„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 1. September 2017

Peter Spork, Gesundheit ist kein Zufall. Wie das Leben unsere Gene prägt: die neuesten Erkenntnisse der Epigenetik, München 2017

1. Zusammenfassung
2. Integral und Anachronismus
3. Freiheit und Intuition

Den Haupttitel von Peter Sporks Buch, „Gesundheit ist kein Zufall“ (2017), könnte man noch mißverstehen: ‚kein Zufall‘ könnte auch meinen ‚in den Genen festgelegt‘. Wer also Krebs oder eine Diabetes bekommt, hätte sowieso nichts daran ändern können, weil sein Schicksal schon vor der Geburt festgelegt gewesen war. Das ist aber ein Mißverständnis. Es ist vor allem der Untertitel, „Wie das Leben unsere Gene prägt“, der Sporks Hauptthese zweifelsfrei auf den Punkt bringt: Nicht die Gene prägen uns und unser Leben, sondern umgekehrt wir selbst und unser Leben, das wir führen, prägen die Gene!

Die Gene, also die DNA, bilden zwar einen Faktor in unserem Leben. Sie bilden das Fundament, auf dem das Leben von Generation zu Generation weitergegeben wird, und es sind ihre Zufallsmutationen, die die biologische Evolution vorantreiben. Aber sie bilden eben nur einen Faktor, das „Erbe“, wie Spork es ausdrückt; einen Faktor innerhalb einer Multiplikation, zu der zwei weitere Faktoren gehören, Umwelt und Epigenetik, deren gemeinsames Produkt Null ergibt, wenn nur einer dieser Faktoren auf Null gesetzt wird. (Vgl. Spork 2017, S.80)

Das „Zusammenspiel aus Genetik, Epigenetik und Umwelt“ (Spork 2017, S.172) erinnert an die Logik der Entwicklungsebenen, wie ich sie diesem Blog zugrundelege. Darauf werde ich im nächsten Blogpost detaillierter eingehen. Für jetzt möchte ich lediglich festhalten, daß das Epigenom das biologische Substrat der menschlichen Persönlichkeit bildet. Im Unterschied zum Genom ist das Epigenom enorm plastisch, wie übrigens auch das Gehirn, das ja ebenfalls von diversen ‚Fachleuten‘ gerne für einen mechanistischen Determinismus in Anspruch genommen wird, in dem es keine Handlungs- und keine Willensfreiheit gibt. Das Epigenom paßt sich über das ganze Leben eines Individuums hinweg an dessen Lebensstil und damit an dessen Entscheidungen an. Wenn sich jemand entscheidet, statt wie gewöhnlich mit dem Auto mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, verändert sich die Molekularbiologie seiner Muskeln „binnen zwanzig Minuten“. (Vgl. Spork 2017, S.44)

Darüberhinaus ‚erinnern‘ sich die Muskelzellen an die Radfahrt und behalten die Veränderungen bei. Jedoch nicht über längere Zeit. Wenn ich wieder aufs Auto umsteige, wird die Molekularbiologie der Muskeln auf den ursprünglichen Zustand zurückgestellt. Das aber heißt: die Epigenetik ist reversibel, also plastisch, formbar, durch unser Handeln beeinflußbar:
„Diese Umkehrbarkeit ist einer der Wesenszüge der Epigenetik.“ (Spork 2017, S.351)
Gesundheit ist also Spork zufolge weder ein Zufall noch ein Schicksal. Sie bildet vielmehr einen komplexen und beständigen Anpassungsprozeß an Umwelteinflüsse und an unseren Lebensstil:
„Gesundheit ist nicht das Gegenteil von Krankheit. Sie ist ein Prozess. Sie ist Anpassungsfähigkeit, geglückte Prägung und Widerstandskraft, resultiert aus einer ausgeglichenen Persönlichkeit und bewirkt diese zugleich. Gesundheit ist also auch das Potenzial, mit einer Krankheit möglichst gut und lange auszukommen oder sie so rasch und effektiv wie möglich zu überwinden.“ (Spork 2017, S.328)
Alles, was Gene können, ist der unter Wissenschaftlern verbreitetsten Auffassung zufolge, Proteine herzustellen. Von da ist es aber noch ein weiter Weg zu einer menschlichen Person, und dafür ist die Epigenetik zuständig. Überall, wo wir es mit einer Komplexität zu tun haben, bei der mehrere, ja sogar tausende von Genen zusammenarbeiten müssen, haben wir es mit Epigenetik zu tun, die „Genaktivierbarkeitsmuster“ festlegt; d.h. sie legt fest, welche Gene gedimmt und welche Gene empfangsbereit gemacht werden:
„Wir vererben mehr als unsere Gene. Wir sind, was lange nur vermutet wurde, tatsächlich in der Lage, Informationen über ganze Genaktivierbarkeitsmuster weiterzugeben – und damit auch die Programme, aus denen Gesundheit entsteht.“ (Spork 2017, S.331f.)
Wenn Spork hier von der Weitergabe von Genaktivierbarkeitsmustern spricht, dann meint er damit die transgenerationelle Epigenetik. Anders als die Evolutionsbiologen bisher meinten, scheint es nämlich die nach August Weismann (1834-1914) benannte „Weismann-Barriere“, die die DNA vor Umwelteinflüssen schützt, nicht zu geben. (Vgl. Spork2017, S.264ff., 275, 306f.) Bislang glaubte man, daß die DNA an zwei Stellen vor Umwelteinflüssen geschützt sei: bei der Entstehung der Keimzellen und bei der sogenannten Zeugung, wo das Genom komplett demethylisiert wird. Tatsächlich sind die Hinweise, daß dennoch individuell erworbene Erbinformationen auf die nachfolgenden Generationen übertragen werden, aber inzwischen zu zahlreich, als daß das so einfach stimmen kann. Zumindestens scheint es „Zonen“ im Genom zu geben, „die von der Reprogrammierung ausgenommen sind“. (Vgl. Spork 2017, S.306)

Zu den komplexen Persönlichkeitsmerkmalen, die sich in epigenetischen Genaktivierbarkeitsmustern niederschlagen, gehören die Gesundheit und die Intelligenz. Was die Intelligenz betrifft, räumt Spork mit mehreren Mythen auf. Dazu gehört die Auffassung, daß sich die Genome – und mit ihnen die Intelligenz – von verschiedenen Kulturen unterscheiden. Spork verweist auf die von Thilo Sarrazin angestoßene Debatte, „Deutschland werde immer dümmer, wenn zunehmend Menschen aus niedrigen Schichten und anderen Kulturkreisen einwanderten“. (Vgl. Spork 2017, S.73)

Sarrazin begeht hier einen logischen Fehler: er führt den kulturellen Phänotyp auf den biologischen Genotyp zurück. (Vgl. Spork 2017, S.78) Die Unterschiede zwischen Gruppen sind aber niemals biologisch, sondern immer sozial begründet; aus einem einfachen Grund: alle Menschen auf der ganzen Welt sind zu 99 %, möglicherweise zu 99,9 % genetisch identisch! (Vgl. Spork 2017, S.74) Intelligenz gehört aber zu den komplexesten Persönlichkeitsmerkmalen und wird wahrscheinlich durch das (epigenetische) Zusammenspiel von Tausenden von Genen bestimmt. Werden die Umwelteinflüsse konstant gehalten, wachsen die Kinder also im gleichen sozialen Umfeld auf, macht der Unterschied gerade mal drei bis fünf Punkte auf der IQ-Skala aus, „und dieser Unterschied ist letztlich belanglos“. (Vgl. Spork 2017, S.80)

Der Unterschied zwischen verschiedenen Gruppen, auch der Unterschied der ‚Intelligenz‘ – was immer das sein mag –, ist Spork zufolge zu hundert Prozent sozial bedingt. (Vgl. Spork 2017, S.79)

Was mir an Peter Sporks Buch so gefällt: es gibt dem Menschen seine Freiheit und damit seine Würde zurück. Es ist wieder der Mensch, der sein Leben führt, und nicht die ‚Gene‘ bzw. das, was die Evolutionsbiologen dazu denken, womit sie sich eine Autorität anmaßen, die alle anderen, uns Laien nämlich, entmündigt. Spork bringt es auf den Punkt:
„Die Gene entscheiden nicht über uns. Sie sind nicht unser Schicksal. Wir sind nicht ihre Marionetten.“ (Spork 2017, S.81)
Auch dazu mehr in einem der folgenden Posts.

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