung gegen die neue Art der Arbeit, weil sie weniger Stolz auf ihre eigenen Fähigkeiten empfanden und daher leichter zu lenken waren.“ (Crawford 2010, S.60)

Diese Arbeiter waren zwar einerseits leichter ‚lenkbar‘ durch ein Management, das ihnen das Denken abnahm; zugleich aber waren sie auch disziplinloser, und ihre Arbeit hatte weniger ‚Qualität‘. Zu wenig Qualität sogar für die abstrakten Standards einer Montagestraße, wie ein Ökonom im Jahre 1915 feststellte, der sich über das „minderwertige und zügellose Volk“ beklagte, das den „effiziente(n) Handwerker(n) mit Selbstachtung“ nicht das Wasser reichen könne: „Es erübrigt sich zu sagen, dass es den sogenannten ‚wissenschaftlichen Betriebsführern‘ weniger um die ‚Selbstachtung‘, sondern vor allem um die ‚Effizienz‘ ging, aber beide Begriffe waren voneinander abhängige Bestandteile derselben Formel.“ (Crawford 2010, S.46)

Die industrielle Trennung von Denken und Tun setzte sich dann zugleich paradoxer- wie konsequenterweise auch in jener Sparte fort, die aus jener Trennung als neue Klasse von Lohnabhängigen hervorging: die der Büro- und Wissensarbeiter. Standen die Büro- und Wissensarbeiter in gewisser Weise auf der Seite des Denkens und Wissens den Industriearbeitern gegenüber, auf die sie mit einem entsprechenden Standesdünkel herabschauten, wurden doch bald sie selbst auch einer weiteren Trennung von Denken und Tun unterworfen: auch die Büroarbeit wurde ‚rationalisiert‘. Rationalisierung meint in diesem Fall, daß ihnen wie zuvor schon den Industriearbeitern das Denken abgenommen wurde: „Auch die Bürotätigkeiten sind der zunehmenden Umwandlung in Routineabläufe und damit der Entwertung ausgesetzt, die derselben Logik gehorcht, die vor hundert Jahren die manuelle Produktion traf: Die kognitiven Elemente der Tätigkeit werden den Fachleuten entzogen, in ein System oder einen Prozess eingebunden und anschließend einer neuen Klasse von Mitarbeitern – Büroangestellten – übergeben, welche die Fachleute ersetzen.“ (Crawford 2010, S.64f.)

Das Wissen der Fachleute, also der Wissensarbeiter, wurde ähnlich wie die manuellen Fertigkeiten der Handwerker mechanisiert, diesmal nicht durch das Fließband, sondern durch Algorithmen: „Algorithmen können das implizite Wissen des Experten simulieren.“ (Crawford 2010, S.220) – Das Wissen wurde also in Denkanweisungen und Regeln zerlegt und mechanisiert, so daß die neue Klasse von Bürowissensarbeitern dieses ‚Wissen‘ nicht mehr verstehen mußten. Sie brauchten das schon klassifizierte Wissen lediglich zu verwalten, was effizienter war, als es zugleich auch durchdenken zu müssen.

Sahen sich die Arbeiter in der Fließbandproduktion aufgrund der Trennung von Denken und Tun ständig bedroht, von Maschinen ersetzt zu werden, ergeht es nun der neuen Klasse von Bürowissensarbeitern nicht anders. Da sie selbst nicht verstehen müssen, was sie tun, sind auch sie durch Maschinen ersetzbar. – Crawford verweist auf Searles Gedankenexperiment von einem in einem Raum eingesperrten Mann, der kein Chinesisch kann, aber aufgrund einer in Englisch verfaßten Anleitung chinesische Papiere, die durch einen Schlitz in den dunklen Raum reingeworfen werden, in andere chinesische Schriftzeichen übersetzt, die er ebenfalls nicht versteht und die er durch den Schlitz wieder rauswirft. (Vgl. Crawford 2010, S.230f.) Computer können diese Arbeit genauso gut und sogar besser verrichten.

So wirkt sich schließlich die durch die Trennung von Denken und Tun herbeigeführte Entwertung des Tuns auch auf das Denken selbst aus. Das Denken selbst wird durch seine Rationalisierung und Mechanisierung entwertet, und mit dem Denken auch der Mensch: „Es gibt ein ganzes Forschungsgebiet, das auf der Vorstellung beruht, dass wir Computer sind.() Zudem verwandelt sich der Computer in ein Ideal, dem gegenüber das wirkliche Denken durch die Anwendung einer verkehrten Logik zunehmend mangelhaft wirkt.()“ (Crawford 2010, S.221f.)

Die Trennung von Denken und Tun wirkt sich auch auf das Konsumverhalten des Menschen aus. Die einer ständigen Entwertung unterworfene Berufstätigkeit kann den Menschen nicht mehr befriedigen. Um den Büromenschen mit seiner sinnlosen Büroarbeit zu versöhnen, bedarf es einer geschickten Bedürfnismanipulation. Diese Bedürfnismanipulation erstreckt sich einerseits auf die Büroarbeit selbst, andererseits auf das Konsumverhalten.

Wo der Handwerker noch seine Befriedigung bzw. seinen „Stolz“, wie Crawford schreibt, in seiner Auseinandersetzung mit den widerspenstigen Materialien fand, sind dem Büromenschen und dem Wissensarbeiter aufgrund der Trennung von Denken und Tun nicht nur die Materialien abhanden gekommen, in denen das Resultat ihrer Arbeit ihre objektive Bewertung finden könnte. Auch das Denken selbst wird nicht mehr von ihnen selbst verantwortet. ‚Befriedigung‘ kann der Büroarbeiter nur noch im sozialen Umgang mit seinen Kolleginnen und Kollegen und der Chefin bzw. dem Chef finden. Für diesen sozialen Umgang ist nun das Management verantwortlich, und das bevorzugte Mittel, den sozialen Umgang zu regulieren, ist die Teamarbeit: „Die vorherrschende ‚Teamarbeit‘ macht es schwierig, individuelle Verantwortung einzuschätzen, und eröffnet den Managern, die mittlerweile als Therapeuten oder Lebensberater getarnt auftreten, verblüffende neue Möglichkeiten, ihre Mitarbeiter zu manipulieren.“ (Crawford 2010, S.19)

Die objektive Bewertungsgrundlage von im Produktionsprozeß bearbeiteten Materialien wird in der Büroarbeit durch die Führungsqualitäten von Managern und durch die Instabilität und Willkürlichkeit von Gruppendynamiken ersetzt und setzt die Mitarbeiter einer ständigen Verunsicherung aus. (Vgl. Crawford 2010, S.209)

Eine weitere Möglichkeit der Bedürfnismanipulation eröffnet sich über die „Konsumkultur“. (Vgl. Crawford 2010, S.16f.) Auch hier wird der Zusammenhang von Denken und Tun außer Kraft gesetzt, indem „Werbepsychologen“ sich das durch die sinnlose Büroarbeit hervorgerufene „Streben nach ‚Authentizität‘“ zunutze machen. (Vgl. Crawford 2010, S.44) Mittels eines ausgeklügelten Marketings wird dem Konsumenten suggeriert, er könne beim Einkaufen oder in seiner Freizeitgestaltung selbst über seine Interessen und über seine Bedürfnisse bestimmen. Wo er aber glaubt, selber zu denken und selber zu entscheiden, haben die Marketingexperten ihm die Freizeitgestaltung längst aus der Hand genommen.

Daß das Shopping eine Ersatzbefriedigung für eine fehlende berufliche Selbstverwirklichung darstellt, ist inzwischen schon ein Allgemeinplatz. Die Fertigprodukte, die wir im Einkaufszentrum kaufen oder über das Internet bestellen und deren Funktionsweise wir nicht verstehen und auch nicht verstehen sollen (vgl. Crawford 2010, S.9f., 86f.), befriedigen nicht in erster Linie ‚unsere‘ Bedürfnisse. Wir haben es hier nicht mit „dauerhaften Gebrauchsgegenständen“ zu tun, aus denen uns „‚die Vertrautheit der Welt‘ erwächst, ‚ihrer Sitten und Gebräuche, die den Umgang von Mensch und Ding wie den zwischen den Menschen regeln‘“, wie Crawford Hannah Arendt zitiert. (Vgl. Crawford 2010, S.27) – „Selbstverwirklichung und Freiheit gehen immer damit einher, dass man etwas Neues kauft, nie damit, dass man etwas bewahrt.“ (Crawford 2010, S.89)

Darüber hinaus gibt es aber noch die Suggestion des ‚Bastlers‘, der in seiner Freizeit seine eigenen Projekte verfolgt, sein Motorrad wartet oder im Garten arbeitet. Crawford spricht hier von einem regelrechten „Handwerkskonsum“. (Vgl. Crawford 2010, S.44) Die Konsumindustrie versorgt den Hobbyhandwerker mit Baukästen, Werkzeugen und Bastelanleitungen, „Accessoires“, die Authentizität vorgaukeln sollen: „Das Ziel des Herstellers ist es, ein umfangreiches Sortiment von Accessoires an den Mann zu bringen, die auf so viele verschiedene Arten zusammengestellt werden können, dass die Kombination ganz sicher die ‚unverwechselbare Persönlichkeit‘ des Besitzers ausdrücken wird. Man beachte die Umdeutung, die es ermöglicht, vom gestaltenden Handeln ... zur Persönlichkeit zu springen, das heißt zur Manifestation eines Selbst, dessen Unabhängigkeit durch die Möglichkeiten, die ihm angeboten werden, verwirklicht wird.“ (Crawford 2010, S.94f.)

Ein anderes Beispiel, das Crawford anführt, ist der Teddybär, den sich Kinder in einem Einkaufzentrum selbst aus Einzelteilen am Computermonitor zusammenstellen können. (Vgl. Crawford 2010, S.97) Auch hier wird suggeriert, das Kind könne sich kreativ seinen eigenen Teddybären basteln. Tatsächlich aber kann das Kind, so wie auch der erwähnte Hobbybastler, nur aus vorgegebenen Angeboten wählen. Man denke hierbei auch an die Computerspiele, in denen sich die Spieler ihre Helden selber zusammenstellen können. Crawford hält nüchtern fest: „Doch zu wählen ist nicht dasselbe wie zu gestalten, gleichgültig, wie viel ‚Kreativität‘ vom Marketing suggeriert wird.“ (Crawford 2010, S.95)

Auch die Konsumkultur beruht also auf einer Trennung von Denken und Tun, in der das Denken von den Marketingexperten übernommen wird und das nachvollziehende Tun dem Konsumenten überlassen bleibt.

Ein weiteres Feld, auf dem die Trennung von Denken und Tun sich auswirkt, bildet die Globalisierung. Internationale Konzerne – Crawford bringt das Beispiel des fehlenden Ölmeßstabes in neueren Mercedesmodellen – verteilen die Verantwortung für ihre ‚Produkte‘ auf viele verschiedene Ebenen, die dem Kunden nur noch eine anonyme „Gewährleistung“ bieten:
„Zwischen Autobesitzer und Mechaniker stehen Betriebseinheiten, die nur im abstrakten rechtlichen Sinn eine Persönlichkeit haben: der Vertragshändler, der den Techniker beschäftigt, die Daimler AG in Stuttgart, die den Serviceplan und die Gewährleistung in der Bilanz hat, und schließlich die Mercedes-Aktionäre, die einander nicht kennen und kollektiv das finanzielle Risiko streuen, das mit dem Ölmangel des Motors einhergeht. Dieses kollektive, nicht konkret sichtbare Interesse am Ölstand des Motors vollzieht sich auf mehreren Ebenen: Es gibt keine einzelne Person mehr, die dafür verantwortlich ist. Wenn wir dies unter dem Gesichtspunkt der ‚Globalisierung‘ betrachten, stellen wir fest, dass die Tentakel dieses sonderbaren Tiers mittlerweile nach Dingen tasten, die einst eindeutig uns gehörten, wie zum Beispiel nach dem Ölstand im Motor unseres Autos.“ (Crawford 2010, S.86f.)
Was die Mitarbeiter betrifft: auch wenn man ihnen über die soziale Beruhigungspille „Teamarbeit“ suggeriert, daß es der Firma um ihr ganz persönliches Potential, ihr ‚Humankapital‘ gehe (vgl. Crawford 2010, S.70f.), ändert das nichts an ihrer jederzeitigen Austauschbarkeit und Ersetzbarkeit durch billigere Arbeitskräfte in Billiglohnländern wie Indien oder China. Gedacht und geplant wird eben nur auf Managementebene. Die automatisierten Produktionsabläufe können überall auf der Welt stattfinden, und wo sie stattfinden, orientiert sich ausschließlich am maximalen Profit.

Grundlage dieser alle Lebensbereiche durchziehenden fundamentalen ‚Arbeitsteilung‘ ist das wissenschaftliche Weltbild, das sich mit einer mathematischen Modellierung der Naturprozesse begnügt. Diese Wissenschaft huldigt einem Konstruktivismus, in dem nicht mehr das Denken der physischen Welt angepaßt wird, wie in der handwerklichen Technik, sondern die Welt idealisierten Denkprozessen unterworfen wird. Als Beispiel für so eine Idealisierung bringt Crawford eine Situation, in der er sich mit einem alten VW-Vergaser herumärgert. Sein Vater, von Beruf Physiker, möchte ihm gerne helfen, versteht aber nichts von alten VW-Vergasern und sagt: „Wusstest Du, dass man einen Schnürsenkel immer lösen kann, indem man an einem Ende zieht, selbst wenn er doppelt verknotet ist?“ (Crawford 2010, S.107)

Neben dem offensichtlichen Umstand, daß diese Bemerkung zum Problem mit dem Vergaser überhaupt nicht paßt und eher Ausdruck der Verlegenheit des Vaters darüber ist, seinem Sohn nicht helfen zu können, ist auch der Sachverhalt selbst, den er zum Ausdruck bringt, völlig weltfremd. Jeder, der einmal einen Schnürsenkel doppelt verknotet hat, weiß, daß sich die doppelte Schlaufe nicht einfach öffnen läßt, wenn man an einem Ende zieht. Die Behauptung von Crawfords Vater funktioniert nur in einer mathematischen Welt mit idealisierten Schnürsenkeln. Das ist die Welt der Wissenschaft, die sich für die wirklichen Schnürsenkel nicht interessiert: „... ich begann zu begreifen, dass die Denkweise meines Vaters, der Physiker war, nicht geeignet war, die Wirklichkeit zu bewältigen, mit der ich es bei jenem alten VW zu tun hatte.“ (Crawford 2010, S.108)

Der wissenschaftliche Konstruktivismus geht von „wirklichkeitsferne(n) Idealvorstellungen“ aus. Seine „geistigen Konstruktionen“ sind „leichter verständlich als die materielle Wirklichkeit“ und sie eignen „sich insbesondere besser für die mathematische Darstellung“. (Vgl. Crawford 2010, S.109) – Genau diese ‚wissenschaftliche‘ Einstellung zur Wirklichkeit ist es aber, die den Technologien zugrundeliegt, mit deren Hilfe wir produzieren, konsumieren und kommunizieren. Die Trennung des wissenschaftlichen Denkens von der materiellen Welt ermöglicht die Trennung des Denkens vom menschlichen Tun.

Crawford, der selbst eine Zeit lang in einem sogenannten „Think-Tank“ gearbeitet hat (vgl. Crawford 2010, S.13f., 144f.), kommt deshalb zu dem Ergebnis, daß die durch die Trennung von Denken und Tun herbeigeführte wechselseitige Entwertung von Denken und Tun nicht zuletzt auch in der „weite(n) akademische(n) Welt“ dazu geführt hat, „dass dieses Gewerbe dem Denken feindlich gesinnt“ ist. (Vgl. Crawford 2010, S.139) – Mit dieser Feststellung befindet sich Crawford übrigens in guter Gesellschaft. Schon Heidegger wies darauf hin, daß die ‚Wissenschaft‘ nicht ‚denkt‘. (Vgl. meinen Post vom 23.04.2013)

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