„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Sonntag, 4. November 2018

Max Tegmark, Leben 3.0. Mensch sein im Zeitalter Künstlicher Intelligenz, Berlin 2017

1. Fürchtet euch (nicht) !
2. Leben, Intelligenz, Bewußtsein
3. ‚Wertevermittlung‘
4. Verwirrende Pronomen
5. Hybris und Ignoranz

Spracherkennung gehört Max Tegmark zufolge zu den ursprünglich allein dem Menschen zugeschriebenen Intelligenzleistungen, in denen Computer heute schon besser sind als sie. (Vgl. Tegmark 2017, S.85) Trotzdem gibt es da etwas, was Übersetzungssoftware immer noch irritiert: die Verwendung von Pronomina wie er, sie, es. (Vgl. Tegmark 2017, S.136ff.) Tegmark bringt u.a. folgendes Beispiel:
„Die Stadträte verweigerten den Demonstranten eine Erlaubnis, weil sie Gewalt befürworteten.“ (Tegmark 2017, S.138)
Für eine Übersetzungsmaschine ist das harmlose ‚sie‘ äußerst verwirrend: bezieht es sich auf die Stadträte oder auf die Demonstranten? – Für uns Menschen ist das kein Problem, weil wir sofort einen Kontext zu diesem Satz herstellen können, in dem Stadträte üblicherweise als Hüter von Recht und Ordnung und Demonstranten potentiell als Störer dieser Ordnung auftreten, so daß das ‚sie‘ sich nur auf die Demonstranten beziehen kann.

Bei solchen Aufgaben schneiden „künstliche Intelligenzen“, wie Tegmark schreibt, „immer noch miserabel ab“. (Vgl. Tegmark 2017, S.139) Allerdings sei die Übersetzungssoftware von Google in den letzten Jahren in einem rasanten Tempo besser geworden, und er ist guter Dinge, daß es Google bald gelingen wird, „eine Sprache verarbeitende KI zu konstruieren, die ein Weltmodell enthält“. (Vgl. Tegmark 2017, S.139)

So etwas ist schnell dahingeschrieben: „Weltmodell“, und man liest genauso schnell darüber hinweg. Aber das harmlos anmutende Wort hat es in sich! Es bildet den Kern der menschlichen Sprachfähigkeit! Es geht nicht einfach nur darum, ein Weltmodell zu entwerfen, als handelte es sich dabei nur um eine weitere Form von Software. Tatsächlich sprengt die Rede vom Weltmodell die Grenzen dessen, was reine Informationsverarbeitung zu leisten vermag. Sicher kann man der Spracherkennungssoftware irgendein ‚Weltmodell‘ einprogrammieren. Aber die Differenz von Innen und Außen, die damit verbunden ist, kann man ihr nicht einprogrammieren. Denn für die Informationsverarbeitung ist alles nur Information, ohne Unterschied, ob es sich nun um Einhörner und gute Feen handelt oder um Börsenkurse und Einsteins Relativitätstheorie. Im Informationsbegriff gibt es keinen Unterschied zwischen Innen und Außen, zwischen fiktiv und real, zwischen Lüge und Wahrheit, zwischen Meinen und Sagen.

‚Weltmodell‘ bedeutet aber nichts anderes: in der Welt da draußen, vor unseren Augen, spielen sich Dinge ab, die sich prinzipiell von dem unterscheiden, was sich in uns regt und uns innerlich bewegt. Pronomina verweisen deshalb nicht einfach nur auf Substantive, die mal als Subjekte, mal als Prädikate auftreten können, mal als Stadtrat und mal als Demonstrant. Die Sätze sind vielmehr auf ein entscheidendes Subjekt bezogen, das sich außerhalb jeder Syntax befindet, und natürlich auch außerhalb jedes Programmcodes, nämlich auf den jeweiligen Weltausschnitt, um den es in dem Satz geht. Die Stadträte sind nur Satzsubjekte und die Demonstranten nur Prädikate innerhalb derselben syntaktischen Struktur. Tatsächlich aber geht es um die Stadt, um die Straße, in der eine Demonstration stattfinden soll. Dieses Subjekt, die Realität, gibt den Stadträten und den Demonstranten ihren Sinn und richtet das Pronomen ‚sie‘ entsprechend aus.

Tegmark weist selbst auf diesen Umstand hin:
„Obwohl ich gestehen muss, dass ich ein wenig ernüchtert bin, von einer KI beim Übersetzen geschlagen worden zu sein, fühle ich mich besser, wenn ich daran denke, dass sie bisher auf noch keine sinnvolle Weise versteht, was sie sagt. Um sie zu trainieren, werden gewaltige Datensätze verwendet. Auf diese Weise entdeckt sie Muster und Beziehungen in Bezug auf Worte, ohne diese Worte jemals mit irgendetwas in der Außenwelt zu verbinden. Sie könnte zum Beispiel jedes Wort durch eine Liste mit Tausenden von Zahlen darstellen, die festlegen, wie sehr es bestimmten anderen Worten ähnelt. Sie könnte dann daraus schließen, dass der Unterschied zwischen ‚König‘ und ‚Königin‘ dem zwischen ‚Ehemann‘ und ‚Ehefrau‘ ähnelt – aber dann hat sie immer noch keinen Schimmer, was es bedeutet, männlich oder weiblich zu sein, oder dass es gar so etwas wie eine materielle Wirklichkeit mit Raum, Zeit und Materie da draußen gibt.“ (Tegmark 2017, S.138)
Das externe Subjekt, das den Sätzen und Worten Bedeutung verleiht, läßt sich Maschinen nicht einprogrammieren. Für sie ist alles nur äußerlich, aber eben nicht außen und deshalb auch nichts innen. Nichts wird gemeint; alles nur gesagt.

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