„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Montag, 30. Januar 2012

Zur dreifachen Gliederung der Person (Fortsetzung)

Im letzten Post war in bezug auf das Bewußtsein von den „zwei Ebenen der Präsenz und der Repräsentanz“ die Rede und davon, daß die Sinnesorgane als „Modalitäten“ Formen der Entsprechung zwischen Körper und Geist bilden. Darauf möchte ich in diesem Post noch einmal im Detail eingehen, und zwar anhand einer Graphik, die ich schon in meinem Post vom 01.06.2011vorgestellt hatte und die ich für den aktuellen Post überarbeitet habe.




Grundlage dieser Graphik ist der Zusammenhang der Einheit der Sinnesorgane mit der Einheit der Person. Wenn nämlich diese Person eine Einheit bildet, so in dreifach gegliederter Weise als Körper, Seele und Geist. Die Sinnesorgane bilden eine etwas anders gegliederte Einheit, die in ihrer Gliederung auch nicht eindeutig definierbar ist. Eine Gliederungsmöglichkeit besteht in der Unterscheidung zwischen Gegenstandssinnen (Gesicht, Getast) und Zustandssinnen (Gehör, Getast, Geruch, Geschmack etc.). Schon in dieser Differenzierung befindet sich der Tastsinn in beiden Gliederungsbereichen. Eine weitere Gliederungsmöglichkeit besteht in der Unterscheidung zwischen geist-nahen (Gesicht, Gehör) und sinnfreien (Getast, Geruch, Geschmack etc.) Sinnesorganen. Wo sich das Gehör in der ersten Gliederungsmöglichkeit auf der Seite der Zustandssinne befindet, befindet es sich bei der zweiten Gliederungsmöglichkeit auf der Seite der ‚geistigen‛, für sich schon sinnhaften Sinnesorgane.

Hinzu kommt als weitere gegliederte Einheit die des Bewußtseins, das sich in zwei, wiederum in sich gegliederte Ebenen aufteilt: die repräsentative Ebene als Ebene des Selbstbewußtseins, der Reflexion, des ‚Geistes‛ und die präsentative Ebene als Ebene der Präsenz, des Gefühls, der Wahrnehmung, der ‚Seele‛.

Im Grunde haben wir also drei gegliederte Ganzheiten: Sinnesorgane, Bewußtsein und Person, deren Strukturen sich nicht eins zu eins entsprechen, die aber dennoch ineinandergreifen und für einander funktional sind. Wie stellt man so etwas dar? Die Pyramide, auf die sich Plessner selbst bezieht (vgl. Plessner 1975/1928, S.65f.), bringt vor allem die Einheit der Person zur Darstellung. Die Stufen der Pyramide reichen dabei von der Spitze der bewußten Aufmerksamkeit über die Haltung als einer Balance zwischen Reflexion und Naivität und der Lebenswelt als Dominanz der Naivität bis zum Körper und seiner Physiologie hinab. Die Stufe der ‚Lebenswelt‛ meint die „Einheit der Person mit ihrer Umwelt“ (Plessner 1980/1923, S.313), denn die Lebenswelt ist nur die ‚objektive‛, d.h. intersubjektive Seite der Seele.

Als weitgehend vorbewußte Sphäre des Bewußtseins sind Lebenswelt und Seele ein Thema der Literatur. So bin ich z.B. bei Ernst Jünger in „Stahlgewitter“ auf die schöne Formulierung vom dunklen Land hinter dem Bewußtsein gestoßen. Und ganz aktuell in "Der Name des Windes" bei Patrik Rothfuss spricht einer der Lehrer von Kvothe vom "schlafenden Geist", der mehr weiß als unser Wachbewußtsein, z.B. – im Falle von Kvothe – den Namen des Windes. Was übrigens an Merleau-Pontys Theorem vom ursprünglichen Sprechen erinnert.

Der spezifisch geistige, also weitgehend selbstbewußte Teil der Pyramide reicht von der bewußten, repräsentativen Aufmerksamkeit bis zur Haltung mit ihren vorbewußten, präsentischen Anteilen, während der spezifisch seelische, weitgehend vorbewußte Teil der Pyramide die Stufen der Haltung und der Lebenswelt umfaßt. Über die Haltung, zu der auch die gesprochene Sprache gehört, greifen Seele und Geist ineinander und über die Sinnesphysiologie reichen sie hinab bis in den Körper. An dieser Stelle war es für mich schwierig, zu entscheiden, ob ich den Körper selbst noch dem seelischen Bereich zuordne oder nicht. Ich habe mich dann dagegen entschieden, obwohl die Emotionen mit physiologischen Prozessen identifiziert werden könnten. Statt also die Seele auch die Stufe des Körpers umfassen zu lassen, habe ich dafür nochmal eigens den Körperleib in Anspruch genommen, der die Stufen des Körpers, der Lebenswelt und der Haltung umfassen soll, also inklusive der ‚Seele‘, aber mit dem Akzent auf der Sinnfreiheit der körperlichen Physiologie, da ‚von unten her‘ die biologische Evolution in ihn hineinragt, also die Evolution der Menschheit (Gattung), auf der die Basis der Pyramide als Einheit der Person aufliegt. – Diese dreigegliederte Einheit der Person entspricht übrigens unserem allerersten Post zu den drei Entwicklungslogiken, mit dem wir im April 2010 diesen Blog einleiteten.

Die Sinnesorgane gewährleisten nun zweierlei, – einen Gegenstandsbezug und einen Realitätsbezug: „Die Modalitätstheorie der Wahrnehmung und der Wahrnehmungserkenntnis ermöglicht die Verbindung erstens zwischen Bewußtsein und Körpergegenstand oder das intentionale Verhältnis von Subjekt und Objekt. Sie ermöglicht zweitens die Verbindung von Seele und Körperleib oder das reale Verhältnis psychischer und physischer Faktoren in der Einheit der menschlichen Person wie in der Einheit der Person mit ihrer Umwelt.“ (Plessner 1980/1923, S.313) – Das intentionale Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt wird auf der repräsentativen Ebene des Bewußtseins organisiert, während es bei dem realen Verhältnis der Person zu sich und ihrer Umwelt vor allem um das Realitätsbewußtsein geht, also um die Fähigkeit zwischen Realität und Irrealität zu unterscheiden. Das ist eine der wichtigsten Aufgaben der präsentativen Ebene des Bewußtseins.

Das repräsentative Bewußtsein untergliedert Plessner in seine schematischen, syntagmatischen und thematischen Funktionen, und das präsentative Bewußtsein untergliedert er in seine anschauenden, innewerdenden und füllenden Funktionen. Einigen dieser Funktionen werden einzelne Sinnesorgane zugeordnet, – aber nicht allen. Und die Zuordnungen sind auch nicht wirklich eindeutig. So wird der schematischen Funktion des repräsentativen Bewußtseins das Gesicht zugeordnet. Die Schematisierbarkeit des Gesichts beschreibt Plessner am Beispiel der Geometrie. Der thematischen Funktion des repräsentativen Bewußtseins ordnet er das Gehör zu. Das Beispiel für dessen Thematisierbarkeit bildet die Musik, deren ‚Themen‛ ja auch nicht eindeutig und explizit sind, sondern ‚gedeutet‛ werden müssen. So kann ein und dasselbe Musikstück (Thema) auf verschiedene Weise in ‚Worte‛ bzw. in Lieder gefaßt, also gesungen werden.

Ein spezifisches Sinnesorgan für die syntagmatische Funktion des Bewußtseins nennt Plessner nicht. Allerdings spricht er von der einzigartigen Verbindung von Zeichen (Gesicht) und Klang (Gehör) im gesprochenen Wort, so daß man sagen kann, daß in dieser Bewußtseinsfunktion mindestens zwei Sinnesorgane zusammenkommen müssen, um sie zu ermöglichen.

Der schematischen Funktion des repräsentativen Bewußtseins entspricht die anschauende Funktion des präsentativen Bewußtseins, so daß das Gesicht nicht nur der schematischen Funktion dient, sondern auch der Anschauung, und hier natürlich nicht nur das Gesicht, sondern auch Getast, Gehör, Geschmack und Geruch. Der syntagmatischen Funktion des repräsentativen Bewußtseins entspricht die innewerdende Funktion des präsentativen Bewußtseins, wobei das ‚Innewerden‛ die Empfänglichkeit des psychischen Zwischenreichs für die geistige Sinngebung (Artikulation) meint. Der thematischen Funktion des repräsentativen Bewußtseins entspricht die füllende Funktion des präsentativen Bewußtseins, womit die raumergreifende Voluminosität des Klangs gemeint ist, der eine Sinnfülle zum Ausdruck bringt, die sich jeder artikulierenden Verengung und Vereinseitigung entzieht.

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